Menschen jubeln mit schwarz-rot-goldenen Fahnen, als in der Nacht zum 3. Oktober 1990 vor dem Reichstag in Berlin die Wiedervereinigung Deutschlands vollzogen wurde.
Menschen jubeln mit schwarz-rot-goldenen Fahnen, als in der Nacht zum 3. Oktober 1990 vor dem Reichstag in Berlin die Wiedervereinigung Deutschlands vollzogen wurde. dpa/Jörg Schmitt

Erinnern Sie sich noch, wie sich einst die Deutschen verbal bekriegten? Jahrelang herrschte man sich jahrelang gegenseitig mit „Jammer-Ossi“ und „Besser-Wessi“ an. Schimpfwörter, die ich schon lange nicht mehr in der Öffentlichkeit wahrgenommen habe. Und das ist auch gut so. Ich habe den Eindruck, die Mauer in den Köpfen der Deutschen ist fast verschwunden.

Nun gut, in diesem Sommer kochte die Debatte hoch, dass die Ostdeutschen sich nicht den Genuss von NVA-Suppen oder Pionier-Soljanka verbieten lassen wollen. Aber sie zeigte auch, dass das Selbstbewusstsein der Menschen im Osten des Landes gewachsen ist und sie stärker zu ihrer Lebensbiografie stehen. Das wird offenbar jetzt akzeptiert. Egal, ob diese Gerichte nun die DDR glorifizieren oder nicht:  Zu meiner Überraschung gab es in der Debatte kaum hämische Kommentare von Deutschen, die im Westen aufwuchsen.

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Ich glaube, wir haben uns geändert. Streitigkeiten darüber, ob früher in der DDR oder in der alten Bundesrepublik alles besser war, erlebe ich in meinem Umfeld nur noch sehr selten.

Im Gegenteil: Neulich erzählte mir ein Bekannter aus Niedersachsen, wie toll Brandenburg ist, wo er im Urlaub war. Das es diese Vorurteile gegenüber Ossis gab, könne er gar nicht verstehen. Alles Quatsch. Der junge Mann hat sich sogar eine „Schwalbe“ zugelegt, fährt nun mit dem Kult-Moped des Ostens durchs Land.

Oder: In der Abi-Klasse meines Sohnes lernen Schüler aus Ost und West. Keiner hat jemals den anderen als Ossi oder Wessi beschimpft. „Uns ist es einfach egal, woher jemand kommt“, sagt mein Sohn. „Wir sind einfach Kumpels, die sich gut verstehen. Und wenn wir uns streiten, dann bestimmt nicht wegen unserer Herkunft.“

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Krieg, Energiekrise, Inflation  vereinen jetzt die Deutschen in Ost und West

Auch die ältere Generation denkt um, geht nun mehr gemeinsam als getrennt. Obwohl es eine Studie des Info-Institutes zum 32. Jahrestag der Deutschen Einheit anders sieht. Danach würde in den östlichen Bundesländern die Unzufriedenheit mit der politischen Situation im Land größer sein als im Westen.

Meine Beobachtungen sind da ganz anders. Fragt man etwa die Menschen im Westen Berlins, erfährt man, dass sie genauso über die politischen Verhältnisse unzufrieden sind wie die Berliner im Osten oder die Brandenburger. Überall hört man die gleichen Sorgen, die die Menschen bewegen.

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Denn die gewaltigen Preisanstiege für Lebensmittel oder Strom betrifft alle. Genauso die hohen Energiekosten, die auf uns zukommen, die keinen Unterschied zwischen Ost und West machen. Und jeder im Land macht sich Sorgen, wie es in dieser Welt weiter gehen wird.

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Es scheint, dass Energiekrise, Inflation und der Ukraine-Krieg die Deutschen nun mehr vereint als je zuvor. Vereint ist man auch in der Kritik gegenüber der Regierung. Ob beim Streit um Waffenlieferungen oder um die Gasumlage, die wohl doch nicht kommt: Da zieht es sogar einige Westler zur Linkspartei, die sie noch vor Jahren als SED-Erbe abgelehnt hatten. Kein Wunder, dass die Studie feststellt, dass die Zahl der Ost- wie auch der Westdeutschen jeweils um zehn Prozent gegenüber 2020 angestiegen ist, die mit der Arbeit der Regierung unzufrieden sind.

Es ist schon so, wie einst meine Oma sagte: In schlimmen Zeiten halten alle zusammen. Da vereint man sich auch mit dem Nachbarn, den man zuvor nicht leiden konnte.

Norbert Koch-Klaucke schreibt jeden Freitag im KURIER über Geschichten aus dem Osten.
Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com