Schloss Reinhardsbrunn in Thüringen ist als einer der Standorte für das Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation im Gespräch.
Schloss Reinhardsbrunn in Thüringen ist als einer der Standorte für das Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation im Gespräch. EPD

30 Jahre nach der Wende soll es nun endlich ernst werden mit der Bescherung, mit der Anerkennung und Würdigung von uns Ostdeutschen. Bis 2027 soll in einer ostdeutschen Stadt, die noch benannt werden muss, ein „Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation“ entstehen. Ui!

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Aber Achtung, für Dankbarkeit ist es noch etwas früh. Im Sommer soll erst der Städtewettbewerb starten. Zeit also, einmal genauer darüber nachzudenken, wo so ein Zentrum gut hinpassen würde.

Welche ostdeutsche Stadt macht das Rennen?

Ende 2020 schon hat die Kommission „30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“ vorgeschlagen, in einer neuen Einrichtung die ostdeutsche Transformationsleistungen  in der DDR und nach 1990 zu würdigen und zu nutzen. Wird ja höchste Zeit, sagen die einen, die anderen fürchten  „Aufarbeitung von oben verordnet und mit Millionen garniert“. Fakt ist: unter den ostdeutschen Städten läuft längst ein Wettrennen um den Zuschlag.

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Marco Wanderwitz, Gwendolyn Sasse, Matthias Platzeck und Basil Kerski bei der Pressekonferenz des Zukunftszentrums für Deutsche Einheit und Europäische Transformation im Haus der Bundespressekonferenz im Sommer 2021.
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Marco Wanderwitz, Gwendolyn Sasse, Matthias Platzeck und Basil Kerski bei der Pressekonferenz des Zukunftszentrums für Deutsche Einheit und Europäische Transformation im Haus der Bundespressekonferenz im Sommer 2021.

Überholen ohne einzuholen, der Meister von morgen, wer bekommt das interdisziplinäre Kompetenzzentrum, eingerichtet in einem „identitätsstiftenden“ Gebäude? Immerhin lässt sich der Bund das ganze 200 Millionen Euro kosten.

Das Zentrum soll ein wissenschaftliches Institut, ein Dialog- und Begegnungszentrum und ein Kulturzentrum umfassen, es soll Preise und Stipendien vergeben, Konferenzen und Ausstellungen ausrichten und Austausch organisieren.

Mit der Wende hielt in der DDR die Demokratie Einzug

Das Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation, das dringend einen griffigeren Namen für den Alltagsgebrauch benötigt,  wird sich daran messen lassen, wie gut es gerade denjenigen zuhört, die sich längst abgewandt haben von diesem Staat. Denn nichts anderes als eine Denkfabrik für Demokratie soll da entstehen.

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Gesellschaftliche Umbrüche wie durch den Zerfall der Sowjetunion, der DDR  aber auch Herausforderungen, die Migration und Klimawandel mit sich bringen, können, nein müssen hier verhandelt, untersucht und diskutiert werden.

Vielleicht sollte man also für die Standortwahl schauen, wo die AfD besonders stark bei Wahlen abschneidet: Chemnitz, Görlitz, Bautzen, Eisenach und Gotha wären gute Kandidaten. Eine Bewerbung planen bereits Leipzig und Plauen. Auch Eisenach und Mühlhausen wollen ins Rennen gehen. Gute Chancen rechnet sich auch Frankfurt an der Oder aus. Wenn es eine Nummer kleiner sein soll, wären Bitterfeld, Cottbus, Freiberg und Hildburghausen Kandidaten, die von einem solchen Zentrum wirklich profitieren könnten. Die Namen kommen ihnen von Anti-Corona-Demos bekannt vor? Eben.

Ostdeutschland: Scheitern in der Nachwendzeit benennen

Doch Vorsicht, wenn wieder nur Hauptstädter mit Geld winken und als Ufo im Osten landen, um Aufarbeitung dekorativ ins Schaufenster zu hieven, das geht schief. Ich stelle mir aus Berlin oder Boom-Städten wie Leipzig oder Dresden per ICE einpendelnde Experten vor, die ganz genau wissen wie es geht. Wichtig sind also die Menschen, die so einem Zentrum Leben einhauchen. Sie müssen mindestens ostsozialisiert sein. Und sie müssen den Willen haben, Zukunft zu gestalten, indem sie Vergangenes sichtbar machen – auch wenn es manchmal schmerzhaft ist.

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Scheitern benennen, kluge Menschen einladen, Zuhören. So kann das Klappen mit der  „Verbeugung vor der Lebensleistung der Ostdeutschen“, wie Mathias Platzek das Projekt nennt. Eine Verbeugung mit Verspätung, muss man sagen. Spät ist aber besser als nie. Gerade jetzt sehen die Menschen, wie kostbar der Schatz ist, den die friedliche Revolution in Deutschland darstellt. Diese Leistung der Menschen, die sie ermöglicht haben zu würdigen, ihre Sorgen und Ängste danach zu benennen und aus den Fehlern zu lernen: dafür kann die neue Zentrale Zeitenwende gar nicht schnell genug an den Start gehen.

Stefanie Hildebrandt schreibt regelmäßig im KURIER über Berlins Kieze und den Osten.
Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com