Einen wunderschönen Tag wünsche ich – und bitte wundern Sie sich nicht, dass ich mich heute mit einer tierischen Kolumne und nicht mit einer Geschichte aus dem Osten melde. Der Autorentausch hat einen besonderen Grund: Denn seit Tagen habe ich eine Meise – und die ist echt bekloppt!
Nicht etwa, dass ich in meinem Oberstübchen einen Vogel hätte. Ich kann Sie beruhigen, es ist nicht so. Aber ich möchte Ihnen von einem Vogel erzählen, der derzeit mein Leben bestimmt – und der tatsächlich bekloppt ist.
Vor einer Woche fing es an. Da saß doch eines Morgens so ein freches, kugelrundes Kerlchen vor dem Küchenfenster und pochte permanent mit seinem winzigen Schnabel gegen die Scheibe, während ich Kaffee machte. Klopf, klopf, dann flog der Piepmatz weg, drehte eine Runde – war wieder am Fenster und klopfte an.
Zuerst fand ich das ja recht witzig. Aber nicht mehr, als das Geklopfe kein Ende nehmen wollte. Es ging den ganzen Vormittag so. Der Vogel machte auch mittags und am Nachmittag Krach. Er klopfte, was das Zeug hielt, immer wieder gegen die Fensterscheibe, bis es dunkel wurde.
So ging es auch an den anderen Tagen. Und nicht nur am Küchenfenster nervte der Vogel, auch am Wohn- und Schlafzimmerfenster war er im Einsatz, als wäre er ein Specht. Dabei ist der Piepser in Wahrheit sogar kleiner als ein Spatz. Aber hämmern kann er wie ein Großer. Dieser total bekloppte Vogel hat wirklich eine Meise!

Schau mal, wer da klopft! Bei unserem Autor ist es eine Schwanzmeise, die ans Fenster hämmert
Er hat nicht nur eine, er ist auch eine – eine Schwanzmeise. Die Art hat in den vergangenen Jahren ihren Weg aus Norddeutschland zu uns in die Hauptstadt gefunden, man sieht sie in Gärten und Parks.
Während ich nun an den Fenstern wild mit den Armen herumfuchtle, um den Störenfried zu vertreiben, hatte ich genug Gelegenheit, mir den Vogel näher anzuschauen. Mit seinem weißen Köpfchen und den schwarzen Knopfäuglein sieht er ja wirklich süß aus. Sein Gefieder ist schwarz-weiß, hat noch einen leicht rötlichen Farbtupfer hinter dem Köpfchen.
Wenn die Schwanzmeise nicht gerade an meine Fensterscheiben klopft, turnt sie auf den Ästen eines Baumes herum, angelt geschickt nach Insekten oder putzt sich kopfüber das Gefieder. Da wird mir auch klar, warum die Meise ihren Namen hat. Mit dem bis zu acht Zentimeter langen Schwanz, der fast die Hälfte des Körpers des bis zu 15 Zentimeter großen Vogels ausmacht, balanciert er geschickt seine Turnhaltung auf den Ästen aus.
Mit dem Herumfuchteln erreiche ich jedenfalls nichts. Auch als ich mit meiner Spiegelreflexkamera auftauche und das lange Objektiv wie eine Waffe auf den Vogel richte, lässt er sich nicht vertreiben. Der freche Kerl posiert sogar noch wie ein Model, damit ich ihn schön knipsen kann, bevor er wieder klopft.
Bekloppte Meise: Will sie in der Zimmerpalme ihr Nest bauen?

Ich fühle mich schon selber leicht bekloppt, als ich anfange, mit der Meise durch die Scheibe zu reden. „Ich hole gleich eine Katze“, sage ich ihr. Doch die Meise klopft weiter, vor allem am Wohnzimmerfenster. Da wird mir klar: Da steht eine Zimmerpalme. Und da möchte der Vogel hin, um sich ein Nest zu bauen. Denn jetzt ist ja schließlich Brutzeit.

Mittlerweile habe ich diesen bekloppten Vogel lieb gewonnen. Als er gestern nicht mehr klopfte, machte ich mir sogar schon Sorgen. Hat ihn etwa doch die Katze geholt? Oder hat er sich beim Gehämmer verletzt?
Aber nein – heute früh vernahm ich vertraute Töne! Am Schlafzimmerfenster, wo um halb sechs der verrückte Vogel im Sekundentakt klopfte und nicht nur mich aus dem Schlaf riss. Meine Frau war sauer, aber ich bin überglücklich, dass der Piepmatz wieder da ist. Denn dank der Schwanzmeise brauche ich nun keinen Wecker mehr!
Norbert Koch-Klaucke schreibt normalerweise freitags im KURIER über Geschichten aus dem Osten. Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com ■