Hertha-Kolumne

Hertha BSC und der Pokal: Das hat Herz-Infarkt-Potenzial!

Wiederholungsspiele, Dramen in der Verlängerung und im Elfmeterschießen. Vor dem Duell mit dem Hamburger SV haben Blau-Weiße eigentlich bereits alles erlebt. 

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Hertha-Torwart Gabor Kiraly hielt im Oktober 2003 gegen Rostock den entscheidenden Elfmeter und rettete Hertha BSC und Trainer Huub Stevens vor dem Aus.
Hertha-Torwart Gabor Kiraly hielt im Oktober 2003 gegen Rostock den entscheidenden Elfmeter und rettete Hertha BSC und Trainer Huub Stevens vor dem Aus.Bernd König/imago

Rostocker Ostseestadion am 28. Oktober 2003 gegen 22.15 Uhr: Torhüter Gabor Kiraly wartet in seiner langen grauen Schlabberhose auf den letzten und alles entscheidenden Strafstoß von Gernot Plassnegger. Als der Ungar den Schuss parierte und sich die Mannschaft von Hertha BSC wild auf den Keeper stürzte, brüllte ich als Reporter den dramatischen Sieg in Runde zwei des DFB-Pokals in mein Handy - am anderen Ende mein Kollege in der Berliner Redaktion. Hertha hatte beim FC Hansa Rostock mit 6:5 nach Elfmeterschießen gewonnen. Erst der zwölfte Strafstoß (!) brachte die Entscheidung in diesem Drama.

Die Situation war damals grotesk, denn Manager Dieter Hoeneß hatte Trainer Huub Stevens ein krasses Ultimatum gestellt. Der „Knurrer aus Kerkrade“ musste zwei Spiele in Folge gewinnen, um seinen Job zu behalten. Siegen oder Fliegen! Binnen weniger Tage musste Hertha zweimal in Rostock antreten, zuerst in der Liga (1:0-Sieg) und danach im Pokal. In der Kabine haben alle Spieler samt Trainer geheult – so groß war der Druck.

Für Huub Stevens galt einst bei Hertha: Siegen oder Fliegen

Solche Erlebnisse mit Herz-Infarkt-Potenzial gibt es am häufigsten im Pokal-Wettbewerb. Gabor Kiraly gehört in der bewegten Cup-Historie der Hertha zu den unvergessenen Helden. Dazu zählen natürlich auch die wunderbaren Hertha-Bubis, die 1993 Fußball-Berlin wochenlang in Atem hielten und verzauberten. Es war das erste Mal, dass ein Drittligist das Pokal-Endspiel erreichte. Herthas Nachwuchs spielte damals in der Oberliga Nordost, Staffel Mitte und unterlag im Finale dem Bundesligisten Bayer Leverkusen mit 0:1.

Blau-weiße Erleichterung: Rafael und Trainer Huub Stevens feiern 2003 Herthas Pokalhelden Gabor Kiraly.
Blau-weiße Erleichterung: Rafael und Trainer Huub Stevens feiern 2003 Herthas Pokalhelden Gabor Kiraly.Höhne/imago

Noch näher vor dem Pokalsieg als die Bubis, die das entscheidende Gegentor nach 77 Minuten kassierten, standen einst die Profis der Hertha in den 1970er Jahren. Die gingen auch als Verlierer vom Platz, brachten Pechvögel hervor und produzierten Kuriosa.

Hertha und die 116. Minute im Pokal

So hätte Hertha beinahe seinen populären Abwehrchef Uwe Kliemann für immer als Profi verloren. Der Libero, stattliche 1,96 Meter groß und 95 Kilo schwer, wurde der „Funkturm“ genannt. Nach dem DFB-Pokalfinale am 23. Juni 1979 in Hannover zwischen Hertha und Fortuna Düsseldorf (0:1 nach Verlängerung) sagte Kliemann frustriert: „Eigentlich wollte ich ins buddhistische Kloster nach Frohnau gehen, aber ich habe es mir nochmal überlegt.“

Ein Mönch ist Kliemann nicht geworden, aber sein schlampiger Rückpass in Minute 116 auf Torhüter Norbert Nigbur wurde für ihn zum Albtraum. Fortunen-Stürmer Wolfgang Seel spritzte dazwischen und hämmerte den Ball zum Siegtreffer ein. „Ich konnte mich ja nicht erschießen“, war Kliemanns erste Reaktion. Später bekam der „Funkturm“ von Freunden ein T-Shirt geschenkt mit einem Foto der Szene und dem Aufdruck „Kliemann 116.“

Ex-Herthaner Karl-Heinz Granitza gegen den HSV im Stadion

Bemerkenswert, dass die 116. Minute bereits zwei Jahre zuvor eine unglückliche Rolle für Hertha spielte. Die Berliner hatten zum ersten Mal das DFB-Pokalfinale erreicht, wieder war Hannover der Schauplatz am 28. Mai 1977. Der Gegner hieß 1. FC Köln. Beim Stand von 1:1 ging es in die Verlängerung. Und in der 116. Minute war es der Kölner Gerd Strack, der Herthas Torjäger Karl-Heinz Granitza heftig foulte, doch der Elfmeterpfiff blieb aus! Mittelstürmer Granitza erinnert sich ganz genau an die Szene und sagte mir dieser Tage: „Strack hatte mich im Strafraum mit beiden Händen niedergerissen, es war ein hundertprozentiger Elfmeter! Später gab Strack das Foul zu.“

Das Duell gegen Köln 1977 wurde zwei Tage später wiederholt, da es noch kein Elfmeterschießen nach 120 Minuten im Finale gab. Köln siegte mit 1:0.

Granitza (72) wird am heutigen Mittwochabend im Olympiastadion sitzen, wenn Hertha im Pokal-Achtelfinale beim Duell der Zweitliga-Riesen auf den  Hamburger SV trifft. Mit dem einstigen Torjäger war ich mir einig: Sollte es in die Verlängerung gehen, muss die Entscheidung für Hertha unbedingt vor der 116. Minute fallen!