Cristian Fiel, Herthas Cheftrainer, sagt nach folgenschweren Fehlern seiner Profis gern entschuldigend: „Meine Spieler sind auch nur Menschen!“ Man kann diesen Spruch locker erweitern – auch Fußballlehrer sind nur Menschen. Sie stehen ständig unter Erfolgsdruck und reagieren nach Niederlagen sehr unterschiedlich. Die weit über zwei Dutzend Cheftrainer von Hertha, die ich als Reporter erleben konnte, zeigten oft heftige Emotionen nach miesen Auftritten ihrer Mannschaft.
So faltete etwa Huub Stevens die Profis im September 2003 nach sechs sieglosen Duellen in der Liga und einem trostlosen 0:0 im Uefa-Cup gegen Groclin Grodzisk aus Polen öffentlich auf dem Trainingsplatz zusammen – lautstark und in Einzelkritik vor zahlreichen staunenden Kiebitzen. Dabei schob er die Spieler wie Schachfiguren auf dem Rasen hin und her.

Jos Luhukay hat nach einer Pleite von Hertha BSC fast eine Kabine auseinandergenommen
Sein holländischer Landsmann Jos Luhukay soll nach einer blamablen 1:3-Niederlage beim FSV Frankfurt im August 2012 beinahe die Gäste-Kabine auseinandergenommen haben. Danach sagte er: „Es war das erste Mal nach 20 Jahren als Trainer, dass ich so extrem laut geworden bin. Das ist nicht gut für mein Herz.“
Ganz anders reagierten etwa die Trainer Tayfun Korkut und Sandro Schwarz in der jüngeren Vergangenheit. Korkut wiederholte stoisch nach Niederlagen: „Das Momentum war nicht auf unserer Seite!“ Und Schwarz verbreitete nach Pleiten stets Hoffnung: „Wir haben in der Vergangenheit schon bewiesen, dass wir es besser können.“ Doch dann war es zu spät …
Fiel kritisierte Hertha BSC sogar nach einem Sieg heftig
Soweit ein Blick in den Rückspiegel. Aktuell kam es unter Cheftrainer Cristian Fiel aus meiner Sicht zu einem Novum. Der Coach kritisierte seine Mannschaft sogar nach einem Sieg heftig – dem 3:1 gegen Eintracht Braunschweig. Fiel polterte, weil die Spieler zum wiederholten Male seine Spielidee, die unter der Woche intensiv trainiert wird, nicht umsetzen. Es scheint, als ob das hochtalentierte Ensemble Fiels Philosophie vom offensiven, dominanten Ballbesitzfußball noch immer nicht verinnerlicht hat. Dieser sehr ambitionierte Stil verlangt vor allem absolute Konzentration und enorme Laufbereitschaft.
Die gegenwärtige Situation erinnert mich an die Anfänge der Saison 2019/20. Parallelen gibt es durchaus – natürlich mit anderen Protagonisten. Vor fünf Jahren wollten die Verantwortlichen nach sorgenfreien viereinhalb Jahren unter Trainer Pal Dardai mit einem neuen Mann „attraktiven, offensiven, dominanten“ Fußball sehen. So Manager Michael Preetz. Das sollte Ante Covic richten. Preetz lobte: „Ante ist ein emotionaler, offensiv denkender Typ!“ Das traf zu. Covic arbeitete mit Feuereifer. Sein Handicap: Investor Lars Windhorst war gerade mit den ersten 125 Millionen Euro bei Hertha eingestiegen, die Erwartungen kletterten blitzschnell ins Unermessliche und mit Jürgen Klinsmann brachte sich bereits ein prominenter Nachfolger in Stellung. Nach zwölf Spielen und vier Niederlagen in Serie musste Covic gehen. Klinsmann übernahm mit viel Getöse. Der Ausgang der Geschichte ist bekannt.
Cristian Fiel steht für den offensiven Gedanken bei Hertha BSC
Fünf Jahre später wurde Cheftrainer Cristian Fiel von Sportdirektor Benjamin Weber mit den Worten vorgestellt: „Wir haben einen Trainer gesucht mit Erfahrung in dieser Liga, der emotional ist und junge Spieler entwickeln kann. Und der einen offensiven, dominanten Spielgedanken pflegt.“
Trotz der Parallelen in Wortwahl und Spielausrichtung: Fiel ist in einer komfortableren Lage als einst Covic. Die Erwartungen sind ebenfalls hoch, aber längst realistisch. Ein „neuer Klinsmann“ droht auch nicht. Fiel wird die Zeit bekommen, um das Team weit nach oben zu führen. Dafür müssen die Profis aber den oft extrem hohen Ballbesitz – meist um die 65 Prozent – samt Dominanz endlich in mehr Torgefahr und Siege ummünzen.
Was eine Wutrede bewirken kann, zeigte einst Trainer Jos Luhukay. Nach seinem emotionalen Ausbruch in der Kabine schon am zweiten Spieltag der Saison 2012/13 eilte die Mannschaft von Erfolg zu Erfolg und stieg am Ende mit neun Punkten Vorsprung vor Eintracht Braunschweig in die Erste Liga auf. Cristian Fiel – bitte nachmachen! ■