Ein jubelnder Fabian Reese, ein trauriger Fabian Reese, ein enttäuschter Fabian Reese. Herthas Unterschiedsspieler hat viele Gesichter. Die waren am zurückliegenden Spieltag der Zweiten Liga während der TV-Übertragung von Herthas 2:2 gegen den aufmüpfigen Aufsteiger SSV Ulm zu sehen. Immer wieder wurde der 26-Jährige, der auf der Tribüne saß und litt, von der Regie eingeblendet. Jetzt hoffen alle sehnsüchtig, dass der Flügelflitzer endlich seinen ungeliebten Platz auf der Tribüne gegen seinen Stammplatz im Team tauschen kann.
Reese, der sich Mitte Juli im Test bei Energie Cottbus schwer verletzte, weil er grob gefoult worden war, steht vor seinem Comeback. Nach der Verletzung am Sprunggelenk samt Operation und Reha stieg er in der vorigen Woche wieder ins Mannschafts-Training ein und die Fans zählen aufgeregt wie kleine Kinder die Tage bis zu seinem ersten Einsatz.

Verständlich, denn der Offensivgeist eroberte den Klub in der vergangenen Saison im Sturm, stieg zum Garanten für einige glanzvolle Auftritte und unvergessene Momente auf. Selten hat ein Spieler einer Hertha-Mannschaft so gefehlt wie Reese, selten war die Abhängigkeit von einem Profi so groß. Ein Unterschiedsspieler zu sein, bringt einem Team Segen und ab und an Fluch zugleich. Letzteres wenn er ausfällt und zu wenige Mitstreiter auf seinem hohen Level hat. Reese schaffte in der Vorsaison in der Liga in 31 Spielen neun Tore und gab unglaubliche 18 Assists, die zu Treffern führten. Eine atemberaubende Ausbeute.
Ohne Marcelinho war es schwer
Ich weiß, der Vergleich hinkt ein wenig, aber in den zurückliegenden 25 Jahren gab es aus meiner Sicht nur einen Profi, von dem Hertha auch so extrem abhängig war wie nun von Reese: den Brasilianer Marcelinho. Der kam Anfang bis Mitte der 2000er-Jahre in 155 Bundesligaspielen auf 65 Tore und 49 Assists! Eine Bilanz zum mit der Zunge schnalzen! In vier Spielzeiten traf der extrovertierte Lebemann mit der robusten Muskulatur zweistellig.
Auf dem Höhepunkt angelangt war das Enfant terrible in der Saison 2004/05, als er 18 Tore schoss und 13 Assists gab. Als sich der fünfmalige Nationalspieler 2003 einen Mittelfußbruch zuzog und sieben Spiele ausfiel, kam die Mannschaft lediglich auf fünf Remis und kassierte zwei Niederlagen. Ihr fehlte ihr Herzstück. Das illustriert die Bedeutung dieses schillernden Profis, der nachts gerne um die Häuser zog, aber dennoch pünktlich zum Training erschien.

Und da bin ich wieder bei Fabian Reese. Als der im Vorjahr kurz vor Weihnachten wegen eines hartnäckigen Infekts für drei Spiele ausfiel, blieben seine Teamkameraden sieglos. Es gab eine Niederlage und zwei Remis. Auch dieser Berliner Truppe fehlte ihr Mittelpunkt an allen Ecken und Enden. Reeses großartige Bilanz hat er im Gegensatz zu Marcelinho „nur“ in Liga zwei erzielt und erst in einer Saison. Er ist aber – um bei einem Vergleich zu bleiben – noch mehr ein „Mentalitätsmonster“, ein sehr leidenschaftlicher Antreiber, als es einst Freigeist Marcelinho war.
Allein Reeses Anwesenheit beflügelt Hertha
Den Brasilianer, der auf zentraler Position brillierte, kann man als launig beschreiben. Hatte er keine Lust, mussten andere für ihn rennen, denn wenn er den Ball verloren hatte, blieb er meist stehen. Und: Ohne einen Pal Dardai im Rücken wäre seine Bilanz vielleicht nicht ganz so großartig ausgefallen. Der Ungar sagte dennoch einmal bescheiden: „Wenn Pal Scheiße gespielt hatte, hat Marcelinho vorne die Tore gemacht und alle haben vergessen, dass Pal Scheiße gespielt hat.“
Nun aber warten alle bei Hertha auf die Rückkehr von Reese. Schon seine Anwesenheit auf dem Platz wird dem Team Selbstvertrauen bringen. Der Glaube, dass er das Team zurück in die Erste Liga führen kann, ist groß. Die mutige, offensive Spielidee von Trainer Cristian Fiel sollte für Reese vorteilhaft sein. ■