Gut fünf Stunden mit der Deutschen Bahn benötigten viele der insgesamt 1800 Hertha-Fans am zurückliegenden Sonntagnachmittag für die Rücktour von Darmstadt nach Berlin. Ein torloses 0:0 hatten sie erlebt gegen die bislang ungeschlagene Mannschaft von Darmstadt 98, dazu viele vergebene, teils 100-prozentige Chancen ihrer Hertha, Pfostentreffer und ein aberkanntes Tor. Man kann behaupten: Erst hatten die Berliner Pech und dann kam kein Glück dazu.
Die gut 570 Kilometer von Hessen zurück in die Hauptstadt zogen sich auch mit dem Zug in die Länge. Mit dabei war auch Fan-Urgestein Manfred Sangel (65), der einst im Alter von sechs Jahren an der Hand seines Vaters zum ersten Mal zu einem Hertha-Spiel ins Olympiastadion durfte. Mit welchen Empfindungen ist er zurückgefahren? Vielleicht mit klitzekleinen Glücksgefühlen, weil sich die Mannschaft endlich gesteigert hatte? Oder eher mit Frust, weil nun wieder der hämische Kalauer („Willst du Hertha oben sehen, musst du die Tabelle drehen“) auf die Blau-Weißen Anhänger einprasselt? Das Team steht mit mageren zwei Pünktchen auf Rang 17, dem vorletzten Platz der Zweiten Liga.

Hintergrund meiner Nachfrage nach möglichen Glücksgefühlen ist eine repräsentative Sonderstudie für den SKL-Glücksatlas, in dem es um die Lebenszufriedenheit geht und die feststellt: „Fußball macht glücklich“! Datengrundlage war eine Befragung von 5145 Personen im Alter von 18 bis 70 Jahren im Juni dieses Jahres.
Manfred Sangel, der einst 30 Jahre das „Hertha-Echo – Radio von Fans für Fans“ geleitet und moderiert hatte, sei doch mit leichten Glücksgefühlen aus Darmstadt zurückgekehrt, schilderte er mir. Die Leistung sei „ein Schritt in die richtige Richtung“ gewesen. Und: Man habe sich eingeredet, man sei ja nun drei Spiele in Serie – inklusive DFB-Pokal – ohne Niederlage geblieben. Humor haben sie ja, die Hertha-Fans oder eher Galgenhumor …
Fan-Urgestein Manfred Sangel: „Wir gehen nicht zum Fußball, wir gehen zu Hertha“
Sangel aber hätte meiner Meinung nach bestens als Proband für die Glücksatlas-Studie in Sachen Fußball gepasst. Die besagt etwa, dass allein bereits Fußballschauen mit einer höheren Lebenszufriedenheit einhergeht. Das zusätzliche aktive Fan-Sein verstärke zudem die positiven Effekte. Und – ein eigenes Engagement, meist ehrenamtlich, beim Herzensverein mache noch glücklicher. Hinzu komme: Gemeinsames Fußball-Erleben mit der Partnerin oder dem Partner stärke die Beziehung.

Fast alle Aussagen dieser Studie kann Manfred Sangel mehr oder weniger bestätigen, auch wenn er Fan eines großen Vereins ist, der oft mehr Frust als Lust produziert und nur wenige Trophäen in den Vitrinen ausstellen kann. Er sagt: „Hertha ist seit Jahrzehnten mein Lebenselixier. Meine Kumpels, meine Frau Susi und ich gehen ja nicht zum Fußball, wir gehen zu Hertha!“
Der „ewige“ Fan weiß: „Manche halten uns für bekloppt, weil wir stressige Auswärtsfahrten auf uns nehmen, oft mit Niederlagen leben müssen und dennoch erneut ins Stadion pilgern. Aber es ist das Gemeinschaftsgefühl, das glücklich macht – so wie in einer Ehe.“ Da geht Sangel mit der Studie völlig konform, die besagt, dass der „Glückseffekt“ durch das aktive Erleben der Spiele entsteht, durch gemeinsames Mitfiebern, auch gemeinsames Leiden.
Manfred Sangel hat durch seine lange Tätigkeit beim Fanradio viele Protagonisten der Hertha kennengelernt, unzählige Kontakte hergestellt und gepflegt. Er ist ein anerkannter Mann in der Fanszene, der sich als Teil einer Gemeinschaft fühlt. Privat ist er mit seiner Susi, die man im Olympiastadion stets mit blau-weißem Schal treffen kann, seit 1993 verheiratet. Die Hochzeit fand ein paar Tage nach dem DFB-Pokalfinale statt, das die Hertha-Amateure, die „Bubis“, sensationell erreicht hatten (0:1 gegen Bayer Leverkusen). Damals jagte also ein Großereignis das nächste bei den Sangels.
Lang ist es her. Jetzt aber sollte die Mannschaft von Cheftrainer Stefan Leitl endlich eine Siegesserie starten. Denn wie lange Glücksgefühle der Anhänger anhalten, sagt die Studie nicht.