Augenfälliger konnte der Unterschied kaum sein. Auf der Haupttribüne die Helden von einst, auf dem Rasen die Verlierer von heute. In den beiden zurückliegenden Heimspielen erinnerte man sich bei Hertha BSC traditionsbewusst an die teils glorreiche Vergangenheit und musste parallel die triste Gegenwart ertragen. So erlebten die Pleite gegen den Aufsteiger Preußen Münster (1:2) als Ehrengäste einige Akteure, die vor 50 Jahren in der Saison 1974/75 die ersten beiden Stadtderbys in der Ersten Bundesliga gegen den alten Rivalen Tennis Borussia gewonnen hatten (3:0 und 2:1). Hertha-Legende Erich Beer (78) war dabei, auch der ehemalige schnelle Angreifer Detlev Szymanek (70), Verteidiger-As Michael Sziedat (72), Mittelfeld-Dirigent Wolfgang Sidka (70) oder „Funkturm“ Uwe Kliemann (75).
Hertha BSC macht blau-weiße Helden traurig
Drei Wochen zuvor, beim schwachen 2:2 gegen den anderen Aufsteiger SSV Ulm, verfolgen einige Protagonisten, die vor 25 Jahren das berühmte Nebelspiel in der Champions League gegen den FC Barcelona (1:1) bestritten hatten, die Partie auf der Ehrentribüne, etwa Dariusz Wosz, Kai Michalke und Kjetil Rekdal. All diese alten Recken freuten sich sehr übers Wiedersehen, ärgerten sich aber zugleich über die Auftritte ihrer Nachfolger und stellten diesen kein gutes Zeugnis aus. Der Norweger Kjetil Rekdal, 1999 der Mannschafts-Kapitän, urteilte: „Ich habe keine Aufsteiger-Mannschaft gesehen!“
Wer als langjähriger Anhänger der Hertha derzeit die Heimspiele im Olympiastadion besucht, kann sich nur durch die Erinnerung an alte, erfolgreiche Zeiten erwärmen. Für viele Anhänger besonders schwer zu ertragen ist die Tatsache, dass das Olympiastadion derzeit zum Wallfahrtsort gegnerischer Fans geworden ist, die zu Tausenden einen Berlin-Besuch mit dem Auswärtsspiel ihrer Mannschaft verbinden. Diese Gäste-Teams, zuvor meist mit mittelmäßigen Leistungen unterwegs, machten die anfällige Hertha oft zum Aufbaugegner für sich selbst. Noch nie war die Heimbilanz so desaströs wie in dieser Hinrunde: zwei Siege, ein Remis und fünf Niederlagen bei 10:14 Toren!
Hertha-Trainer Cristian Fiel wirkt ratlos
Ganz anders sah es bei den Protagonisten von einst aus. 1974/75 führte Kapitän Erich Beer das Team zum Vizemeistertitel hinter Borussia Mönchengladbach. Das Olympiastadion galt als uneinnehmbare Festung. Es gab 15 Heimsiege und zwei Remis. Hertha blieb ungeschlagen! Auch die Champions-League-Truppe 1999/2000 gewann neun Heimspiele, dazu kamen sechs Unentschieden und nur zwei Niederlagen.

Die gegenwärtige Heimschwäche, das Versagen gegen spielerisch limitierte Gegner, ist nur ein Detail der Krise. Die Erklärungen von Cheftrainer Cristian Fiel, der ohne Zweifel spielerische Fortschritte brachte, die sich aber nicht in Resultaten niederschlugen, ähneln sich und lassen den 44-Jährigen auch ein wenig ratlos erscheinen. Doch die Kritik der Vereinsspitze an der Performance auf dem Rasen geriet bislang nur watteweich.
Harmonie bei Hertha BSC in Gefahr
Man kann den Eindruck gewinnen, dass sich der Klub in der Zweiten Liga eingerichtet hat. Das Ziel „sofortiger Wiederaufstieg“ wurde leider nie öffentlich propagiert, stattdessen hieß es eher allgemein, man wolle möglichst jedes Spiel gewinnen. Unter Sportdirektor Benjamin Weber und Zecke Neuendorf, dem Leiter Akademie und Lizenzspieler-Abteilung, wurde der vom verstorbenen Präsidenten Kay Bernstein initiierte „Berliner Weg“ konsequent fortgesetzt. Das brachte zahlreiche positive und viel beachtete Ergebnisse hervor - vor allem außerhalb des Platzes: einen enormen Zuschauerzuspruch bei Heim- und Auswärtsspielen, den starken Mitgliederzuwachs auf über 58.000 Herthaner und ein harmonisches Miteinander. Auf der Mitgliederversammlung im November fiel mir als Beobachter auf, dass bei allen Rednern – ob Klubspitze oder einfaches Mitglied – das Wohl und Wehe der „Hertha-Familie“ im Mittelpunkt stand, aber sportlich nicht der unbedingte Wille zur sofortigen Rückkehr ins Oberhaus.
Vielleicht hat die bislang vorherrschende, oft kuschelig anmutende Harmonie, zu wenige Reibungspunkte ergeben – auch auf dem Rasen? Das ist nur schwer zu beantworten. Doch ab sofort sollte die Gier nach Siegen und das Schaffen eines Reizklimas im Mittelpunkt stehen. Sonst ist es auch mit der Harmonie schnell vorbei. ■