Was ist eigentlich ein „Momentum“? Kann man es festhalten? Oder gleitet es einem dabei durch die Hände und beim Fußball durch die Beine? Ich habe mich kundig gemacht. Ein „Momentum“ ist so etwas wie ein „entscheidender Augenblick“ und kann speziell im Sport auch ein psychologischer Vorteil sein.
Nun ja, Herthas Cheftrainer Cristian Fiel sagte jedenfalls nach der jüngsten 0:1-Niederlage gegen den 1. FC Kaiserslautern, der siebten Heim-Pleite im Olympiastadion – die Arena bietet in dieser Saison nur für Herthas Gegner psychologische Vorteile – „das Momentum ist gerade nicht auf unserer Seite!“ Stimmt! Als auch noch Markus Anfang, der Coach der „Roten Teufel“, seinem Kollegen Fiel Mut machte mit den Worten: „Das Momentum ist derzeit nicht auf eurer Seite. Wenn es wiederkommt, kommen auch die Punkte!“, da erlebte ich endgültig mein Déjà-vu.
Tayfun Korkut suchte das Momentum vergebens
Den wohl bei Trainern nach Niederlagen beliebten „Momentum-Entschuldigungs-Satz“ benutzte nämlich der ehemalige Hertha-Kurzzeit-Coach Tayfun Korkut (November 2021 bis März 2022) in einer Art Dauerschleife nach acht Niederlagen in 13 Spielen unter seiner Verantwortung. Er fand das „Momentum“ nicht wieder und wurde entlassen.
Mein geschätzter Journalisten-Kollege Stefan Hermanns erinnerte vor wenigen Tagen an den 5. Februar 2015, als Pal Dardai zum ersten Mal zum Cheftrainer der Hertha befördert wurde. Zwei Tag danach gewann er mit 2:0 bei Mainz 05, hatte das Momentum auf seiner Seite. Und dabei blieb es sehr lange. Aus einem „entscheidenden Augenblick“ wurden 1600 Tage mit Dardai, in denen zweimal Europacup-Plätze erreicht wurden und die Mannschaft nie in Abstiegsgefahr geriet. Eine entspannte Zeit!
Auch Preetz saß in der Momentum-Falle
Nach der Trennung vom Ungarn im Sommer 2019 begannen Ereignisse, die ich heute als Déjà-vu empfinde. Nachfolger Ante Covic sollte laut Manager Michael Preetz „offensiven, attraktiven Fußball“ spielen lassen. Nach zwölf Spielen und sieben Niederlagen war das Experiment beendet, auch weil im Hintergrund schon „Weltmann“ Jürgen Klinsmann ante portas stand und Investor Lars Windhorst mit Millionen winkte.

Fünf Jahre später, Hertha war viele Millionen Euro und um etliche Illusionen ärmer, verpflichtete Hertha mit Cristian Fiel wieder einen Dardai-Nachfolger mit identischen Vorgaben. Sportdirektor Benjamin Weber holte Fiel u.a. auch, weil der „einen offensiven, dominanten Spielgedanken pflegt“. Wie sich doch die Worte und Ideen der Sportchefs gleichen! Nun droht aber auch Fiel zu scheitern. Für seine innovative Spielphilosophie – der 44-Jährige hat als übermächtiges Vorbild Pep-Guardiola-Fußball im Kopf – ist das Gros seiner Profis schlicht noch nicht geeignet. In Liga zwei ist neben den spielerischen Elementen vor allem Kampf, Wille und Zweikampfhärte gefragt.
Auch Sandro Schwarz war zu lange da
Noch ein Déjà-vu will ich nicht verschweigen. Als im Sommer 2022 Sandro Schwarz als Trainer verpflichtet wurde, war die Hoffnung auf erfolgreichen Fußball groß. Schwarz, der schon bewiesen hatte, ein guter Fußballlehrer zu sein, verwies nach einer Serie von Pleiten gebetsmühlenartig darauf, dass man ja vorher schon oft gezeigt habe, es besser zu können. Das Vertrauen in Schwarz war auch noch im Februar 2023 nach vier Spielen im neuen Jahr (0 Punkte, 1:13 Tore) nicht aufgebraucht. Erst am 28. Spieltag, als das Team auf dem letzten Tabellenplatz angekommen war, zog man die Reißleine. Zu spät. Hertha stieg ab.

Aktuell – in Liga zwei – stehen die Klubchefs nach nur einem Sieg in den letzten acht Pflichtspielen weiter hinter Cristian Fiel. An ein Abrutschen Richtung Relegationsrang 16 (es sind nur sieben Punkte Abstand) will ich nicht denken. Fiel rettet nur ein Sieg am Sonnabend beim Spiel in Düsseldorf. Er muss das berühmte „Momentum“ mit allen Mitteln auf seine Seite ziehen und eine positive Serie starten. Sonst ist sein Engagement krachend gescheitert. Das passierte seit 2019 mit über einer Handvoll Trainern viel zu oft. ■