Hertha-Kolumne

500 Tage Kay Bernstein: Rätsel im Hertha-Krimi fast alle gelöst

Der Präsident der Blau-Weißen bearbeitete in seiner kurzen Amtszeit mehr Probleme als andere in zehn Jahren nicht.

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Hertha-Präsident Kay Bernstein kann sich in seiner noch relativ kurzen Amtszeit über Arbeit nicht beklagen.
Hertha-Präsident Kay Bernstein kann sich in seiner noch relativ kurzen Amtszeit über Arbeit nicht beklagen.Sören Stache/dpa

Es ist jetzt mehr als vier Wochen her, dass Kay Bernstein, Herthas Präsident, seinen Verein unfreiwillig in die Schlagzeilen brachte, hier und da für reichlich Häme sorgte nach dem Motto: „Typisch Hertha! Nicht mal richtig bewegen können sich die Chefs auf den Fluren der Geschäftsstelle!“

Bei einem übermütigen Brustcheck mit einem Kollegen hatte Bernstein sich drei Wirbelquerfortsätze gebrochen und musste ins Krankenhaus. Es geht ihm inzwischen wieder gut. Auf die Intensivstation – wie sein Verein zu Beginn seiner Amtszeit – musste er vor Wochen nicht. Er lag auf der Normalstation und – um im Bild zu bleiben – dahin bewegt sich auch die wirtschaftlich arg angeschlagene Hertha.

Bernstein ist jetzt etwas mehr als 500 Tage im Amt, normalerweise gibt es in der Politik eine „100-Tage-Schonfrist“, die jedem Verantwortlichen eingeräumt wird, um sich in seine Aufgaben einzuarbeiten, ehe man Kritik übt und eine erste Bilanz zieht.

Kay Bernstein wollte das nach 100 Tagen Anfang Oktober 2022 auch tun. Doch neue brisante Details in der Fehde zwischen Investor Lars Windhorst und dem ehemaligen Präsidenten Werner Gegenbauer verhinderten damals die Bilanz-Pressekonferenz. Jetzt sagte Bernstein der Welt am Sonntag: „Was ich in 500 Tagen erlebt habe, erleben andere Präsidenten nicht in zehn Jahren!“

Von Lars Windhorst bis zur Frauen-Mannschaft

Seine Erlebnisse seit Ende Juni vorigen Jahres, als er zum Präsidenten gewählt wurde, erzählte er nun im Zeitraffer:  Trennung von Investor Lars Windhorst nach einer Spionage-Affäre gegenüber Werner Gegenbauer, Gewinnung des neuen Investors 777 Partners aus Miami, Trennung von Geschäftsführer Fredi Bobic und Berufung von Benjamin Weber zum neuen Sportdirektor, Entlassung von Trainer Sandro Schwarz und Bestellung von Pal Dardai als neuen Chefcoach, Ausrufen des „Berliner Weges“ in der Personalpolitik für Mannschaft und Klubführung, Befriedung der Gremien samt besserer Kommunikation, Neuausrichtung der Mitgliederversammlungen im „Talk- oder Dialogformat“, Erarbeitung eines knallharten Sanierungskonzeptes mit Geschäftsführer Tom Herrich – verbunden mit schmerzhaftem Personalabbau, dann der bittere Abstieg in die Zweite Liga, der nervenaufreibende Kampf um die Lizenz, die komplizierte Fahndung nach einem neuen Hauptsponsor, die Affäre um Torhüter Marius Gersbeck, der Aufbau einer Frauen-Mannschaft …

Ein Herz und eine Seele waren sie wohl nie: Kay Bernstein und Fredi Bobic (r.).
Ein Herz und eine Seele waren sie wohl nie: Kay Bernstein und Fredi Bobic (r.).MIS/Imago

All das reicht sicher, um später einen spannenden Fußball-Krimi schreiben zu können. Zur Wahrheit gehört aber: Auch die Vorgänger Bernsteins an der Hertha-Spitze mussten den Verein durch etliche Turbulenzen führen. Ich habe als Journalist sechs Präsidenten hautnah erlebt.

Kay Bernstein muss auch viel Kritik einstecken

Zuerst den kultigen Strippenzieher Wolfgang Holst, später den knorrigen Bauunternehmer Heinz Roloff, danach den hemdsärmeligen Anwalt Manfred Zemaitat, den freundlichen Mercedes-Manager Walter Müller, gefolgt vom eloquenten und stets aufgeschlossenen Medienmanager Bernd Schiphorst und schließlich den Unternehmer Werner Gegenbauer. Der war zuerst sehr zugänglich, wurde aber nach den beiden Abstiegen 2010 und 2012 immer unnahbarer.

Bernstein musste natürlich auch heftige Kritik einstecken, vor allem wegen der (finanziell lebensnotwendigen) Zusammenarbeit mit einem Wettanbieter als Hauptsponsor, was er bei seiner Antrittsrede noch ausgeschlossen hatte. Und wegen seines vehementen Eintretens für die zweite Chance von Marius Gersbeck, der sich im Trainingslager mit einem Österreicher geprügelt hatte.

Bernsteins größtes Verdienst: Hertha ist geerdet

Aus meiner Sicht ist es Bernsteins bislang größtes Verdienst, die Hertha-Familie geeint und geerdet zu haben. Als ehemaliger Ultra fiel es ihm leichter, eine überaus starke Identifikation der Fans mit der Mannschaft herzustellen, in der sich inzwischen ein halbes Dutzend Jungprofis aus der Akademie einen Platz erkämpft hat.

Zwei Zahlen sprechen für sich: Hertha hat nun 50.000 Mitglieder – Vereinsrekord – und einen satten Zuschauerschnitt von 46.615. Mein Fazit: Hertha befindet sich auf einem guten Weg, der Verein ist wieder für alle Berliner greifbarer geworden. Als Präsident ist Bernstein auch nach 500 Tagen vor allem eins: authentisch. Von seiner symbolträchtigen Hertha-blauen Trainingsjacke, die er kaum ablegt, hat er inzwischen fünf Exemplare im Kleiderschrank.