Profitierten von Häftlingen

Quelle, Ikea & C0.: So scharf war der Westen auf Knastware aus der DDR!

Von Elektrogeräten, Strumpfhosen bis Möbel: Versandhäuser aus dem Westen verdienten gut an den Produkten aus dem Osten, für die viele Gefangene in der DDR schuften mussten.

Author - Norbert Koch-Klaucke
Teilen
Im einstigen DDR-Frauenknast in Hoheneck stand diese Anlage, an der Feinstrumpfhosen auch für den Westmarkt produziert wurden.
Im einstigen DDR-Frauenknast in Hoheneck stand diese Anlage, an der Feinstrumpfhosen auch für den Westmarkt produziert wurden.Härtel Press/imago

Kleidung, Haushalts- und Elektrogeräte, Möbel: Vieles, was es einst in der Bundesrepublik zu kaufen gab, stammte in Wahrheit aus der DDR. Firmen, Kauf- und Versandhäuser aus dem Westen waren richtig scharf auf Waren aus dem Osten. Die Kunden drüben ahnten nichts davon. Sie wussten noch nicht einmal, dass manche Produkte sogar von DDR-Häftlingen hergestellt wurden.

Die DDR als Billiglohnland: Über 6000 Firmen und Händler im Westen Deutschlands wussten den deutschen Nachbarn im Osten gut zu nutzen. Unternehmen wie Salamander, Blaupunkt oder Varta ließen ihre Produkte in DDR-Betrieben herstellen. Der SED-Staat ließ diese Gewährungsproduktionen zu, weil er dringend Devisen brauchte. Sogar die „Nivea Creme“ wurde noch zwei Monate vor Mauerfall in der DDR produziert.

Versandhäuser wie Quelle, Neckermann und Co. waren auch richtig scharf auf Produkte, die für die DDR-Bevölkerung hergestellt wurden. Kühlschränke, Elektro-Rührgeräte, Haartrockner, die im Osten unter dem Markennamen „Aka electric“ in den Centrum-Warenhäusern standen, gab es unter dem Namen „Privileg“ in den Katalogen und Filialen von Quelle im Westen.

Der Ikea-Konzern hat inzwischen sechs Millionen Euro in einen Fonds für Opfer der SED-Diktatur gezahlt.
Der Ikea-Konzern hat inzwischen sechs Millionen Euro in einen Fonds für Opfer der SED-Diktatur gezahlt.Oliver Berg/dpa

Auch andere Versandhäuser vom Klassenfeind (wie Neckermann) holten sich DDR-Produkte direkt vom Hersteller. Bis zu 50 Prozent der Ostware wurde für den Westen produziert. Ein Geschäft, bei dem die klamme DDR Millionen von Devisen verdiente und die Westunternehmen Millionen von D-Mark sparten – auch auf Kosten von DDR-Häftlingen.

Mit dem Fall der Mauer und der Öffnung der Stasi-Archive kam nach und nach heraus, dass Westfirmen auch an DDR-Ware verdiente, die von Gefangenen im Knast oder in Betrieben hergestellt wurden.

Richtig Rabatz gab es, als 2015 Historiker Tobias Wunschik seine Studie „Knastware für den Klassenfeind“ vorlegte. Er fand heraus: Über 20.000 Häftlinge in DDR-Gefängnissen wurden in 250 Betrieben in die sozialistische Produktion eingebunden, auch für West-Firmen. Allein in den 80er-Jahren verdiente die DDR jährlich 200 Millionen D-Mark mit der Knastware, die in den Westen ging.

Diese Feinstrumpfhose wurde im Westen verkauft, aber im DDR-Frauenknast gefertigt.
Diese Feinstrumpfhose wurde im Westen verkauft, aber im DDR-Frauenknast gefertigt.uokg.de

Häftlinge, die für den Westen schufteten: Nicht alle waren Kriminelle, sondern vor allem politische Gefangene, die wegen eines falschen Wortes oder eines Fluchtversuches in den Knast kamen. Einer der Profiteure aus dem Westen war bekannterweise das schwedische Möbelhaus Ikea.

2012 räumte Ikea nach einer unabhängigen Untersuchung ein, dass in der DDR politische Häftlinge und Strafgefangene unter Zwang Möbel für den Konzern herstellen mussten. Demnach hatte Ikea möglicherweise schon ab 1978, spätestens aber ab 1981, Kenntnisse über einen möglichen Einsatz von politischen Gefangenen in Produktionsstandorten und Zulieferbetrieben der DDR.

Eine Metallwerkstatt in einem DDR-Knast in Bautzen. So manche Teile wurden auch in Westprodukten verarbeitet.
Eine Metallwerkstatt in einem DDR-Knast in Bautzen. So manche Teile wurden auch in Westprodukten verarbeitet.Werner Schulze/imago

Im vergangenen Jahr zahlte dann Ikea sechs Millionen Euro an einen Fonds für Opfer der SED-Diktatur. Andere Firmen, die ebenfalls an der Knastware aus der DDR verdienten, zeigten sich weniger zahlungsfreudig. Sie erklärten, nichts davon gewusst zu haben, dass DDR-Häftlingen Waren für ihrer Geschäfte hergestellt hatten.

Dabei waren auch westdeutsche Handelsketten daran beteiligt, wie 2015 auch die Studie von Tobias Wunschik zeigte. Demnach mischten Versandhäuser wie Quelle kräftig mit und orderten etwa Fotoapparate, an deren Herstellung auch DDR-Gefangene beteiligt waren.

Nicht nur Ikea verdienten mit Knastware aus der DDR

Die Revue-Kameras von Quelle kamen aus dem VEB Pentacon Dresden. In der DDR kannte man sie als Praktica. Die Gehäuse von insgesamt 200.000 Fotoapparaten sollen von 250 Häftlingen in der Haftanstalt Cottbus für den Westmarkt gefertigt worden sein.

Die Feinstrumpfhosen „Sayonara“ und „Iris“, die bei Aldi auf dem Ramschtisch lagen, stammen aus dem Frauengefängnis Hoheneck (Sachsen). Allein 1972 waren dort 900 Frauen inhaftiert, davon 145 „Politische“. Von denen mussten 132 für den VEB Esda Thalheim Damenstrumpfhosen herstellen. Insgesamt sollen es 100 Millionen „West-Strumpfhosen“ gewesen sein, die es auch bei Karstadt, Hertie, Woolworth und Horten gab.

Besonders schlimm: Die Häftlinge arbeiteten laut Zeitzeugen unter unmenschlichen Bedingungen. In der Strumpffabrik Esda mussten die Hoheneck-Frauen im Hochsommer bei Temperaturen von über 40 Grad arbeiten. Eine ehemalige Gefangene: „Im Akkord mussten wir Bettwäsche nähen – 470 Laken pro Tag. Die gute Ware ging für 3,99 D-Mark pro Stück in den Westen.“

Auch Berliner Häftlinge waren unter den Opfern. So mussten für das EAW Treptow 250 Gefangene aus Rummelsburg Leiterplatten montieren. Widerstände und Kondensatoren aus Teltow fanden sich unter anderen in Produkten vom Hausgeräte-Hersteller AEG, dem Autobauer VW und beim Elektrokonzern ITT wider. Sogar weit über europäische Grenzen bis nach Saudi-Arabien wurden die Bauelemente geliefert.

Während die West-Konzerne und die DDR Millionen verdienten, wurden die Häftlinge mit einem Hungerlohn abgespeist. Von den 300 DDR-Mark, die sie im Monat bekamen, zog die Gefängnisleitung für „Essen und Unterbringung“ soviel ab, dass am Zahltag nur noch 16 DDR-Mark übrig blieben. ■