Ahornblatt, Planetarium, Teepott

Er schuf Ikonen der DDR-Architektur: Nach der Wende erlebte Ulrich Müther einen Schicksalsschlag

Er war das Ingenieurs-Genie der DDR: Mit seinen filigranen Betonbauten revolutionierte er die DDR-Architektur. Ulrich Müther arbeitete unermüdlich, auch um den Tod seines Sohnes zu bewältigen.

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Das als Kantine und Restaurant gebaute Ahornblatt an der Gertraudenstrasse auf der Fischerinsel in Berlin-Mitte war legendär und wurde trotzdem abgerissen.
Das als Kantine und Restaurant gebaute Ahornblatt an der Gertraudenstrasse auf der Fischerinsel in Berlin-Mitte war legendär und wurde trotzdem abgerissen.ullstein bild

Er war einer der erfolgreichsten Architekten der DDR. Seine Beton-Bauten haben das Land zwischen Ostsee und Elbe geprägt: Planetarien, Gaststätten, Sporthallen – knifflige Konstruktionen überließ man dem Rügener Ulrich Müther und seiner Mannschaft. Es klingt fast tragisch: Noch während der Abriss seines „Ahornblatts“ auf der Fischerinsel beschlossene Sache ist, wählte ihn das britische Magazin „Wallpaper“ zum Aufsteiger der modernen Architektur und widmet ihm eine seitenlange Story. Traurig sei er schon, dass die ehemalige Gaststätte in Berlins Mitte demnächst einem Hotel- und Bürokomplex weichen soll, sagte er damals Interview.

Ulrich Müther 2003 in Warnemüde.
Ulrich Müther 2003 in Warnemüde.Imago / Sabine Gudath

Doch was wurde aus dem Mann, der ostdeutscher Architekturgeschichte schrieb, nach der Wende?

Ulrich Müther ist Nackenschläge gewöhnt: Sein Baugeschäft, das er nach der Wende reprivatisiert hatte, ging Pleite. „Ich hatte mehr als zwei Millionen Mark Außenstände“, ließ er wissen. Ein guter Architekt muss nicht zwingend auch ein guter Kaufmann sein.

Müther lernt als junge Mann Zimmermann. Als Sohn eines Unternehmers war ihm das Studium in der DDR zunächst verwehrt worden. Erst als Handwerker ließ ihn die Partei schließlich an der TU Dresden studieren. Schon mit 26 Jahren wurde Müther technischer Leiter des – damals schon genossenschaftlichen – väterlichen Betriebs für Spezialbetonbau. Schnell merkte der junge Ingenieur, dass er einen Hang zur Architektur hatte.

Betonschale am Busbahnhof in Binz

Am Binzer Busbahnhof baut Müther 1963 seine erste Betonschale: ein nur fünf Zentimeter dickes, filigranes Dach. „Die Theorie des Schalenbaus war mir damals noch nicht klar“, erinnert sich Müther. „Wir haben viel am Modell gemessen, es mit Mauersteinen belastet. Und dann haben wir gemessen, wann es nachgibt. “ Die Ergebnisse waren sehr aufschlussreich – und die Schale steht noch heute am selben Ort.  Seit 1997 steht sie unter Denkmalschutz.

Für Müther war das der Startschuss für die ganz großen Projekte: Er baute Hallen in Neubrandenburg und Magdeburg, das „Haus der Stahlwerker“ auf Rügen, das Café „Seerose“ in Potsdam und den „Teepott“ in Warnemünde. Über den futuristischen Gastro-Komplex freut sich Müther heute noch: „Von der Planung bis zum fertigen Bau haben wir sieben Monate gebraucht.  Und in der sozialistischen Wirtschaft fast Unmögliches geschafft: Wir haben immer alle Termine eingehalten.“

Sozialistische Protzbauten waren nicht sein Ding

Dass er die zarten Betonschalen überhaupt bauen konnte, ist eigentlich ein Wunder. Denn mit sozialistischen Protzbauten hatten sie gar nichts zu tun. Müther baute immer so, wie es ihm gefiel. Das Ingenieurs-Genie von der Ostsee fand bald auch Beachtung bei den Oberen der Optik-Werke Carl Zeiss in Jena.  Die beauftragten Müther, Planetariumskuppeln zu bauen. Bestes Beispiel: das Planetarium an der Prenzlauer Allee in Berlin.

Das Zeiss-Großplanetarium in Berlin. Ulrich Müther baute weltweit Kuppeln für Planetarien.
Das Zeiss-Großplanetarium in Berlin. Ulrich Müther baute weltweit Kuppeln für Planetarien.picture alliance / dpa/Archivbild

Auch in Helsinki, Kuwait, Tripolis und Wolfsburg baute Ulrich Müther Kuppeln.  Von Binz aus eroberten sich Müther und sein Team  die Welt: „Das waren alle pommersche Bauernsöhne – die arbeiten gut und reden wenig.“ 36 West-Mark pro Tag gab es für die Auslandseinsätze. „Und immer sind alle wieder zurückgekommen.“

Seine West-Kontakte auf der Leipziger Messe bescherten dem Ingenieur Zugang zu moderner Bau-Technologie. Für seine nächsten Projekte waren die unverzichtbar: „Aus Essen habe ich eine Testmaschine für Spritzbeton bekommen“, erzählte Müther Reportern. „Die haben wir bei unseren Sportbahnen eingesetzt.“ Die WM-Bobstrecke in Oberhof, Eiskunstlauf-Hallen und Radsport-Bahnen in der ganzen Ex-DDR – alles „Made by Müther“. Nur eines wurmte den parteilosen Architekten: „Einen Nationalpreis habe ich nie bekommen.“

Der einzige Sohn stirbt bei einem Asthmaanfall

Erfolgreich in der Heimat, international anerkannt – doch dann ereilt ihn und seine Frau 1989 eine Katastrophe: Christian, einziger Sohn des Paares und Arzt in Greifswald, starb an einem Asthmaanfall. Müther fand seinen eigenen Weg zur Trauer-Bewältigung. Mit Freunden gründete er die „Christian-Müther-Stiftung für asthmakranke Kinder“.

Der Teepott an der Strandpromenade von Warnemünde prägt den Ortskern noch heute.
Der Teepott an der Strandpromenade von Warnemünde prägt den Ortskern noch heute.imago images/imagebroker

Jahrelang veranstaltet der Schiffs-Fan mehrtägige Seefahrten auf der Ostsee mit seinen Schützlingen aus Berlin und Brandenburg. „Mehr als 200 Kinder segeln jedes Jahr mit uns auf dem Greifswalder Bodden. “ Für das Ehepaar Müther ist das ein kleiner Trost. Den Verlust des Sohnes überwindet er mit Arbeit.

Müther übernimmt den ehemaligen VEB Spezialbeton Rügen nach der Wende. Sechs Jahre lang ist er Präsident des Bauindustrie-Verbandes in Mecklenburg-Vorpommern. Der Architekt renoviert den Leuchtturm auf Hiddensee, plant Neubauten. Selten hat er Zeit für einen Bummel an der Strandpromenade von Binz, wo er eine Wohnung mit Seeblick besitzt.

Legendärer Wachturm am Strand von Binz. Heute kann man hier heiraten.
Legendärer Wachturm am Strand von Binz. Heute kann man hier heiraten.IMAGO / imagebroker

„Nach der Wende kamen ein paar Architekten, die uns das Bauen beibringen wollten“, sagte Müther. „Die haben wir wieder nach Hause geschickt, mitsamt ihren Klinker-Steinen.“ Doch leider strauchelte der Unternehmer. Nach der Pleite arbeitet er weiter als Gutachter, kümmerte sich um den Aufbau des Müther-Archivs in Prora. „Dort sollen junge Architekten und Bauingenieure mit Interesse am Betonbau ihre Diplomarbeiten schreiben.“ Die „Auferstehung“ und Würdigung seines architektonischen Schaffens durch junge West-Architekten schmeichelte dem Binzer. Als Berliner Nachwuchs-Architekten eine Ausstellung über sein Schaffen im Lebensretter-Häuschen am Strand von Binz ausrichteten.

2007 starb der Ausnahme-Architekt und Ingenieur im Alter von 73 Jahren in seiner Heimatstadt Binz auf Rügen. In der DDR und im Ausland schuf Müther zahlreiche bekannte Gebäude in der von ihm perfekt beherrschten Schalenbeton-Bauweise. Heute noch zu sehen sind die Vorbauten am Fernsehturm, das Zeiss-Planetarium an der Prenzlauer Allee, der „Teepott“ in Warnemünde oder das Café „Seerose“ in Potsdam. Bekannt war auch die Gaststätte „Ahornblatt“ an der Leipziger Straße, die 2000 einem Hotelbau weichen musste. ■