Ausgerechnet jetzt zieht er einen Schlussstrich! Genau jetzt, wo die Helden des DDR-Comics „Mosaik“, die Abrafaxe, ihren 50. Geburtstag feiern. Genau an jenem Tag, an dem das 600. Heft mit den drei Knirpsen erscheint – da hört eine Mosaik-Legende auf!
Der Zeitpunkt scheint gar nicht zu passen. Denn im Jubiläums-Heft „Die Stadt der Geheimnisse“ (ab 26. November im Handel) wird ein Comeback gefeiert, auf das sich die Leser des DDR-Kultcomics schon lange freuen. Der Erzfeind der Abrafaxe, der spanische Edelmann Don Ferrando, kehrt zurück. Dafür geht der Mann, der den Bösewicht im 600. Heft noch gezeichnet hat, in den Ruhestand: Jörg Reuter (66), seit 35 Jahren der künstlerische Leiter der Mosaik-Redaktion.
Der Mann mit den weißen, langen Haaren – er ist ein Original: Fast 46 Jahre war Reuter beim Mosaik. „Genauer gesagt 45 Jahre und elf Monate“, sagt der Berliner. „So steht es in dem Bescheid der Rentenversicherung.“ Und dieser Bescheid erinnert Reuter nun daran, an seinem Mosaik-Zeichentisch den Schlussstrich nicht nur an Don Ferrando für das nächste Mosaik-Heft mit den Abrafaxen zu ziehen.

Dabei waren es die Digedags, für die das Herz von Reuters schlug, als er noch ein Schüler war. Die drei Knollennasenfiguren Dig, Dag und Digedag waren die ersten Helden des DDR-Comics Mosaik. Der Zeichner Hannes Hegen (eigentlich Johannes Hegenbarth, 1925-2014) hatte es erfunden, das erste Heft erschien vor 70 Jahren.
Mit sechs Jahren hielt Reuter sein erstes Mosaik-Heft in den Händen:. „Das vergoldete Krokodil“ aus der Ritter-Runkel-Serie. „Das Heft lag bei meiner Oma, meine Cuisine hatte es bei ihr vergessen und ich durfte es behalten.“
Mit der „Amerika-Serie“ begann dann begann für ihn der monatliche Kampf am Kiosk, um ein Mosaik-Heft zu ergattern, das in der DDR zu der berühmten Bückware gehörte. „Nicht immer klappte es, ein Heft zu bekommen. Oft tauschte ich den 70ern auf dem Schulhof ein fehlendes Heft gegen Fußballsammelbilder aus der West-Schokolade.“
Tauschte Sammelbilder aus dem Westen für Mosaik-Hefte
Dass Reuter eines Tages beim Mosaik arbeiten würde, hätte er sich damals nicht zu träumen gewagt. Den Weg in die Redaktion verdankt er eigentlich einem Streit.
Und das kam so: Nach dem Reuter sein Elektronik-Studium an der TH Ilmenau aufgab und Grafiker werden wollte, entdeckter er durch Zufall beim Verband der Bildenden Künstler eine Anzeige der Mosaik-Redaktion, die Zeichner suchte. „Das war 1979“, sagt er. „Was ich nicht wusste: Die Anzeige hing da schon seit 1973!“

In jenem Jahr begann sich Mosaik-Gründer Hannes Hegen mit dem staatseigenen Verlag Junge Welt zu zoffen, der das Kult-Comic herausbrachte. „Die Partei wollte, dass die Hefte politischer werden. Ich lehnte ab“, sagte Hegen in seinem letzten Presse-Interview, das er 2010 dem KURIER gab.
Mosaik-Legende Jörg Reuter zeichnete Bösewicht Don Ferrando
Die Folge des Streits war das Ende der Digedags. Der Verlag Junge Welt übernahm 1976 das Mosaik, dessen neue Helden die Abrafaxe wurden. Trotz der alten Suchanzeige: Jörg Reuter fing im Januar 1980 beim Mosaik an. „Zunächst wurde ich zum Schriftsetzer ausgebildet, danach studierte ich Gebrauchsgrafik.“ Und in der Redaktion zeichnete er mit an den Abrafaxe-Abenteuern.

Eine der berühmtesten Figuren geht auch auf sein Konto: Reuter arbeitete an der Gestaltung des Schurken Don Ferrando mit, der 1981 seinen ersten Auftritt im Mosaik hatte und nun sein Comeback feiert.
Jetzt heißt es Abschiednehmen von den Abrafaxen, ihren Freunden und Feinden, von der Gestaltung des Heftes, vom Zeichnen: Von all den Aufgaben, die die Arbeit von Jörg Reuter fast 46 Jahre lang bestimmte. Mit seinen Kollegen wird Reuter feiern. „Danach räume ich meinen Schreibtisch auf.“ Ab Mittwoch ist Reuter Rentner.
Ein Leben ohne das Mosaik – geht das überhaupt? „Wie das mit dem Ruhestand werden soll, weiß ich selber noch nicht“, sagt Reuter. Zumindest hat er jetzt mehr Zeit für seine Auftritte in einer Bluesrock-Band, in der der Hobbymusiker E-Gitarre spielt.


