Ein kühler Wind zieht über den Olivaer Platz in Charlottenburg. Dort, wo sich einst ein historischer Senkgarten mit bunten Blumen und einem großen Brunnen befand, ist heute ein grüner Rasen, durchzogen von asphaltierten Wegen und Betonblöcken. Inmitten dieses Platzes bildet sich eine Gruppe von Menschen. Sie nehmen teil an der Stadtführung: „Die Kunst zu(m) Überleben“. Susanne H. begrüßt die Teilnehmenden und zeigt dann auf den Olivaer Platz: „Das war mal eine Stadtoase – ein Rückzugsort auch für Menschen ohne Wohnung“, sagt die Westberlinerin und schüttelt den Kopf. Sie selbst wüsste, was es bedeutet, keinen Rückzugsraum mehr zu haben – denn vor vier Jahren sei sie wohnungslos geworden.
Kündigung wegen Eigenbedarf: Berlinerin landet auf der Straße
Im Jahr 2019 habe sie die Kündigung wegen Eigenbedarf erhalten. Sie sei damit völlig überfordert gewesen, wusste nicht wohin mit sich. „Sie fragen sich wahrscheinlich, wie es dazu kam. Tja, ich habe irgendwann die Briefe nicht mehr geöffnet und habe einfach mein Leben weitergelebt, als hätte es diese Kündigung nie gegeben. Ein Jahr später sei es dann zur Zwangsräumung gekommen: „Die Gerichtsvollzieher gaben mir 15 Minuten. Ich packte alles wichtige ein – und dann stand ich auf der Straße. Das war im Februar – und es war eiskalt.“
Plötzlich stand sie vor dem Nichts. Für Sie hätte es nur zwei Optionen gegeben: „Ich wusste: Entweder ich finde ich jetzt irgendwo Unterschlupf – oder ich bringe mich um. Für mich gab es nur diese zwei Möglichkeiten.“ Durch einen glücklichen Zufall bekam sie vom Bezirksamt eine Unterkunft in Schmargendorf – ausgerechnet dort, wo sie geboren und aufgewachsen war.
Sie habe sich für ihre Wohnungslosigkeit sehr geschämt – und ging entweder frühmorgens oder spätabends einkaufen, um ja niemandem aus ihrem Bekannten- oder Freundeskreis zu begegnen. „Einmal habe ich auf einem Konzert eine alte Jugendfreundin getroffen. Ich erzählte ihr, dass ich wohnungslos bin. Sie trat einen Schritt zurück, murmelte etwas von einem Termin – und verschwand.“ Seitdem habe sie sich immer mehr zurückgezogen.

Kurfürstendamm Berlin: „Obdachlose sind hier nicht erwünscht“
Heute zeigt sie anderen Berlinern, wie es sich anfühlt, ohne eigenes Zuhause zu sein. Vom Olivaer Platz geht es weiter zum Kurfürstendamm. Dort zeigt die Rentnerin auf einen Mülleimer. „Sehen Sie, wie hoch der hängt? Das hat man deswegen gemacht, damit die Menschen darin nicht mehr nach Pfandflaschen suchen können.“ Die Sitzflächen an den Bus- und U-Bahnhaltestellen seien mit sogenannten Aufstehhilfen ausgestattet worden. Diese würden stets so platziert, sodass es unmöglich sei, sich darauf zu legen. „Das nennt sich defensive Architektur. Dadurch wird den Obdachlosen vermittelt: Ihr seid hier nicht erwünscht.“
Weiter geht es bis zum Lehniner Platz. Hinneberg zeigt auf die gepflasterte Fläche des Platzes. „Hier findet regelmäßig ein Wochenmarkt statt. Neben Rentnern gehen dort vor allem Hausfrauen einkaufen“, sagt die Westberlinerin. Besonders jene Frauen seien von Altersarmut betroffen, so Hinneberg: „Jahrzehntelang haben sie Kinder großgezogen, Angehörige gepflegt, Haus und Hof sauber gehalten. Viele von ihnen haben in Teilzeit gearbeitet. Heute bekommen sie dafür 800 Euro Rente – wenn überhaupt.“
Dann senkt Hinneberg den Blick, in ihrem Gesicht zeigt sich eine Mischung aus Wut und Trauer. „Auch ich habe mein Leben lang gearbeitet. Ich war gut ausgebildet, in einem ehrwürdigen Beruf. Trotzdem erklärte mir das Jobcenter, ich sei nicht mehr vermittelbar. Der Staat zwang mich in Rente – seitdem erhalte ich 10 Prozent weniger, als mir eigentlich zugestanden hätte. Das war ein Schlag ins Gesicht. Und glauben Sie mir: Ich bin längst nicht die Einzige.“