35 Jahre deutsche Einheit

Zoff ums Jägerschnitzel: Hört der Streit zwischen Ost und West je auf?

35 Jahre nach der Einheit gibt es noch immer Unterschiede zwischen Ost und West. Einer davon liegt auf dem Teller: das Jägerschnitzel. Warum ist das so?

Author - Florian Thalmann
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Auch 35 Jahre nach der Einheit sind sich Ost und West uneinig: Welches ist das perfekte Jägerschnitzel? Die einen bevorzugen die Variante mit Pilzen, die anderen setzen auf Jagdwurst und Spirelli.
Auch 35 Jahre nach der Einheit sind sich Ost und West uneinig: Welches ist das perfekte Jägerschnitzel? Die einen bevorzugen die Variante mit Pilzen, die anderen setzen auf Jagdwurst und Spirelli.Illustration: Depositphotos/imago, KI (Montage: FTH/BK)

35 Jahre ist es her, dass aus der DDR und der Bundesrepublik ein vereintes Deutschland wurde – und doch sind die Unterschiede noch heute in vielen Bereichen sichtbar. Über viele Dinge wird gestritten, doch der unterhaltsamste Zoff dreht sich auch Jahre nach der deutschen Einheit um das Jägerschnitzel. Wie mögen SIE es? Als panierte Jagdwurstscheibe mit Spirelli – oder doch als Schnitzel mit Pilzsoße? Meisterkoch Torsten Kleinschmidt erklärt im KURIER, warum die Jägerschnitzel-Mauer entstand. Und warum sie nie verschwinden wird.

Auch 35 Jahre nach der Einheit streiten Ost und West um das Jägerschnitzel

Kann eine Scheibe panierte Jagdwurst ein Grund für einen Streit sein? Torsten Kleinschmidt weiß selbst: Ja, sie kann. „Ich habe es selbst erlebt“, sagt er im Gespräch mit dem KURIER. Er arbeitete als Küchenchef in einem Restaurant, das Jägerschnitzel auf der Karte hatte – die Variante aus Ostdeutschland. Doch einem Gast aus dem Westen sagte die panierte Jagdwurstscheibe gar nicht zu. „Er wollte den Küchenchef sprechen, weil er dachte, dass er betrogen wurde“, sagt Kleinschmidt. „Ich musste ihm erst mal erklären, dass wir nicht einfach nur kreativ waren, sondern dass es die panierte Jagdwurstscheibe schon lange gibt, dass das Gericht eine Geschichte hat.“

Am 3. Oktober 2025 feiert Deutschland das 35-jährige Jubiläum der deutschen Einheit. Auch wir berichten darüber – mit den schönsten Geschichten aus Ost und West.
Am 3. Oktober 2025 feiert Deutschland das 35-jährige Jubiläum der deutschen Einheit. Auch wir berichten darüber – mit den schönsten Geschichten aus Ost und West.Berliner KURIER

Es ist ein Unterschied zwischen Ost und West, der sich auch 35 Jahre nach der Wiedervereinigung tapfer hält: Im Osten versteht man unter einem Jägerschnitzel eine panierte Jagdwurstscheibe, die mit Nudeln – oft Spirelli – und einer Tomatensoße serviert wird. Im Westen hingegen dominiert die edlere Variante die Tische: Schweineschnitzel in feiner Panade mit Pilzsoße und Beilagen. Aber: Warum ist Jägerschnitzel nicht gleich Jägerschnitzel?

Warum sind die Jägerschnitzel in Ost und West so unterschiedlich?

Der Grund liegt in der Geschichte. Die Variante mit Pilzsoße ist eine reine Restaurantentwicklung, sagt Kleinschmidt. „In den Restaurantküchen der 20er- und 30er-Jahre haben die Köche viele Gerichte entwickelt, die besondere Namen bekamen, beispielsweise nach Berufen benannt wurden.“ Das Jägerschnitzel kam ursprünglich aus der französischen Küche, hieß dort „Escalope de Chasseur“. Es handelte sich um ein Kalbsschnitzel, das mit einer feinen Soße mit Steinpilzen und Morcheln serviert wurde. „Nach dem Krieg wollte man in den alten Bundesländern daran anknüpfen, brachte aber eher Gerichte auf die Karte, die machbar waren, beschaffbar und bezahlbar.“ So wurde das Kalbsschnitzel zum Schweineschnitzel, die Steinpilze durch Champignons ersetzt.

Torsten Kleinschmidt ist Koch aus Leidenschaft – das Jägerschnitzel begleitet ihn schon durch seine gesamte Laufbahn.
Torsten Kleinschmidt ist Koch aus Leidenschaft – das Jägerschnitzel begleitet ihn schon durch seine gesamte Laufbahn.privat

Und in der ehemaligen DDR? „Da hat man sich vor allem in den Kantinen überlegen müssen, was man auf den Teller bringen kann“, sagt Kleinschmidt. Die Zuteilung war, auch beim Fleisch, staatlich gelenkt und organisiert. „Die DDR förderte die Produktion von Wurstwaren, weil sie sich besser lagern und verteilen ließen“, erklärt der Koch. Er selbst erinnert sich daran, dass während der Lehre in Köpenick einmal eine Kiste Kalbfleisch auf dem Tisch stand. „Es war Anfang der 80er-Jahre – und als die Köche in ihren Karteikarten nachschlugen, stellte sich heraus, dass sie Ende der 60er-Jahre zum letzten Mal so etwas geliefert bekommen hatten.“

Für Studierende, die aus den alten Bundesländern oder aus dem Ausland kommen, ist es auch heute noch exotisch. Die sagen auch heute noch: Guck mal, die Deutschen sind ganz verrückt, die panieren sogar die Wurst.

Meisterkoch Torsten Kleinschmidt über das ostdeutsche Jägerschnitzel

Jagdwurst war aber verfügbar – so machte man die dicke Wurstscheibe zum Schnitzel, das dadurch direkt den Namen Jägerschnitzel bekam. Auch die Nudelproduktion wurde in der DDR hochgefahren, etwa durch die bekannten Riesaer Teigwaren. Doch nicht nur in den Kantinen feierte das Ost-Jägerschnitzel einen Siegeszug. „Es war ein Gericht, das auch für Otto Normalverbraucher perfekt war“, sagt Kleinschmidt. „Nach der Arbeit ging es schnell, man konnte es einfach selber zubereiten, durch die Jagdwurst war die Würzung schon da.“ Und auch heute ist es populär. „Für alle, die hier aufgewachsen sind, gehört es einfach zur Oma- und Mama-Küche.“

So kennt der Ossi das Jägerschnitzel: Panierte und gebratene Jagdwurstscheiben mit Spirelli und Tomatensoße.
So kennt der Ossi das Jägerschnitzel: Panierte und gebratene Jagdwurstscheiben mit Spirelli und Tomatensoße.Depositphotos/imago
Das Jägerschnitzel in der West-Variante: Ein gebratenes Schnitzel, manchmal paniert, manchmal unpaniert - dazu gibt es eine leckere Pilzsoße und Beilagen.
Das Jägerschnitzel in der West-Variante: Ein gebratenes Schnitzel, manchmal paniert, manchmal unpaniert - dazu gibt es eine leckere Pilzsoße und Beilagen.Zoonar/imago

Die Unterschiede beim Jägerschnitzel haben Torsten Kleinschmidt immer begleitet

Der Unterschied hat auch Kleinschmidt in seiner langen Küchen-Karriere immer begleitet, sagt er. Er wuchs in Schöneiche auf, machte seine Lehre im Kabelwerk Köpenick – „an den großen Töpfen“, sagt er. Danach ging es ins Palasthotel, wo er bis kurz nach der Wende kochte. „Ich blieb hängen im Märkischen Restaurant, einem Lokal, wo man schon 1989 versucht hat, die regionale Küche rauszuarbeiten.“ Es folgten Stationen auf der Insel Rügen, im Berliner Hotel Intercontinental, in Königs Wusterhausen, Bad Saarow und in Eisenhüttenstadt. Aktuell arbeitet Kleinschmidt für das Studierendenwerk Ost:Brandenburg, organisiert Einkauf und Speisepläne – und sorgt dafür, dass in den Mensen ordentliche Gerichte auf den Tisch kommen.

Auch hier ist das Jägerschnitzel übrigens noch präsent, wird aber als panierte Jagdwurstscheibe übersetzt, um Verwechslungen zu vermeiden. „Für Studierende, die aus den alten Bundesländern oder aus dem Ausland kommen, ist es auch heute noch exotisch“, verrät der Koch. „Die sagen auch heute noch: Guck mal, die Deutschen sind ganz verrückt, die panieren sogar die Wurst.“ Kleinschmidt glaubt auch nicht, dass der kulinarische Unterschied zwischen Ost und West jemals verschwinden und dass es irgendwann ein gesamtdeutsches Jägerschnitzel geben wird. „Aber alles verändert und verbessert sich. Wir haben zum Beispiel früher eine Tomatensoße gemacht, eine rosarote Mehlpampe, gruselig. Das geht heute viel besser.“

Tipps vom Profikoch: So wird das Jägerschnitzel zum Gourmet-Essen

Allen, die jetzt mal wieder Lust auf Jägerschnitzel haben, rät der Profi-Koch: Setzen Sie auf gute Zutaten. „Egal, wie einfach das Gericht ist – eine gute Jagdwurst ist schon die halbe Miete.“ Außerdem lohnen sich Experimente. „Man muss nicht die Industrie-Semmelbrösel nehmen, sondern kann auch selbst frische Schrippen reiben und dann sogar noch gehackte Nüsse, Cornflakes oder Saaten zugeben, das gibt der Panade noch mehr Crunch.“ Auch bei den Nudeln kann man heute variieren – und wer keine Lust darauf hat, schneidet Jagdwurst-Streifen und paniert sie oder nutzt das Jägerschnitzel im Burger. Na dann: Guten Appetit!

Wie mögen Sie Ihr Jägerschnitzel am liebsten? Ist die Variante aus dem Osten die einzig wahre – oder schmeckt Ihnen die panierte Jagdwurst gar nicht und Sie greifen lieber zum Schnitzel mit Pilzsoße? Schicken Sie uns Ihre Meinung zum Jägerschnitzel per Mail an wirvonhier@berlinerverlag.com. Wir freuen uns drauf!

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Buch-Verlag Leipzig
Botschafter der Brandenburgischen Küche
Torsten Kleinschmidt (Jahrgang 1967) versteht sich als „Botschafter für die Brandenburger Küche“. Gern entdeckt der versierte Koch alte Rezepte und passt sie, möglichst mit regionalen Zutaten, kreativ dem heutigen Geschmack an. Seit 2019 arbeitet er u.a. als Einkäufer Food, Ausbildungsbeauftragter, Projektleiter und Küchenmeister im Studierendenwerk Ost:Brandenburg. Im Buch-Verlag Leipzig sind von ihm bereits mehrere regionale Kochbücher erschienen, darunter „Die besten Rezepte von Brandenburg“, „Die besten Rezepte aus Mecklenburg“ und „Die besten Rezepte von Rügen“.