Verlässt er die Stadt?

Kinder-Helden in Köpenick in Not: Wohnhaus soll Zirkus Aron verdrängen

Noch wird jongliert und gelacht. Doch bald ist Schluss. Der Kinderzirkus Aron verliert seinen Platz. Die Berliner sollen helfen, damit er in der Stadt bleiben kann.

Author - Veronika Hohenstein
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Im Kinderzirkus Aron können kleine Nachwuchsartisten viel Spaß haben - bis jetzt. Denn die Köpenicker Institution soll vom bisherigen Platz weichen.
Im Kinderzirkus Aron können kleine Nachwuchsartisten viel Spaß haben - bis jetzt. Denn die Köpenicker Institution soll vom bisherigen Platz weichen.Veronika Hohenstein

Noch lachen die Kinder, noch wird jongliert. Doch bald ist Schluss mit dem Kinderzirkus Aron, zumindest auf diesem Platz in Friedrichshagen in der Stillerzeile 10–12. Seit über zehn Jahren ist die zehnköpfige Zirkusfamilie hier im südöstlichen Berlin zu Hause, zwischen Zirkuszelten, Wohnwagen und Alltag auf Rädern. Doch Ende des Jahres muss das Gelände geräumt werden. Die Familie hofft, irgendwo in Berlin einen neuen Platz zu finden! Jetzt wendet sie sich an die KURIER-Leser: Wollen Sie einen Zirkus als Nachbarn?

Vor dem großen Zirkuszelt in den klassischen Farben Blau, Rot und Gelb huschen Kinder vorbei. Rhythmisches Klatschen, Musik, Kinderlachen. Dazwischen eine Stimme aus dem Lautsprecher, die zur Probe ruft. Es wird geübt für die große Aufführung am Freitag. Über 60 Kinder machen mit.

Magdalena (8) ist zum zweiten Mal beim Kinderzirkus dabei. Heute wartet sie auf ihren Übungs-Auftritt. Sie beherrscht Seiltanz und Tüchertanz.
Magdalena (8) ist zum zweiten Mal beim Kinderzirkus dabei. Heute wartet sie auf ihren Übungs-Auftritt. Sie beherrscht Seiltanz und Tüchertanz.Veronika Hohenstein

Im Zelt ist es dämmrig. Neben der Manege steht Patrizia Endres (43), die gemeinsam mit Familie und ihrem Bruder Sascha (55) den Zirkus in zweiter Generation führt. Der Zirkus Aron, gegründet 1977, veranstaltet gerade ein Feriencamp für Kinder. Mit vollem Programm. Training von 9 bis 15 Uhr, dazwischen Mittagessen. Eine Woche Sommercamp kostet für die Kinder je 180 Euro inklusive Essen.

Am Ende der Woche steht dann die große Aufführung mit Kostümen an. „Insgesamt werden diesen Sommer über 300 Kinder hier Zirkustricks lernen“, sagt Patrizia. Sie hilft beim Seiltanz, führt Kinder über das Drahtseil, bringt Tücher, schaut, wo Hilfe gebraucht wird. „Ich bin Mädchen für alles“, sagt sie und lacht.

Berliner sollen helfen, damit der Zirkus nicht die Stadt verlässt

Die Kinder balancieren und üben zu jonglieren. Magdalena (8) sitzt auf einer Bank und wartet auf ihren Einsatz. „Rate mal, was ich mache?“, fragt sie die KURIER-Reporterin. „Ich bin Seiltänzerin und Tüchertänzerin.“ Johannes (6), ihr kleiner Bruder, ergänzt: „Ich bin Clown und Tüchertänzer.“

Cheyenne (24) hilft den Kindern beim Balancieren über das Seil. Die Kinder studieren ihre Nummer für die große Aufführung ein.
Cheyenne (24) hilft den Kindern beim Balancieren über das Seil. Die Kinder studieren ihre Nummer für die große Aufführung ein.Veronika Hohenstein
Anthony (23) übt mit Moritz (6) für die Feuershow am Freitag.
Anthony (23) übt mit Moritz (6) für die Feuershow am Freitag.Veronika Hohenstein

„Das Leben als Zirkusfamilie ist eigentlich wie aus dem Bilderbuch.“

Im Wohnwagen nebenan wird gekocht. „Das Leben als Zirkusfamilie ist eigentlich wie aus dem Bilderbuch. Nur ohne Tiere“, erzählt Laura (21). Sie ist die Freundin von Anthony (23), Sohn von Betreiber Sascha. Für sie stand von Anfang an fest, dass sie mit Kindern arbeiten möchte, und das tut sie nun. Sie bringt den Kindern Akrobatik bei, unterstützt sie, und organisiert das Zirkusleben drumherum. „Als ich mit Anthony zusammenkam, war ich noch in der Schule. Nach dem Abi hab ich mich gegen eine Ausbildung entschieden und bin einfach in den Zirkus eingestiegen.“ Sie tauschte das Leben in einer Wohnung gegen einen Wohnwagen. „Es ist kuscheliger und sehr familiär“, sagt sie. „Und wir sind immer an der frischen Luft.“

Zwischen den Proben gibt es Essen. Marina Willmann und Linda Kurpiers vom Hort der Wendenschloßschule helfen beim Austeilen. Heute gibt es Fischstäbchen, Spinat und Stampfkartoffeln. Alles hausgemacht. Die Kinder stellen sich in einer langen Schlange an und waschen sich die Hände. Dann die nächste Schlange fürs Essen. Linda versucht, die Kinder zu überzeugen: „Nur ein kleines bisschen Spinatsoße? Für die Muckis?“ Die Teller werden ihr nur zaghaft gereicht. Beliebter ist der Kartoffelbrei.

Mittagessen im Zirkuszelt: Marina Willmann und Linda Kurpiers vom Hort der Wendenschloßschule helfen Sandra Sperlich (rechts) beim Essenausteilen. Heute gibt es Fischstäbchen, Stampfkartoffeln und Spinat.
Mittagessen im Zirkuszelt: Marina Willmann und Linda Kurpiers vom Hort der Wendenschloßschule helfen Sandra Sperlich (rechts) beim Essenausteilen. Heute gibt es Fischstäbchen, Stampfkartoffeln und Spinat.Veronika Hohenstein

Keine leichte Zeit für einen Zirkus

Zirkusse wie Aron gehören zu einer aussterbenden Art, es ist wirklich keine leichte Zeit für solche Familienbetriebe. Corona traf die Familie hart. Die Idee zu Sommerferiencamps wurde zur Rettung. Die Familie reist immer noch durch Deutschland und zu unterschiedlichen Schulen, doch Friedrichshagen war über Jahre der feste Rückzugsort. Wenn sie unterwegs sind, dann mit sechs Wohnwagen und dem großen Zirkus-Lkw. Auf den Straßen bilden sie eine große Karawane. Die übrige Ausrüstung bleibt auf dem Platz in Berlin. „Die Nachbarn schauen nach dem Rechten.“

Die Zirkusfamilie lebt das ganze Jahr über in ihren Wohnwagen mitten auf dem Gelände in Friedrichshagen. Aber wohin jetzt?
Die Zirkusfamilie lebt das ganze Jahr über in ihren Wohnwagen mitten auf dem Gelände in Friedrichshagen. Aber wohin jetzt?Veronika Hohenstein

„Die HOWOGE war gut zu uns“, sagt Sandra (51). Sie duldet den Verbleib vom Zirkus noch bis zum 31. Dezember. Danach soll gebaut werden. Bereits 2022 hatte Vattenfall den Verkauf  des Grundstücks angekündigt. Ab 2026 entstehen hier dann rund 60 Wohnungen, wie die Morgenpost zuerst berichtete. „Wenn wir nichts Neues finden, sind wir obdachlos“, sagt Sandra.

Ruby (4) sitzt auf den Schultern von Florentine (10), die über das Seil balanciert. Jason (31), Zirkusdirektor und ältester Sohn von Sandra und Sascha, hilft den beiden achtsam auf die andere Seite.
Ruby (4) sitzt auf den Schultern von Florentine (10), die über das Seil balanciert. Jason (31), Zirkusdirektor und ältester Sohn von Sandra und Sascha, hilft den beiden achtsam auf die andere Seite.Veronika Hohenstein

Einen neuen Stellplatz zu finden, ist eine Herausforderung. „Viele wollen keinen Zirkus als Nachbarn“, meint Sandra. Anderswo sei es schwierig, mit genug Strom oder Wasser. Und wenn die Familie irgendwo anfragt, ist die erste Reaktion oft Ablehnung. „Die Leute reagieren manchmal sogar erschrocken", sagt Sandra.

Früher hatte Zirkus Aron auch  Pferde, Ziegen, Lamas, Alpakas, sogar ein Zebu. Ganz früher auch Kamele und Schlangen. Aber heute geht es um Akrobatik, Clownerie, Jonglage und vor allem um die Kinder, „die Stars der Manege“!

Das Familien-Team vom Kinderzirkus Aron in Friedrichshagen. (v.l.n.r.)  Patrizia (43), Roxana (16), Anthony (23), Sandra (51), Laura (21), Jason (31) und Cheyenne (24). Auf dem Foto fehlen Sascha (55) und seine Mutter Ingeborg (84) und Tochter Hope (10).
Das Familien-Team vom Kinderzirkus Aron in Friedrichshagen. (v.l.n.r.) Patrizia (43), Roxana (16), Anthony (23), Sandra (51), Laura (21), Jason (31) und Cheyenne (24). Auf dem Foto fehlen Sascha (55) und seine Mutter Ingeborg (84) und Tochter Hope (10).Veronika Hohenstein

Berliner Kinderzirkus bittet um Hilfe!

„Wenn irgendein Berliner ein Grundstück kennt, das sich für uns eignen könnte ... wir würden uns sehr freuen, wenn man sich meldet“, sagt Sascha und fügt hinzu: „Wir wollen Berlin nicht verlassen. Der östliche Teil wäre natürlich unser Wunschgebiet.“ Unter +49 176 55390466 kann man sich bei der Familie melden.

Liebe KURIER-Leser, kennen Sie in Ihrem Kiez Familienbetriebe, Kulturprojekte oder kleine Initiativen, denen es ähnlich geht wie Kinderzirkus Aron? Orte, die fehlen würden, wenn sie plötzlich weg sind? Worüber sollen wir als nächstes berichten? Wir freuen uns über Hinweise aus ganz Berlin! Schreiben Sie uns eine Mail an wirvonhier@berlinerverlag.com – wir freuen uns.