Entmietung brutal

Wohnungskündigungen! SO schnell landen Mieter in Berlin auf der Straße

Die Mieter eines Hausprojekts fanden ihre Zimmer über Nacht in Anzeigen für Büroräume im Internet. Dann kam die Kündigung.

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Berlin-Neukölln: Laura und Jules wohnen im Ex-Fabrikgebäude in der Hermannstraße 48 in Wohngemeinschaften. Jetzt kam die Kündigung.
Berlin-Neukölln: Laura und Jules wohnen im Ex-Fabrikgebäude in der Hermannstraße 48 in Wohngemeinschaften. Jetzt kam die Kündigung.Emmanuele Contini

Wie schnell man in Berlin auf der Straße landet, kann man an einem Beispiel in Berlin-Neukölln beobachten. Die Mieter eines Hausprojekts in der Hermannstraße fanden ihre Zimmer über Nacht in Anzeigen für Büroräume im Internet. Und nur wenig später erhielten sie Kündigungen.

Die Mieter der Hermannstraße 48 in Berlin-Neukölln sind mit ihren Nerven am Ende: Seit Wochen herrscht pure Unsicherheit. Jules und Laura berichten von der Schock-Nachricht: Ein Bote brachte ihnen persönlich die Kündigungsschreiben. Seit Jahren wohnen sie im denkmalgeschützten Hermannshof, erbaut 1905. Doch nun könnte der Traum vom gemeinschaftlichen Wohnen zerplatzen, berichtet die Berliner Zeitung.

Das Gebäude ist Teil des legendären H48-Projekts, das seit den 80ern viele Bewohner beherbergt. 67 Mieter teilen sich die WG-Idylle in der ehemaligen Fabrik, die hohen Decken und alten Holzwerkstätten erzählen Geschichten aus vergangenen Zeiten. Aber nun brennt in den Räumen die Luft. Laut der Anwältin der Eigentümerin handelt es sich bei den Mietverträgen um Gewerberaummietverträge – die hätten keinen Kündigungsschutz, schreibt die Berliner Zeitung. Am 11. Juli lagen die Kündigungsklagen in den Briefkästen.

Mietverträge wurden noch mit der früheren Eigentümerin geschlossen

Der Albtraum für die Mieter – er soll im Oktober beginnen, die Räumungstermine sind bereits angesetzt. Die Bewohner sprechen von Schikane: Wasser und Internet wurden abgestellt. Und die Eigentümerin? Fast nicht erreichbar. Die Mietverträge wurden noch mit der früheren Eigentümerin geschlossen, bevor 2021 der Bezirk Neukölln sein Vorkaufsrecht ausübte – vergeblich, ein Gerichtsurteil machte dem einen Strich durch die Rechnung.

So sieht der Gemeinschaftsraum für die Mieter des Hausprojekts aus.
So sieht der Gemeinschaftsraum für die Mieter des Hausprojekts aus.Emmanuele Contini

Jetzt klärt das Gericht, ob es sich um Wohnraum oder Gewerbefläche handelt. Und das ist offenbar gar nicht so einfach. Jules und Laura sind entschlossen: „Seit den 80ern wird hier gewohnt, in der Zeit haben sich viele Beweise angesammelt, die für die Feststellung des Wohnrechts sprechen.“

Die Kosten für den Rechtsstreit sind gigantisch, doch sie hoffen auf Unterstützung. Der Berliner Mieterverein steht hinter ihnen: Es spreche vieles dafür, dass es sich um Wohnraum handelt. Auch Neuköllns Bezirksstadtrat Jochen Biedermann fordert in der Berliner Zeitung: „Es ist ein Fakt, dass in der Hermannstraße 48 seit Jahrzehnten gewohnt wird. Die Eigentümerin sollte diese Realität endlich akzeptieren.“

Laura und die anderen Mieter haben einen Traum

Und was macht die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung? Martin Pallgen, Sprecher der Verwaltung, betont die Wichtigkeit von gemischten Quartieren und dem Schutz der Mieter. Doch ein erneuter Verkauf des Hauses? Unwahrscheinlich. Es gebe keine Hinweise auf Verkaufsabsichten, heißt es.

Laura und die anderen Mieter haben einen Traum: Ihr Zuhause soll in ein landeseigenes Wohnunternehmen oder eine Genossenschaft überführt werden. Doch die Eigentümerin lehnt ab, die Rentabilität sei nicht gegeben. Trotzdem kämpft die Gemeinschaft weiter: Auf Immobilienportalen fanden sie Inserate ihrer Zimmer.

Im Frühjahr erschien ein Inserat, das „charmante denkmalgeschützte Büros in Neukölln“ anpries, mit einem Bezugsdatum im vierten Quartal 2023. Im dreidimensionalen Rendering im Inserat sieht der Innenhof anders aus als der, in dem Laura und Jules sitzen und über ihre ungewisse Zukunft sprechen.

Laura macht klar: „Es geht einerseits um unseren eigenen Wohnraum, aber auch um den Erhalt von Wohnraum an sich.“ Bezahlbarer Wohnraum werde dringender gebraucht als teure Büros, meint sie. Hoffnung gibt die Last-minute-Rettung anderer Projekte und das steigende Bewusstsein für Verdrängung und Gentrifizierung überall in Berlin. ■