Großer Andrang im Gerichtssaal 700: Es geht um einen Fall von Sterbehilfe. Es ist zu sehen, dass der angeklagte Arzt Dr. Christoph Turowski (74) in Berlin viele Unterstützer hat. Er überließ einer Frau, die jahrelang an schweren Depressionen litt, Medikamente. Er habe ihr den Wunsch nach Sterbehilfe nicht abschlagen können, betonte der Mediziner während des Prozesses. Doch die Richter des Berliner Landgerichts urteilen am Montag anders und verurteilen den Berliner Arzt zu einer Haftstrafe von drei Jahren.
Richter Mark Sautter: „Schuldig des Totschlags in mittelbarer Täterschaft.“ Als der Mediziner einer schwer depressiven Studentin auf ihren Wunsch hin beim Sterben half, habe er „die Grenzen des Zulässigen überschritten.“ Dr. Christoph Turowski (74) hat einer schwer depressiven Frau beim Sterben geholfen – und aus Sicht der Richter dabei zu unkritisch agiert.
Die Kernfrage dabei: War die psychisch kranke Isabell R. (37) zu einer freien Willensbildung in der Lage? Denn eine frei verantwortliche Entscheidung ist laut Bundesgerichtshof Voraussetzung für einen assistierten Suizid.
Turowski hat bisher 100 Menschen beim Suizid assistiert
Turowski stammt aus einem Mediziner-Haushalt, wurde Internist, sieht seinen Beruf als Berufung, war 30 Jahre als Hausarzt mit Praxis in Steglitz tätig, ging 2015 in den Ruhestand. Seit Jahren engagiert er sich für die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS). 100 Menschen hat er seitdem beim Suizid assistiert – legal und fast immer über die DGHS vermittelt. Der Fall der Studentin lief nicht über die DGHS. Am 21. Juni 2021 meldete sich Isabell R. bei ihm. Turowski: „Sie suchte Hilfe, drängte.“

Der Tod von Isabell R. (37). Die Frau aus Bayern studierte in Berlin seit sechs Jahren Tiermedizin. Sie litt schon lange unter Depressionen. Am 12. Juni 2021 meldete sie sich bei Turowski. Nur zwölf Tage später überließ er der Frau Tabletten, die eigentlich tödlich wirken. Sie erbrach, kam in die Psychiatrie, hielt Kontakt zum Sterbehelfer. In ihren Mitteilungen tagelang ein Hin und Her zwischen Sterbewunsch und dem Gefühl, doch eine Aufgabe im Leben zu haben, den Tierschutz.
Am 12. Juli 2021 in einem Hotelzimmer der zweite Versuch. Diesmal legte T. eine tödlich wirkende Infusion, die sie in Gang setzte. Wenig später war sie tot. Nur einen Monat nach dem ersten Kontakt zum Sterbehelfer.
Ihre Kindheit schwierig, ein erster Suizidversuch in jungen Jahren. Sie studierte Tiermedizin, boxte sich trotz Schwierigkeiten durch, hatte einen Hund. Ihre Wohnung in Wilmersdorf war gepflegt. Der Arzt: „Die äußere Fassade war wohl intakt.“
Sie habe von ihrer „großen seelischen Not“ berichtet. Er habe ein langes Gespräch mit ihr geführt. 16 Jahre sei sie in Behandlung gewesen, nichts habe geholfen. Sie habe davon gesprochen, sich notfalls im Badezimmer zu erhängen.
In einem früheren Prozess wegen Sterbehilfe wurde der Arzt freigesprochen
Der frühere Hausarzt ist in einem früheren Prozess um Sterbehilfe freigesprochen worden. In dem Fall ging es um eine Frau, die an einer chronischen Darmerkrankung litt. Der Patientenwille sei zu achten, hieß es im März 2018 im Urteil, das der Bundesgerichtshof (BGH) später bestätigte.
In Deutschland hat jeder Mensch das Recht, frei über seinen Tod zu entscheiden. Das hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe mit seinem Urteil 2020 klargestellt. Aktive Sterbehilfe ist verboten. Um Regelungen zu einer assistierten Sterbehilfe wird seit Jahren gerungen. Richter Sautter verwies bei der Urteilsbegründung auf die bisherige Rechtsprechung des BGH, wonach Sterbehilfe zulässig sei – allerdings „unter der Voraussetzung der Freiverantwortlichkeit“.
Aus Sicht des Gerichts hätte der Berliner Mediziner den aktuellen Fall kritischer prüfen müssen. „Er traute sich zu, nach eineinhalb Stunden Gespräch die Freiverantwortlichkeit einzuschätzen. Das halten wir für hochproblematisch“, so der Richter. Ein psychiatrisches Gutachten habe die Frau aus finanziellen Gründen, und weil dies aus ihrer Sicht zu lange gedauert hätte, abgelehnt, hatte der Arzt im Prozess geschildert. Das Gericht überzeugt: Beim zweiten Versuch sei ihr eine „vollständig rationale Entscheidung krankheitsbedingt nicht möglich gewesen“.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Christoph Turowski zeigt sich enttäuscht und kündigt Rechtsmittel an. „Ich denke, der Wille auf einen Freitod bei psychischen Leiden ist hier nicht genügend berücksichtigt worden.“ Er sehe „eine Diskriminierung dieser Menschengruppe“. Aus seiner Sicht habe er im Fall der 37-Jährigen richtig gehandelt. Er habe bei ihr „die große seelische Not und die Entschlossenheit“ gesehen, notfalls einen Gewaltsuizid zu begehen. An der „Urteils- und Entscheidungsfreiheit“ der Frau habe er zu keinem Zeitpunkt gezweifelt. Allerdings werde er sich künftig in einem solchen Fall „absichern und es auf breite Schultern lagern“. Sein Verteidiger hatte im Plädoyer kritisiert, dass eine gesetzliche Regelung bislang fehlt. ■