Prostitution in Berlin

Ukrainische Kriegsflüchtlinge schuften in Berliner Bordellen

In Berlin bieten geschätzt 6000 bis 8000 Prostituierte ihre Dienste an. 50 Prozent davon sollen ukrainische Kriegsflüchtlinge sein, sagt eine Sozialarbeiterin.

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Angeblich ist jede 2. Hure in Berlin eine Ukrainerin.
Angeblich ist jede 2. Hure in Berlin eine Ukrainerin.Andreas Arnold/dpa

6000 bis 8000 Prostituierte bieten in Berlin ihre Dienste an. Geschätzt, denn die Dunkelziffer ist möglicherweise höher. Fest steht nur: Ende vorigen Jahres waren nach Prostituiertenschutzgesetz 2055 Sexarbeiter beim Berliner Senat gemeldet. Das allein ist schon eine hohe Zahl. Jetzt kommt eine neue Schockzahl dazu: Angeblich ist jede zweite Sexarbeiterin in einem Berliner Bordell eine Ukrainerin.

Viele regen sich über den mangelnden Arbeitseifer der ukrainischen Kriegsflüchtlinge in Deutschland auf. Tausende von ihnen bekommen Bürgergeld. Alleinstehende haben einen Regelbedarf von 563 Euro im Monat. Ist man alleinerziehend und hat ein Kind zwischen sechs und 13 Jahren, bekommt man für sich 563 Euro und für das Kind 390 Euro im Monat, insgesamt also 953 Euro für die Sicherung beider Existenzen. Im März 2024 erhielten 722.000 ukrainische Geflüchtete Grundsicherung für Arbeitsuchende – und damit Bürgergeld: 506.000 von ihnen sind erwerbsfähig gewesen und 216.000 nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte, meistens Kinder.

Wer sich darüber aufregt, sollte sich immer klarmachen, dass gerade für ukrainische Frauen die Möglichkeiten auf dem deutschen Arbeitsmarkt begrenzt sind. Und sie sehen alles andere als rosig aus. Tausende Ukrainerinnen landen als Prostituierte auf dem Straßenstrich oder in Berliner Bordellen. Das ist die Wirklichkeit. Die Zeitung Die Welt sprach mit Mia. Sie ist Sozialarbeiterin bei „Neustart“, einem sozial-diakonischen Werk in Berlin. Sie berät Sexarbeiterinnen aus allen möglichen Ländern.

Mia sagte dem Blatt: „Vorher waren Ukrainerinnen in diesem Milieu wenig präsent. Die Frauen, mit denen wir in Berlin arbeiten, kommen eigentlich mehrheitlich aus Osteuropa: Bulgarien, Rumänien und Ungarn und jetzt auch aus der Ukraine. In den Bordellen sind es mittlerweile etwa 50 Prozent, würde ich sagen. Dort gibt es viele sehr junge Frauen, die aufgrund des Krieges hergekommen sind.“

Ukrainische Kriegsflüchtlinge mit Universitätsabschlüssen als Prostituierte

Mia hat bis jetzt wenig Frauen kennengelernt, die in ihrer Heimat angeworben worden sind, um nach Deutschland zu kommen. So sei das oft bei Frauen aus Rumänien, Bulgarien und Ungarn der Fall. Da spreche sich schon in den Herkunftsländern herum: „Du kannst in Deutschland zumindest 80 Euro am Tag verdienen.“ Das sei deutlich mehr als das normale Durchschnittsgehalt in einigen ländlichen Regionen zum Beispiel in Ungarn, wo es nur 300 Euro pro Monat gebe.

„Bei den Ukrainerinnen ist es eher so, dass sie von anderen ukrainischen Frauen in Deutschland gehört haben: ,Wir arbeiten da, und da kannst du auch arbeiten.‘ Manche Frauen werden auch online angeworben, aber eben, wenn sie schon hier in Deutschland sind“, so die Sozialarbeiterin.

Wenn ukrainische Kriegsflüchtlinge nach Berlin kommen, ist es für die Frauen am gefährlichsten. Denn sie haben hier noch keine Wohnung.
Wenn ukrainische Kriegsflüchtlinge nach Berlin kommen, ist es für die Frauen am gefährlichsten. Denn sie haben hier noch keine Wohnung.Jens Schicke/imago

Nun können ukrainische Kriegsflüchtlinge, wie oben erwähnt, in Berlin Sozialleistungen beziehen. Wieso landen viele Frauen trotzdem im Puff? „Viele der Frauen aus der Ukraine, die wir betreuen, sind sich ihrer Rechte gar nicht bewusst“, sagt Mia. „Außerdem wurde bei ihnen große Angst vor dem Jobcenter geschürt. Es gab eine Frau, etwa Mitte 40, die in unsere Beratung kam. Ich habe ihr vorgeschlagen, einen Jobcenter-Antrag zu stellen, damit sie Bürgergeld bekommt. Sie hatte aber Angst, dass es Probleme gibt, wenn sie zu den Behörden geht und die herausfinden, dass sie sich prostituiert. Sie hatte Sorge vor Stigmatisierung. Jetzt, wo ihr Sohn gerade nachgekommen war, wollte sie auf gar keinen Fall mit diesem Milieu in Verbindung gebracht werden.“

Unseriöse Wohnungsangebote ebnen ukrainischen Kriegsflüchtlingen Weg in die Prostitution

Die ukrainischen Kriegsflüchtlinge hätten das Recht auf Unterbringungen, es gebe aber zu wenig Unterbringungsmöglichkeiten, so Mia zur Welt. „Dementsprechend ist es so: Wenn du nicht selbst etwas organisierst, kannst du unter Umständen nur in eine Notunterkunft gehen. Dann bleiben viele Frauen doch lieber in der Prostitution, auch wenn sie da vielleicht nicht selbstbestimmt angefangen haben.“

Oftmals sind es auch unseriöse Wohnungsangebote, die den Weg in die Prostitution ebnen. Denn viele Ukrainerinnen, die nach Berlin kommen, wissen zunächst nicht, wo sie bleiben sollen. Mia: „Ich habe eine junge Frau betreut, Anfang 20, mit Universitätsabschluss, konnte gut Englisch sprechen. Sie kam nach Deutschland und hatte ihren relativ jungen Sohn erst einmal in der Ukraine bei ihrer Mutter gelassen, um hier die Lage zu eruieren. Es war für sie sehr schwer, Wohnraum in Berlin zu finden, und sie kam schließlich bei einem Mann unter, den sie mit sexuellen Handlungen für die Unterkunft bezahlen sollte. Als dann die Miete von dem Mann angehoben wurde, sagte er ihr, sie könne sich prostituieren und ihn am Gewinn beteiligen. Könne sie die Miete nicht zahlen, würde er sie auf die Straße setzen, und dann könne sie ihren Sohn nie nachholen. Das tat sie dann auch.“

Und wie kommt man da wieder raus? „Es ist für viele schwierig, aus der Prostitution auszusteigen, weil das Milieu stark in sich geschlossen ist“, weiß die Sozialarbeiterin. „Das heißt, die Kontakte, die die Frauen haben, ihr ganzes Umfeld findet ausschließlich im Milieu statt. Wenn du aussteigst, hast du kein soziales Netz mehr. Frauen, die aussteigen wollen, brauchen deswegen meist mehrere Anläufe. (…) Der Wohnungsmarkt in Berlin ist aber eine Katastrophe, es kann also auch länger dauern, bis eigener Wohnraum gefunden werden kann.“ ■