Die rote Uhr über dem Laden zeigte nie die korrekte Zeit an. Wie überhaupt nur wenige der wohl Hunderte von Uhren in dem kleinen Geschäft mit den Vitrinen aus den 70er Jahren. Ist ja eine Reparaturwerkstatt hier, sagte dann der Inhaber. In der Gubener Straße macht Bernd Siebert nun seinen Laden zu. Er war eine Institution.
Am Montagabend hat Siebert für immer geschlossen, den Laden, in dem er 50 Jahre lang als Uhrmachermeister arbeitete. Siebert ist Uhrmacher in vierter Generation. Seit 1973 lebt er in Berlin. Nun geht der 75-Jährige in den Ruhestand, einen Nachfolger für seinen Laden hat er nicht gefunden. „Es ist so weit!“, steht auf einem handgeschriebenen Zettel an der Glastür im Eingang. „50 Jahre Wirken in Berlin-Friedrichshain gehen zu Ende. Uhren-Opa Bernd Siebert geht am 1. April in den Ruhestand.“
Was genau nun mit dem Geschäft passieren wird, weiß Siebert nicht. „Das entscheidet der Vermieter“, sagt der Uhrmachermeister. „Das bekomme ich ja nicht mit, wer da nachkommt.“
Berliner Uhrmacher-Urgestein macht zu
Fünf Jahrzehnte wechselte Bernd Siebert Batterien, schrieb Auftragszettel, klemmt neue Armbänder an alte Uhren. Im Laden drehten sich überall Zeiger, auf dem Tisch in der Werkstatt winzige Werkzeuge, Scheibchen, Rädchen, Tiegelchen. All das muss Siebert nun in Kisten aus dem Laden tragen.
Wenn man im Laden die Augen schloss, konnte man hören, wie die Zeit verrinnt. Es tickerte und gurgelte und gongte, weil die Uhren alle anders gehen, zu jeder krummen Minute.

„Ich lebe von den Träumen der Alten“, sagte der Uhrmacher, der mit seiner Kundschaft altert, bei einem Besuch einmal. Schon lange hätte er sein Geschäft dichtmachen können. Viele seiner Kunden kannte Siebert seit Jahrzehnten. Erst kamen sie zu zweit, dann nur noch einer, dann gar keiner mehr. Viele seien weggezogen, noch mehr gestorben, sagt Siebert.
Bernd Sieberts Geschäft war so besonders, weil sich der Inhaber um jeden gleich aufmerksam kümmerte, egal ob man mit einer Spezimatik kam oder mit einer Küchenuhr von Aldi. „Lassen Sie die Uhr zwei Tage hier, aber ohne Hoffnung“, sagte er den Kunden dann. Und die wussten genau, dass sie hier nicht übers Ohr gehauen werden.

Jetzt, wo der kleine Laden in der Gubener Straße seine Türen geschlossen hat, müssen die Menschen in Center gehen oder ihre Uhren zur teureren Reparatur beim Spezialisten einschicken. Uhrmacher wie Bernd Siebert, die zugleich auch Menschenflüsterer sind, gibt es immer weniger. „Ich danke für Ihre Treue und verlasse mit etwas Wehmut diesen urigen Laden“, schreibt der Uhrmachermeister zum Abschied. ■