Die Stimmen der Leser

Über die Zerrissenheit der Berliner in einer Stadt, die sie liebten

Berlin den Rücken kehren, ist gar nicht so einfach. „Berlin ist nicht mehr meine Stadt, aber eben doch“, schreibt ein Leser.  

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Eine Frau geht über eine Brücke, hinter ihr ein Wohnblock in Hellersdorf. Fremd in der eigenen Stadt zu sein, das fühlt sich für viele nicht gut an.  
Eine Frau geht über eine Brücke, hinter ihr ein Wohnblock in Hellersdorf. Fremd in der eigenen Stadt zu sein, das fühlt sich für viele nicht gut an. IMAGO/photothek

Diese Kolumne aus dem Herzen Berlins traf wohl einen Nerv. Viele von Ihnen, liebe Leser, haben sich wiedergefunden, in der Hassliebe für unsere Stadt Berlin. Immer mehr Menschen kehren der Stadt den Rücken. Doch was bewegt sie dazu?  Und was treibt die um, die bleiben? Was die Leser, die uns geschrieben haben, eint, ist eine große Enttäuschung darüber, was in Berlin einfach nicht gut funktioniert. Viele fühlen sich in der Stadt nicht mehr zu Hause, oder sogar nicht mehr sicher. Doch Gehen oder Bleiben, das ist in vielen Fällen aber gar nicht so einfach zu entscheiden. Da hängt bei den einen die Familie dran, auch anderswo sind die Mieten teurer geworden. Aus den Zuschriften und Kommentaren lässt sich eine große Enttäuschung lesen: Der Lack ist ab, Berlin. Aber auch eine gute Portion echt Berliner Pragmatismus: „Augen und Ohren zu und durch.“

Berlins Glanz ist verflogen

„Ich vermisse das Berlin der 90er und 2000er sehr“, schreibt uns etwa ein Leser, der hier geboren und aufgewachsen ist. „Der Glanz ist längst verflogen. Mittlerweile ist man als echter Berliner eine vom Aussterben bedrohte Art. Es gibt nur noch sehr wenige von uns.” Die Stadt empfindet er als überrannt, die Infrastruktur ächzt. In all den guten Jahren habe es die Politik versäumt, sich um die Stadt zu sorgen, diese zu pflegen und modern zu halten. Abgehängt fühlt er sich, wenn er beispielsweise die Bahnhöfe in anderen Ländern sieht. „Vieles ist hier in Wedding komplett verwahrlost. Der ständige Fluss an Flüchtlingen hat dazu geführt, dass man bei vielen Ärzten frühstens in einem halben Jahr einen Termin bekommt. Selbes Debakel in Krankenhäusern und Bürgerämtern.“

Stillstand, Dreck, Verwahrlosung

Auch der Leser will nach seinem Technik-Studium in die USA auswandern. „Ich sehe leider keine Besserung für Berlin in den kommenden Jahren. Nahezu überall Verwahrlosung, Stillstand, Drogen, Armut, Junkies, Dreck, so weit das Auge reicht. Bevor sich 2000 Euro Mieten in Berlin als Standard etabliert, bei den mickrigen Löhnen, werde ich der Stadt ebenfalls den Rücken kehren. So etwas will ich meinen zukünftigen Kindern nicht antun.“

Armut in der Hauptstadt, die Obdachlosigkeit ist auf den Straßen Berlins sichtbar. 
Armut in der Hauptstadt, die Obdachlosigkeit ist auf den Straßen Berlins sichtbar. IMAGO/Müller-Stauffenberg

Doch der Stadt den Rücken kehren, ist gar nicht so leicht. Wer, wie beispielsweise andere Leser aus Kaulsdorf, ein Haus in Berlin gebaut hat, ist stärker an den Ort gebunden. Auch wer alte Eltern in der Stadt hat, überlegt sich, ob er wegzieht. 

Geboren im Lichtenberger Oskar-Ziethen-Krankenhaus und in der Nähe aufgewachsen, lebt eine Familie seit 1991 in Kaulsdorf. „Eine ruhige, saubere, nette Nachbarschaft mit Menschen, die ich von Kindesbeinen an kannte.“ Doch schon mit der Wende beginnt die Veränderung. „Der Alex - früher ein beliebter Treffpunkt - verkam zum Mekka für Kriminelle, die Bahnhöfe zu Obdachlosenunterkünften, die Straßen zu dreckigen, vollen Strecken und von den widerlichen, allgegenwärtigen Schmierereien will ich gar nicht reden.“ Die Folge: Die Innenstadt vermeidet man lieber.

Doch auch in der Siedlung selber nehmen die Menschen Veränderungen wahr: „Die alten Anwohner sind weg, die neuen ziehen zu und nehmen keine Rücksicht. Es wird gemäht, geflext, gesägt und getan, wann immer man mag, die Kinder gehen nicht mehr auf den Spielplatz, sie haben einen im Garten - Spannungen überall.“

Müll, Lärm, Regeln, die nicht mehr gelten sollen, auf Straßen und im Straßenverkehr tragen zu einem Gefühl der Entfremdung bei. „Die Menschen sind unhöflich geworden, laut und schnell aggressiv und Bitte, Danke und Guten Tag scheinen out. Oft werde ich auf Englisch angesprochen, vor allem in der Arbeit. Man setzt voraus, dass ich das mit über 60 noch kann“, so ein Schreiber in seiner Mail an den KURIER. „Berlin ist nicht mehr meine Stadt, aber eben doch – die Familie lebt hier, also Augen und Ohren zu und durch.“

70 Jahre zwischen Alex und Frankfurter Allee

Eine, die Berlin bereits verlassen hat, ist Gabriele. „Ich bin in dritter Generation Berlinerin und habe über 70 Jahre zwischen Alex und Frankfurter Allee gewohnt. Jetzt bin ich schweren Herzens im vorigen Jahr weggezogen. Es tut heute noch weh. Das heutige Berlin ist schmutzig, dreckig und nicht mehr Berlin“, schreibt sie. Unzuverlässige Öffis, Poller-Flut im Samariterkiez, Einschränkungen, besonders für die, die auf das Auto angewiesen sind, machten ihr das Berlin-Leben mies.  Dennoch fehlt ihr das vertraute Berlin: „Eine saubere und gewaltfreie City, wo ich mich als alter Mensch aufhalten kann.“

Immer noch schön: Berlins Wahrzeichen, der Fernsehturm.  
Immer noch schön: Berlins Wahrzeichen, der Fernsehturm. Emmanuele Contini

Andere Leser berichten, dass Bekannte die Stadt bereits verlassen haben, einige sind in den Süden, nach Spanien oder Griechenland gezogen oder planen den Sprung über den Atlantik. „Bei meiner Familie und mir (als Urberlinerin) ist es so, dass wir keine bezahlbare Wohnung finden, seit Jahren!“ Zwei Erzieher*innengehälter reichen für den aufgeblasenen Berliner Wohnungsmarkt nicht mehr. Aufgrund unserer Patchworksituation können wir Berlin aber nicht so einfach den Rücken zuwenden. Da hängt mehr dran. Sonst wären wir auch schon lange weg, leider.

Ein Stand mit Plüschtieren am U-Bahnhof Hellerdorf. Die kuscheligen Jahre in Berlin sind vergangen. 
Ein Stand mit Plüschtieren am U-Bahnhof Hellerdorf. Die kuscheligen Jahre in Berlin sind vergangen. Maximilian Gödecke

Berliner, ihr seid nicht allein

Die Zustände in Berlin werden wir nur in kleinen Schritten verbessern, doch wenn sich eines aus den Zuschriften ableiten lässt, dann das: Es gibt viele, die ähnlich denken und die Sehnsucht nach mehr Zusammenhalt und Verantwortungsgefühl für die Stadt ist groß. Manchmal wird ein grauer Tag in Berlin ja schon durch ein Lächeln eines Unbekannten oder ein freundliches Wort an der Kasse besser, einfach so. Ich nehme mir das auf jeden Fall vor. Sie auch? 

Sitzen Sie auch auf gepackten Koffern und wollen die Stadt verlassen? Haben Sie Lust darauf, dass wir Sie ein Stück auf dem Weg begleiten und davon in einer Reportage erzählen? Schreiben Sie uns gern. Übrigens: Auch wenn Sie die ständige Berlin-Schelte gar nicht verstehen können, und gerade erst hergekommen sind und Berlin supertoll finden: Wir freuen uns auf Ihre Meinung. 

 leser-bk@berlinerverlag.com ■