Der für den Abend erwartete Gewitterregen blieb aus, dafür flossen die Tränen. Bei der 74. Ausgabe des Deutschen Filmpreises in Berlin gewann Corinna Harfouch in der Kategorie Beste weibliche Hauptrolle. Ein bekannter Kollege von ihr sorgte derweil für eine echte Filmpreis-Revolution.
Überraschungs-Auftritt Jürgen Vogel, es ist 19.30 Uhr im Theater am Potsdamer Platz in Berlin. Vogel mit Brille, Schlips und steifem Kragen: „Heute wird alles anders“, verspricht der Filmstar lachend den 1600 Gala-Gästen. „Wir wollen ein bisschen schneller sein“, kündigt Vogel an, der dieses Jahr zum siebenköpfigen Moderatorenteam gehört. Die Show solle nicht länger als der großartige Spielfilm „Toni Erdmann“ dauern, also gut 162 Minuten.

Viel zu lange habe man früher auf den Saalstühlen gesessen und sich quälend öde Dankesreden angehört. Damit sei nun Schluss. Dann setzt sich der Schauspieler an die Bühnenbar und schaut sich den Film „Toni Erdmann“ auf einem winzigen Monitor an – immer schön aufpassend, dass der Abend auch nicht zu lange dauert.
Holocaust-Überlebende Margot Friedländer beim Deutschen Filmpreis
Das neue Motto beim Deutschen Filmpreis – es heißt also: Tempo, Tempo, Tempo! Vogel sei Dank. Entsprechend raste man am Freitagabend durchs Programm, als wolle man den Sekt nicht warm werden lassen, der draußen im Schankbereich auf alle wartete. Ein schöner Regietrick war das! Denn damit hatten die Gewinner keine Zeit, ihre Gedanken ins Politische wandern zu lassen. Die von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) befürchtete Anti-Israel-Rede – sie blieb an diesem Abend aus. Zu einem Eklat wie bei der Berlinale kam es am Freitag nicht. Keiner tanzte aus der Reihe.

Dazu trug auch der bewegende und gütige Auftritt der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer bei, die von Meisterregisseur Wim Wenders auf die Bühne begleitet wurde. Für die 102-Jährige gab es frenetischen Applaus. Friedländer las von einem Zettel ab und mahnte: „Es gibt kein arabisches oder jüdisches Blut. Es gibt nur menschliches Blut. (…) Ich bitte euch, dass sich die Geschichte nicht wiederholt.“ Theaterstar Lilith Stangenberg hatte bei diesen Worten Tränen in den Augen. Sie war nicht die einzige.
Aber natürlich ging es an dem festlichen Abend in Berlin nicht nur um Tränen, sondern auch und vor allem um preiswürdiges Kino, wenngleich auch später noch das Taschentuch gezückt werden musste.
Die Lola für die Beste männliche Hauptrolle wurde vergeben, da waren noch keine fünf Minuten vergangen. Über die Trophäe freute sich der Schauspieler Simon Morzé. Er hatte die Jury mit seinem Spiel in dem Soldatendrama „Der Fuchs“ überzeugt. „Wie schlimm, dass man die erste Rede halten muss“, sagte Morzé leicht verdutzt. Das war nicht weiter erstaunlich. Denn soeben hatte er seine Mitbewerber Marc Hosemann („Sophia, der Tod und ich“) und Lars Eidinger („Sterben“) ausgestochen!
Ehren-Lola für Hanna Schygulla beim Deutschen Filmpreis
Höhepunkt des nicht immer ganz unfallfrei präsentierten Vollgas-Programms war der Moment, in dem die ehemalige Fassbinder-Schauspielerin, die große Hanna Schygulla eine Ehren-Lola für ihr Lebenswerk bekam. Ex-Berlinale-Chef Dieter Kosslick hielt die Laudatio auf die 80-Jährige. Er sagte: „Mit deiner Kunst und deinen Träumen gehörst du zu den prägenden Gesichtern unserer Branche.“ Wie wahr!

„Ihr denkt, ich trete hier als Erinnerungsstück aus der Geschichte auf, aber ich bin noch mit dabei“, konterte Schygulla gekonnt. Und sie hielt sich natürlich überhaupt nicht an die Zeitvorgaben von Jürgen Vogel. Ihre Dankesrede fraß gefühlt 30 Minuten. Sie redete und redete ... und wollte auch dann nicht aufhören, als sie die Lola längst in der Hand hielt. Der Saal tobte.

Beste Hauptdarstellerin wurde Corinna Harfouch für „Sterben“ („Ich dachte nie, dass ich jetzt hier oben auch noch heule!“). Die Goldene Lola für den besten Spielfilm ging ebenfalls an „Sterben“, das Werk von Matthias Glasner über den Crash einer zerrütteten Künstlerfamilie. Kulturstaatsministerin Claudia Roth und Alexandra Maria Lara und Florian Gallenberger, die zwei Leiter der Deutschen Filmakademie, übergaben die Trophäe. „Sterben“ war mit neun Nominierungen ins Rennen gegangen und bekam am Ende vier Trophäen
Ach ja, und der komplette Preis-Abend dauerte dann doch 168 Minuten, sechs Minuten länger als geplant. Natürlich nur die Zeit im Theater gemessen. Denn anschließend durfte gefeiert werden. Da blieb die Stoppuhr von Jürgen Vogel ausgeschaltet.
Die Lolas wurden in diesem Jahr in 19 Kategorien vergeben. Die Preise sind mit insgesamt knapp drei Millionen Euro die höchstdotierte Auszeichnung für den deutschen Film. Hier alle Preisträgerinnen und Preisträger:
- Bester Spielfilm
- Filmpreis/Lola in Gold (Dotierung: 500.000 Euro): „Sterben“ - (Produzenten: Jan Krüger, Ulf Israel, Matthias Glasner)
- Filmpreis/Lola in Silber (425.000 Euro): „Der Fuchs“ (Hana Geißendörfer, Malte Can, Gerrit Klein)
- Filmpreis/Lola in Bronze: (375.000 Euro): „Im toten Winkel“ (Mehmet Aktaş)
- Beste Regie: Ayşe Polat für („Im toten Winkel“)
- Bestes Drehbuch: Ayşe Polat für („Im toten Winkel“)
- Beste weibliche Hauptrolle: Corinna Harfouch („Sterben“)
- Beste weibliche Nebenrolle: Adele Neuhauser („15 Jahre“)
- Beste männliche Hauptrolle: Simon Morzé („Der Fuchs“)
- Beste männliche Nebenrolle: Hans-Uwe Bauer („Sterben“)
- Bester Dokumentarfilm: „Sieben Winter in Teheran“ (Melanie Andernach, Knut Losen, Steffi Niederzoll)
- Bester Kinderfilm: „Sieger sein“ (Sonja Schmitt, Christoph Daniel, Marc Schmidheiny)
- Beste Kamera/Bildgestaltung: „Die Theorie von Allem“ (Roland Stuprich)
- Bester Schnitt: „Sieben Winter in Teheran“ (Nicole Kortlüke)
- Bestes Szenenbild: „Die Theorie von Allem“ (Cosima Vellenzer, Anika Klatt)
- Bestes Kostümbild: „Girl You Know It's True“ (Ingken Benesch)
- Bestes Maskenbild: „Girl You Know It's True“ (Alisza Pfeifer, Christina Baier)
- Beste Filmmusik: „Sterben“ (Lorenz Dangel)
- Beste Tongestaltung: „The Dive“ (Michael Schlömer, Corinna Fleig, Tobias Fleig)
- Beste visuelle Effekte: „Die Theorie von Allem“ (Kariem Saleh, Adrian Meyer)
- Ehrenpreis des Deutschen Filmpreises: Schauspielerin Hanna Schygulla