Um Fahrer anzuwerben

Streiks vergessen? Schön frech, wie BVG mehr Fahrerlohn als Erfolg verkauft

Ein neuer Werbespruch ist von der BVG in der Stadt zu sehen. Obwohl er zunächst harmlos klingt, ist er bei genauer Betrachtung eine Frechheit – finden auch Berliner Öffi-Experten.

Author - Norbert Koch-Klaucke
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Arbeiten bei der BVG für 380 Euro monatlich mehr Grundgehalt, dank neuem Tarifvertrag, so ist es auf Anzeigetafel der BVG-Haltestellen zu lesen. Christian Linow vom Berliner Fahrgastverband findet den Werbespruch schon etwas neben der Spur.
Arbeiten bei der BVG für 380 Euro monatlich mehr Grundgehalt, dank neuem Tarifvertrag, so ist es auf Anzeigetafel der BVG-Haltestellen zu lesen. Christian Linow vom Berliner Fahrgastverband findet den Werbespruch schon etwas neben der Spur.privat/KURIER-Fotomontage

Immer einen flotten Spruch auf den Lippen: Mit Herz und Berliner Schnauze ist die BVG gerne in Sachen Eigenwerbung unterwegs – weil wir sie ja so lieben. Doch nun kommen die Marketing-Leute der Verkehrsbetriebe uns mit einem Spruch ums Eck, der schon ganz schön frech ist. Denn da zeigt sich die BVG von einer großzügigen Seite, die ihr so nicht zusteht. Vor allem die BVG-Fahrer dürften darüber mächtig sauer sein – findet unter anderem der Sprecher des Berliner Fahrgastverbandes Igeb, Christian Linow.

Dabei ist der Spruch, der derzeit als Lauftext an Anzeigen der Straßenbahnhaltestellen oder auf den Busfahrzielanzeigen zu sehen ist, auf den ersten Blick recht harmlos: „Arbeiten bei der BVG? 380 Euro mehr im Monat, dank neuem Tarifvertrag! Jetzt bewerben …“

Also frech klingt das zunächst nicht! Der Werbespruch ist noch nicht einmal lustig. Einfach sachlich steht da, dass die Berliner Verkehrsbetriebe dringend Fahrer für ihre Busse, Straßen- und U-Bahnen suchen und auch brauchen. Das ist auch gut so.

Denn bei der BVG brennt die Hütte. Jeder Berliner kennt das Fahrplanchaos bei den Verkehrsbetrieben. Auf einigen U-Bahn-Strecken muss man sogar bis zu 20 Minuten auf den nächsten Zug warten, wenn er dann kommt.

Die BVG will das Problem auch gar nicht leugnen. Im aktuellen Geschäftsbericht steht: „Nach vielen Jahren des Wachstums traten zuletzt die Grenzen der Leistungssteigerungen im System der BVG zutage. Überdurchschnittlich viele Fahrten fielen aus, da insbesondere die alte Fahrzeugflotte technisch anfällig ist und zeitweise hohe Krankenstände für Personalengpässe sorgten.“

Nun, neue U-Bahn-Züge werden ja auch kommen. Knapp 500 Wagen sollen bis Ende 2027 von der Pankower Firma Stadler an die BVG geliefert werden. Aber: Irgendwer muss die Züge auch fahren. 16.600 Mitarbeiter hat zwar die BVG, aber nur knapp die Hälfte kann Busse, Straßen- und U-Bahnen steuern. Also werden Tausende Fahrer gesucht.

Mit mehr Lohn um neue Fahrer werben: „BVG tut so, als hätte sie freiwillig ins Portemonnaie gegriffen“

Damit auch genügend Interessenten anbeißen, werfen die BVG-Sprüchemacher auch einen schönen Köder aus: Man kann bei den Berliner Verkehrsbetrieben sehr gut verdienen. Dank neuem Tarifvertrag gibt es jetzt sogar 380 Euro Grundgehalt mehr – und das jeden Monat!

Irgendwie ist das schon ganz schön frech, wie da die BVG mit dem Fakt Lohnerhöhung auf Fahrersuche geht! So sieht es auch Igeb-Sprecher Christian Linow. „Die Darstellung mit den 380 Euro mehr Monatslohn ist schon etwas bigott“, sagt er dem KURIER. „Die BVG tut ja gerade so, als hätte sie freiwillig ins Portemonnaie gegriffen und so für eine Lohnerhöhung ihrer Mitarbeiter gesorgt.“

Streikende vor der BVG-Zentrale fordern 750 Euro mehr Lohn: Dass es einen neuen Tarifvertrag mit höheren Gehältern gibt, war auch eine Folge der Streiks bei den Verkehrsbetrieben.
Streikende vor der BVG-Zentrale fordern 750 Euro mehr Lohn: Dass es einen neuen Tarifvertrag mit höheren Gehältern gibt, war auch eine Folge der Streiks bei den Verkehrsbetrieben.Thomas Meyer/Ostkreuz

Hat man in der BVG-Chef-Etage etwa schon die vielen Streiks und die Schlichtung vergessen, die zu dem neuen Tarifvertrag führten? Die Mitarbeiter, die Gewerkschaft Verdi und vor allem die Berliner haben das jedenfalls nicht.

Im Januar begann der Arbeitskampf bei der BVG. Und die Forderung der Gewerkschaft war hoch. 750 Euro mehr monatliches Grundgehalt wurden da aufgerufen, plus diverse Schichtzulagen. Warnstreiks gab es, Verdi-Verhandlungsführer Jeremy Arndt drohte sogar mit „Rambazamba“, also mit einem Dauerstreik, wenn die BVG-Chefetage nicht mit den 750 Euro und den satten Zuschlägen herausrückt.

Und keiner hat vergessen, wie die BVG stets diesen Forderungen widersprach. Weil das Land Berlin ja drastisch sparen müsste, könnten sich die landeseigenen Verkehrsbetriebe so eine satte Lohnerhöhung fürs Personal nicht leisten.

Selbst mit den 380 Euro mehr Grundgehalt, auf das man sich nach der Schlichtung einigte, um einen Dauerstreik abzuwenden, wäre die BVG am Limit ihrer Möglichkeiten. Und nun wird mit dieser Summe vollmundig geworben, als wären diese 380 Euro mehr Lohn der Verdienst der Verkehrsbetriebe gewesen. In Wahrheit entstand der neue Tarifvertrag unter Druck und am Ende in Gemeinsamkeit mit der Gewerkschaft.

So sieht es nicht nur Igeb-Sprecher Christian Linow, sondern auch der Verkehrsexperte der Linkspartei, Kristian Ronneburg. Der Politiker sagte dem KURIER, angesprochen auf die Fahrer-Anwerbungskampagne: „Es freut mich, dass die BVG jetzt wenigstens zu dem hart errungenen Tarifabschluss steht und es nun auch öffentlich zeigt.“

Liebe Leser, was sagen Sie zu diesem Werbespruch der BVG? Schreiben Sie uns an leser-bk@berlinerverlag.com!