Berlin ist die Stadt, in der Kinderarmut in den Schulen täglich sichtbar wird. Fast jedes vierte Kind in Berlin wächst von Armut bedroht auf. Beim Mittagessen werden in unserer Pankower Grundschule die Mittags-Menüs mit besonders hungrigen Kindern geteilt, die sonst kein Pausenbrot dabei haben. Bei jeder Extra-Veranstaltung, die etwas kostet, gibt es Diskussionen, wer was bezahlt. Aufgepasst: Wir befinden uns im bürgerlichen Pankow, nicht in Gesundbrunnen, oder im Neuköllner Rollbergviertel, in Moabit oder in anderen Vierteln, die für prekäre Verhältnisse bekannt sind.
Nun prescht die Bildungssenatorin Katharina Günther Wünsch mit dem Vorschlag vor, das kostenlose Mittagessen und das ebenfalls kostenfreie Schülerticket an den Berliner Schulen einzusparen. Das wäre ein Schritt zurück in asoziales Klassendenken.
58 Millionen könnte die Berliner Bildungsverwaltung jährlich sparen, wenn sie das kostenlose Schülerticket für alle abschafft. Einen dreistelligen Millionenbeitrag von etwa 180 Millionen, wenn sie das Mittagessen nicht mehr voll subventioniert. Ein schönes Sümmchen, doch käme es dann auch wirklich den Bildunsgbedürftigen in Berlin zu?
Familien mit mittleren Einkommen müssen sparen
Natürlich gibt es einige, ich behaupte, eine Minderheit an Familien, in denen es durchaus möglich wäre, Ticket und Speise selber zu zahlen. Bei vielen aber ist am Ende des Monats gar nicht mehr so viel Spielraum für Extras.
Um die 20 Euro kostet ein BVG-Ticket im Monat, für Geschwister gibt es eine Ermäßigung. Das Schulessen kostet etwa 66 Euro im Monat. Doch wer im Monat zusätzlich über 80 Euro zahlen soll, spart vielleicht den Klavierunterricht ein, wenn es eh schon knapp ist.
Selbst Familien mit mittlerem Einkommen ächzen längst unter immer mehr Ausgaben, unbezahlbaren Mieten und ständig teureren Lebenshaltungskosten. Da ist der Keramikkurs für 40 Euro, die Englisch-Nachhilfe für 70 Euro, der Sportkurs für 30 Euro, die Klassenfahrt für 300 Euro. Leben mit Kindern ist teuer. Die Schere zwischen Arm und Reich, sie klafft immer weiter auf. Bei Kindern entscheidet sie noch dazu über ihre Bildungschancen, ihren weiteren Weg ins Leben. Wer hier sparen will, spart an der falschen Stelle.
Dabei sind Mobilität und eine gesunde Mahlzeit doch Grundvoraussetzungen, um am Schulalltag teilnehmen zu können. Da geht es nicht nur um den Schulweg, wie die CDU-Senatorin glauben mag. Wo fahren Kinder mit dem Schülerticket hin? Zur Generalprobe in der Staatsoper, zur Klassenfahrt in Brandenburg, zum Museumsbesuch, zum Schwimmen, zum Musizieren, zum Treffen mit Freunden. Mobil sein heißt teilhaben. Nur wenn das Schülerticket kostenfrei ist, können sich die Lehrkräfte darauf verlassen, dass auch alle Schüler beim Ausflug ein Ticket haben.
Mit der Tüte Chips über den Tag kommen
Und nur wer nicht mit knurrendem Magen dem Unterricht folgen muss, hat eine Chance auf eine gute Bildung. Ich bin froh, dass es für alle Kinder in der Schule wenigsten eine gesunde Mahlzeit am Tag gibt. Morgens kommen sie sonst mit einer Tüte Chips für den Tag in die Schule.

Dass das Essen und Ticket für alle gleich kostenlos sind, radiert Gräben zwischen den Gesellschaftsschichten aus. Beihilfen beantragen zu müssen ist stigmatisierend und überfordert einige Familien. Andere wollen aus Scham die Hilfen nicht annehmen und beschneiden sich und ihre Kinder so selbst in ihren Möglichkeiten.
Die Unterschiede zwischen Gymnasien und Privatschulen und dem ganzen Rest der Schulen sind schon jetzt deutlich zu sehen. So ist es erwiesen, dass an den Berliner ISS, wo tendenziell eine Schülerschaft aus ärmeren Haushalten zu finden ist, mehr Unterricht ausfällt. Es sind diese Schulen, die Inklusion viel stärker umsetzen müssen und auch die Integration von Zugezogenen aus anderen Ländern stemmen. Wenn Kinder hier dann kein kostenloses Ticket und Mittagessen mehr haben, weil viele Familien mit der Beantragungs-Bürokratie für Hilfen überfordert sind, fallen noch mehr Bildungschancen einfach hinten runter.
Von den in Berlin erlaubten Schulwegen durch die halbe Stadt mit bis zu einer Stunde Dauer will ich gar nicht erst anfangen. Dass die Bildungssenatorin den eh schon gebeutelten Schülern und Familien in Bezirken mit zu wenige Schulplätzen hier einen weiteren Kostenposten aufdrücken will, ist nicht nachzuvollziehen.
Soli-Topf der Vermögenden für Schulessen und Ticket
Klar, vermögende Familien sind nicht auf das kostenlose BVG-Ticket angewiesen. Doch sie sind längst nicht mehr die Mehrheit. Anstatt die Leistung für alle zu streichen, könnte man doch zuerst einen freiwilligen Topf einrichten, bei dem Vermögende solidarisch für Bedürftige einzahlen könnten?
Sich das Geld für ein Deutschlandticket für Schüler vom Bund zu holen, ist eine noch bessere Idee, die im Hamburg praktiziert wird.
Denn bisher kann keiner belegen, dass die eingesparten Millionen Euro am Ende auch dort landen würden, wo sie am dringendsten benötigt werden. Wie würde die CDU das gesparte Geld sinnvoll für bessere Bildung in Brennpunkten einsetzen? Oder wird es doch die neue schicke Turnhalle im Viertel wie die eigenen Wähler sitzen?
Nach dem Mittagessen und dem BVG-Ticket ist in Berlin übrigens auch die Schwimmausbildung der Grundschüler auf der Sparliste. Die Busse, die die Kinder in der dritten Klasse in die Schwimmhallen fahren, sollen ab dem kommenden Schuljahr nicht mehr bezahlt werden, hieß es gestern bei der der Elternversammlung. Das Berliner Schulsystem ist dermaßen knapp auf Kante, dass sich Einsparungen hier generell verbieten müssten.
Doch in Sparzeiten, in denen es Sondervermögen nur für Bundeswehr und Rüstung gibt, will man sich mit Lappalien wie der Chance auf gute Bildung unabhängig vom Kontostand der Eltern nicht befassen.