Horror-Droge Fentanyl – in den USA hat das Opioid, das bis zu 50 Mal stärker als Heroin wirkt, schon eine fatale Drogen-Welle ausgelöst. Völlig weggetretene Konsumenten auf der Straße sind dort kein seltener Anblick. Allein im Jahr 2023 starben 300.000 Menschen in den USA nach dem Konsum synthetischer Opioide. Auch wenn es in Berlin noch keine flächendeckende Verbreitung von Fentanyl und anderen extrem potenten synthetischen Opioiden gibt, wächst die Sorge vor einer tödlichen Welle.
Nach einer aktuellen Anfrage des ehemaligen Berliner Kultursenators Klaus Lederer an den Senat antwortet dieser: Aufgrund der Entwicklungen in Bundesländern wie Bremen und Bayern wird das Risiko „als ernstzunehmend eingestuft“.
In Bayern wurden etwa seit 2024 mindestens acht Todesfälle und schwere Intoxikationen im Zusammenhang mit synthetischen Opioiden, insbesondere Nitazen-Derivaten, festgestellt, beschreibt eine Warnung der Bayerischen Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen. Nitazen-Derivate sind noch bis zu 100-mal stärker als Fentanyl und werden weiterhin über Online-Shops als „Forschungschemikalien“ angeboten.
Gefährlicher Medikamenten-Missbrauch mit Opioiden
Immer wieder kommt es aber auch zum Missbrauch von Opioiden, die als Medikamente legal verschrieben werden können. Aktuelle anonyme Berichte auf dem Portal DocCheck verdeutlichen, dass weiter höchste Vorsicht im Umgang mit etwa Fentanyl-Pflastern in Krankenhäusern und Seniorenheimen geboten ist. Nicht selten werden sie dort geklaut, selber genutzt oder weiter verkauft.
Abhängige besorgen sich den Stoff auch, indem sie benutzte Fentanylpflaster aus dem Müll von Kliniken, Heimen und Hospizen sammeln. Das Problem: Selbst in gebrauchten Opioid-Pflastern, die gegen starke Schmerzen verschrieben werden, sind noch bis zu 70 Prozent der ursprünglichen Wirkstoffmenge verfügbar. Süchtige kochen die Pflaster dann aus, kauen sie oder spritzen sich das Opioid. Teilweise verschwinden auch Tabletten oder Kapseln von den Stationen oder in Altenheimen.
Eine Altenpflegerin schildert auf DocCheck etwa, welchen Stress es auslöst, wenn beim streng geregelten Umgang mit dem Opioid mal etwas schiefgeht. „Mir selbst schon passiert, das Fentanyl-Pflaster abgezogen und weg war es. Nicht auffindbar!“ Der Doku-Aufwand sei enorm, man fühle sich schuldig und könne froh sein, wenn der Chef hinter einem steht. Am Ende fand sich das durchsichtige Pflaster in diesem Fall doch noch am Handschuh.

Doch es gibt auch Fälle, in denen bewusst Betäubungsmittel entwendet werden: „Eine Reinigungskraft meldete sich bei uns, da sie beim Wechsel der Mülltüten in der Personaltoilette diverse leere Ampullen gefunden hat. Die Stationsleitung stellte fest, dass es sich dabei um fast ausschließlich BtM-Substanzen handelt, die aber auf unserer Station kaum oder gar nicht eingesetzt werden“, schreibt eine Userin. „Es besteht der Verdacht, dass die Restmengen nach dem Aufziehen aufgehoben worden sind bzw. dass weniger als angeordnet aufgezogen worden und in unbeobachteten Momenten gesammelt wurde.“
Auch Ärzte greifen zu Betäubungsmitteln
Auch Ärzte selber sind vor der erheblichen Suchtgefahr durch Opioide nicht geschützt: Nach Stress auf der Arbeit und im privaten habe ein Arzt „mal einen Blister mit nach Hause genommen“. Der Betroffene gibt zu, schnell auf den Arztausweis die nächste Packung aus der Apotheke geholt zu haben. Ein ständiger Wechsel der Apotheken half, dass niemand Verdacht schöpfte. Am Ende vertraute er sich einem Kollegen aus der Suchtmedizin an. Ein anderer Anästhesist nutze offenbar Reste von Infusionen mit Betäubungsmitteln selbst und wurde von Kollegen dabei erwischt.
In einem anderen Krankenhaus entwendete ein Pflegeschüler regelmäßig Benzos und gelegentlich Opiate, um sie weiterzuverkaufen. Was eigentlich als Schmerztherapie für Patienten gedacht ist, landet unter Umständen bei Junkies auf der Straße. Ein Pflaster mit dem Wirkstoff Fentanyl wird auf dem Schwarzmarkt für 60 Euro gehandelt.
Kein Drogenproblem in Berliner Kliniken?
Wie gehen Berliner Krankenhäuser mit dem Thema um? Der KURIER fragte bei den größten Konzernen Helios und Vivantes nach. „Leider können wir die Anfrage nicht bedienen, da die Problematik bei uns im Haus nicht vorliegt“, heißt es von der Helios-Pressestelle. Bei Vivantes blieb man bisher eine Antwort ganz schuldig.
Die Augen vor dem Problem zu verschließen bringt allerdings nichts, das ist auch den Verantwortlichen im Berliner Senat klar. Auch wenn die Zahl der Menschen, die nachweislich am Konsum von Fentanyl starben mit 30 in den vergangenen zwei Jahren in Berlin noch niedrig ist, setzt der Senat auf Prävention.
Infomaterialien für Jugendliche und Schulungen für Fachkräfte sollen das Bewusstsein für Medikamentenmissbrauch stärken. Besonders im Visier: Substanzen wie Tilidin, Tramadol und Oxycodon, die bereits weitverbreitet sind. Auch das Drug-Checking soll in Berlin ausgeweitet werden. Wenn Konsumenten von unerwünschten Beimischungen wissen, verzichten sie häufig auf den Konsum. Eine Überdosierung von synthetischen Opioiden führt zu Bewusstlosigkeit und Atemlähmung – auch mit Todesfolge. Allein das Mittel Naloxon kann die Opioid-Wirkung umkehren und so im schlimmsten Fall Leben retten.
Weil aus Afghanistan weniger Heroin auf den Markt gelangt, seit die Taliban dort an der Macht sind, fürchten Experten, dass der Bedarf Abhängiger auch mit synthetischen Opioiden und Beimischungen bedient werden könnte.