Weitere Verschiebung

S-Bahn-Ausschreibung in Berlin: Die bittere Chronik des Versagens

Seit vier Jahren versuchen Berlin und Brandenburg einen neuen Betreiber, für die S-Bahn zu finden. Doch immer wieder läuft alles schief.

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Auch die Berliner Stadtbahn ist ausgeschrieben. Für die Linien wird ein neuer Betreiber gesucht sowie Hersteller für die neuen Züge.
Auch die Berliner Stadtbahn ist ausgeschrieben. Für die Linien wird ein neuer Betreiber gesucht sowie Hersteller für die neuen Züge.Rüdiger Wölk/imago

Der nächste Akt im Trauerspiel um die Vergabe von S-Bahnteilnetze und den Kauf neuer S-Bahnen für Berlin. Bis zum kommenden Montag sollten die Bieter ihre Angebote abgeben können. Diese Frist wird nun nach dpa-Informationen erneut verschoben. Wahrscheinliche Konsequenz: Berlin und die Berliner müssen noch länger warten, bis endlich neue S-Bahnen auf die Strecke kommen, noch länger mit Verspätungen und Zugausfällen klarkommen.

Die Entscheidung darüber, welches Unternehmen ab den 30er Jahren Teile der Berliner S-Bahn betreiben wird, könnte sich weiter verzögern. Bei der Ausschreibung wird die Frist für die Abgabe von Angeboten, die nach wiederholten Verschiebungen am kommenden Montag enden sollte, nach dpa-Informationen erneut verlängert.

Dem Vernehmen nach haben die Interessenten nun bis zum 2. Dezember Zeit, ihre Angebote einzureichen. Dadurch könnte sich auch eine endgültige Entscheidung über den Zuschlag verschieben, heißt es. Die sogenannte Zuschlagserteilung ist bislang für Anfang 2025 angepeilt.

Milliarden-Deal mit harten Bandagen

In dem großangelegten Vergabeverfahren sind der Betrieb auf den Nord-Süd-Verbindungen sowie auf der Stadtbahn zwischen West und Ost ab den 30er Jahren ausgeschrieben. Die Ringbahn ist nicht enthalten. Ferner können sich Anbieter auf die Lieferung und Instandhaltung von Fahrzeugen bewerben. In diesem Zuge soll die S-Bahn mindestens 1400 neue S-Bahn-Wagen erhalten, die die allmählich in die Jahre kommende Flotte verjüngen.

Die Ausschreibung verzögert sich bereits seit Jahren und wurde zwischenzeitlich auch vor dem Berliner Kammergericht verhandelt. Im Nord-Süd-Teilnetz war die Betriebsaufnahme ursprünglich bereits für Ende 2027 geplant, auf der Stadtbahn für das Frühjahr 2028.

Es geht dabei auch um viel Geld. Nach bisherigen Berechnungen könnten sich die Aufträge auf elf bis zwölf Milliarden Euro summieren. Ausgeschrieben ist das gesamte S-Bahnnetz in Berlin und Brandenburg – bis auf die Ringbahn.

Das Vergabeverfahren für die S-Bahn-Teilnetze Stadtbahn und Nord-Süd läuft schon seit 2020. Berlin und Brandenburg suchen Unternehmen, die mindestens 1400 S-Bahn-Wagen bauen, 30 Jahre lang instand halten und 15 Jahre lang betreiben. Die Fahrzeuge sollen auf elf Linien rollen. 165 Vier-Wagen-Züge sollen im Teilnetz Stadtbahn eingesetzt werden, auf den Nord-Süd-Linien ist ein Minimum von 185 Vier-Wagen-Zügen geplant.

Die Frist zur Abgabe der verbindlichen Angebote wurde schon mehrmals verschoben, zuletzt auf den 28. März. Gerichte wurden eingeschaltet, die Konkurrenten um den Milliarden-Deal spielen mit harten Bandagen, Gerichte wurden eingeschaltet. Die Deutsche Bahn möchte im Spiel bleiben, die Fahrzeughersteller Siemens, Stadler und Alstom bekundeten Interesse, die Züge zu bauen. Wir haben schon mehrmals darüber berichtet.

Dit is Berlin: Die Chronik des Versagens

14. Juni 2019: Fährt die Berliner S-Bahn ins Chaos? „Wie berichtet wird derzeit im Auftrag des Landes eine Ausschreibung für die S-Bahn-Linien auf der Stadtbahn und den Nord-Süd-Strecken vorbereitet. Das Besondere daran ist, dass die Aufträge für die Instandhaltung und den Zugbetrieb ab 2026 getrennt vergeben werden können – nach dem Motto: Ein Unternehmen wartet die Züge, ein anderes fährt sie. Derzeit ist die S-Bahn Berlin GmbH, ein Unternehmen der Deutschen Bahn (DB), noch für beide Bereiche zuständig.“ Robert Seifert von der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) warnte: „Ich frage mich, warum ein in Europa einzigartiges Experiment ausgerechnet bei der S-Bahn ausprobiert werden soll“, sagte er. „Die Flexibilität, die wir heute bei Störungen wie bei den jüngsten Unwettern haben, wird nicht mehr gegeben sein.“

12. November 2019: Experiment mit ungewissem Ausgang. „Der Senat beschließt, dass zwei Drittel der S-Bahn neu ausgeschrieben werden. Für die S-Bahn-Linien auf der Stadtbahn und im Nord-Süd-Tunnel werden Unternehmen gesucht, die von Ende 2026 an neue Züge bereitstellen und sie fahren.“

18. Dezember 2019: Ausschreibung verspätet sich.„ Brandenburg hat der Ausschreibung zur S-Bahn noch nicht zugestimmt. Der Zeitplan ist nicht einzuhalten. Der für den 13. Dezember 2019 anberaumte Lenkungskreis habe ‚aus Krankheitsgründen‘ auf den 18. Januar 2020 vertagt werden müssen.“

14. Februar 2020: Brandenburg stellt die Signale auf Rot. „Die Länder sind in einem entscheidenden Punkt nicht einig: Soll auf jeden Fall eine neue Werkstatt gebaut werden – oder nicht? Damit gerät der Plan, die S-Bahn-Flotte ab 2026 zu erweitern und zu verjüngen, ins Wanken.“

2. Mai 2020: S-Bahn-Ausschreibung kann beginnen. „Im Streit um das bisher größte Verfahren dieser Art haben sich Berlin und Brandenburg geeinigt. Vermutlich im Juni kann eine der größten Ausschreibungen beginnen, die es jemals in der Verkehrsgeschichte gegeben hat. Die Fahrgäste können sich auf neue Wagen und mehr Kapazität freuen.“

20. Mai 2020: S-Bahn-Ausschreibung verzögert sich weiter. „Ursprünglich sollte sie schon im vergangenen November beginnen. Doch jetzt hat sich die geplante Ausschreibung von zwei Dritteln des S-Bahn-Verkehrs weiter verzögert. Anders als erhofft bekam Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) im Senat kein grünes Licht für ihren Plan, das Vergabeverfahren endlich in Gang zu setzen. Es geht um die Forderung, dass das Personal auch bei den neuen Betreibern zu denselben Bedingungen wie heute bei der S-Bahn Berlin GmbH beschäftigt wird.“

27. Mai 2020: Ausschreibung der Superlative. „Nach langem Streit macht Rot-Rot-Grün den Weg frei für die Neuorganisation des S-Bahn-Netzes. Zwei Teilnetze der S-Bahn (Nord-Süd und Stadtbahn) können neu ausgeschrieben werden. Der Senat einigte sich auf die entsprechenden Modalitäten. Der bisherige Vertrag mit der S-Bahn Berlin GmbH, einer Tochter der Deutschen Bahn AG, war bereits Ende 2017 ausgelaufen. Seitdem gibt es Übergangsverträge.“

5. August 2020: Die große Ausschreibung steht unmittelbar bevor. „Zwischenzeitlich war davon die Rede, dass die Unterlagen für die europaweite Ausschreibung vom 22. Juli an hochgeladen werden. Später hieß es, dass der Startschuss an diesem Dienstag erfolgt. Doch selbst wenn damit begonnen wird, sie nun einzuspeisen: Bis die Unterlagen im Internet für das Publikum sichtbar werden, dürften weitere Tage vergehen.“

6. Februar 2021: Das Rennen um die S-Bahn ist eröffnet. „Bis zum 11. Februar, 12 Uhr, haben interessierte Unternehmen Zeit, ihren Teilnahmeantrag einzureichen. Das geht aus dem offiziellen „Verfahrensbrief“ hervor. Das Rennen um die Berliner S-Bahn beginnt. Gesucht werden Unternehmen, die für rund zwei Drittel des Streckennetzes Züge herstellen und diese dann betreiben.“

Für Fahrradfahrer tat die damalige Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Mitte) viel, bei Verbesserungen für die S-Bahn scheiterte sie oft.
Für Fahrradfahrer tat die damalige Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Mitte) viel, bei Verbesserungen für die S-Bahn scheiterte sie oft.Markus Wächter

1. Dezember 2022: S-Bahn kommt später. „Schlechte Nachrichten für die Fahrgäste der S-Bahn. Die neuen Züge kommen bis zu zweieinhalb Jahre später als zuletzt angekündigt. Bei der Weichenstellung für die Zukunft der S-Bahn hat sich eine weitere Verzögerung ergeben, teilte Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne)  mit. Das große Vergabeverfahren, bei dem Lieferanten sowie Betreiber neuer Wagen gesucht werden, dauert länger, und das Ergebnis könne erst später als geplant umgesetzt werden.“ Und damit verschoben sich auch die Termine der geplanten Inbetriebnahme. „Im Teilnetz Stadtbahn wird sie nun ab Juni 2029 erfolgen, 16 Monate später. Im Teilnetz Nord-Süd ist sie ab Juni 2030 geplant, 30 Monate später“, erläuterte die Grünen-Politikerin. Grund für die Verschiebung sei, dass die Deutsche Bahn den bereits abgesprochenen Zeitplan für notwendige Erweiterungen des Gleisnetzes im Sommer überraschend revidiert hat.

„Makel der Rechtswidrigkeit“

23. November 2023: Das Kammergericht hat das Wort. „Im Sommer 2021 legte Bewerber Alstom eine Rüge bei der Vergabekammer der Senatswirtschaftsverwaltung ein. Nach rekordverdächtigen 15 Monaten, normal sind vier bis fünf Wochen, kam das Gremium zu Stuhle und wies den Nachprüfungsantrag im November 2022 ab. Als Reaktion reichte das Unternehmen beim Kammergericht Beschwerde ein.“ Der Zeitpunkt für die mündliche Verhandlung stand jetzt endlich fest – Februar 2024.

4. März 2024: Alstom verliert Verfahren. „Das Kammergericht Berlin weist die meisten Beschwerdepunkte des Bahnherstellers Alstom ab. Berlin und Brandenburg können mit ihrer Ausschreibung für die S-Bahn fortfahren. Dennoch machte das Gericht in seiner am Montag veröffentlichten Entscheidung deutlich, dass die Länder aus seiner Sicht auch in zentralen Punkten des Verfahrens gegen das Vergaberecht verstoßen. Das betreffe auch die Bewertung eingehender Angebote. Allerdings seien die Rügen, die Alstom zu diesen Punkten erhoben hatte, nicht rechtzeitig eingereicht worden und würden deshalb abgewiesen, hieß es.“

15. März 2024: Wackliges Verfahren. Allerdings fragen sich Beobachter, ob die Gerichtsentscheidung nicht doch erst mal nur ein Etappensieg ist, schreibt die Berliner Zeitung. Wenn voraussichtlich im Herbst 2024 darüber entschieden wird, wer die Aufträge erhält, könnte es wieder zum Rechtsstreit kommen. Juristische Munition für unterlegene Anbieter gäbe es jedenfalls genug. Das Kammergericht hat sie in ausreichender Zahl geliefert, indem es vier Alstom-Rügen als begründet einstufte. Es gebe „materiellrechtliche Vergabeverstöße“, so die Vorsitzende Richterin. Der „Makel der Rechtswidrigkeit“ sei zu 100 Prozent belegt.

9. November 2024: Neue Verschiebung um einen Monat. Die Interessenten haben nun bis zum 2. Dezember Zeit, ihre Angebote einzureichen. Fortsetzung folgt.