Sollte man das La Bohème in der Winsstraße in Prenzlauer Berg beschreiben, müssen Worte wie Kirschlikör fallen, Worte wie Plüschsessel und Goldrandtassen in Vitrinen. Das Herz des Ladens mit dem zusammengewürfelten Interieur sind seit vielen Jahren Uschi und Angelika. Wer sie kennenlernt, begreift: Kieztreff ist ein viel zu profanes Wort für dieses Refugium. Das La Bohème ist Oase und Rückzugsort für Menschen. Jetzt bangt der ganze Kiez um sein Kultur-Wohnzimmer.
Keine Unterstützung mehr vom Jobcenter
Das La Bohème im Berliner Winskiez steht vor dem möglichen Aus, nachdem das Jobcenter unerwartet seine finanzielle Unterstützung eingestellt hat. Bisher haben jedes Jahr vier bis fünf Mitarbeiter, vermittelt durch das Jobcenter in dem integrativen, sozialen Projekt gearbeitet. Mit ihnen gab es finanzielle Zuwendungen, die nun schmerzlich fehlen. „Etwa 2200 Euro fehlen jeden Monat“, sagt Uschi. Alle hier hoffen, dennoch mit Spenden den Betrieb aufrechterhalten zu können, bis ein neuer Antrag im nächsten Jahr die Finanzierung wieder sichert.
„Bis August schaffen wir es vielleicht noch allein“, sagt Uschi und setzt sich erst einmal. Seit Ende April wuppen die beiden älteren Damen den Laden ganz allein. Sie bereiten Veranstaltungen vor, haben ein offenes Ohr für Gäste, die einfach kommen können, um zu reden. Sieben Tage in der Woche sei sie derzeit hier, sagt Uschi.

Jeden Tag machen Uschi und Angelika die Tür auf, für die Einsamen und die Kulturhungrigen. „Neulich war eine Frau da, die sagte, sie habe seit zwei Tagen kein Wort gesprochen“, sagt Angelika. Montags kommen die Schachspieler, es gibt Selbsthilfegruppen, die sich hier treffen, einen Schreibzirkel, eine Hörspielgruppe. Jeden Donnerstag findet abends eine Veranstaltung wie Lesungen oder Konzerte statt. „Eintritt nach Lust und Laune und Vermögen“, steht dann auf den Plakaten.
„Klar könnten wir für all das mehr Geld verlangen, wie einige in der Not nun vorschlagen. Aber dann würde sich der Charakter verändern“, sind sich Uschi und Angelika einig.
Menschen brauchen Räume wie das La Bohème
Manche sagen, die Räume mit dem zusammengewürfelten Inventar seien aus der Zeit gefallen. Dabei braucht diese Zeit genau solche Räume. Zur Begegnung, ohne Konsumzwang, einfach so. „Diese kleine Oase darf nicht geschlossen werden“, sagen die Gäste. Doch nun bangt das Projekt, das zum Verein „Freundeskreis Tina Modotti Archiv“ gehört, und noch vor zwei Jahren vom Bezirk für sein Engagement ausgezeichnet wurde, um die Existenz.
Langzeitarbeitslose, Migranten, psychisch Kranke, die durch gemeinwohlorientierte Tätigkeit an die Arbeit auf dem regulären Arbeitsmarkt herangeführt werden sollen, waren bisher im „La Bohème“ beschäftigt. Wohl weil in den letzten zwei Jahren weniger von ihnen dem ersten Arbeitsmarkt zugeführt werden konnten, hat das Jobcenter die Zusammenarbeit eingestellt.

„Wir haben viel Arbeit mit den Leuten gehabt, es ist eine Betreuerfunktion, doch es hat gut funktioniert“, erinnert sich Uschi. Bei Bedarf haben die beiden Damen bei Schriftverkehr geholfen, haben grundlegende Strukturen für den Tag vermittelt, bei Bewerbungen unterstützt. In ihrem Tun haben Uschi und Angelika weitere prominente Unterstützer. Winnie Böwe liest hier regelmäßig, auch Milan Peschel ist oft zu Gast. Uschi kennt viele Schauspieler und Künstler noch aus ihrer Zeit im Brechtkeller. Am 3. Juli veranstaltet der Verein eine Benefiz-Versteigerung mit Fotos von Helga Paris, die hier einmal Vorstandsvorsitzende war und gleich gegenüber wohnte.
Auch die Grünen in Pankow machen sich für den Erhalt des Kieztreffs stark. „Gerade in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung brauchen wir Orte, die Menschen verbinden – unabhängig von Alter, Herkunft oder sozialem Hintergrund“, schreiben Heike Schmidt und Paul Schlüter. Ein Antrag, die BVV möge sich für den Erhalt einsetzen, wurde angenommen. Die Durststrecke aushalten, heißt es nun für Angelika und Uschi, die beiden Ü-70-Damen haben einen anderen Fördertopf aufgetan und hoffen, dass sie im August wenigstens eine Stelle besetzen können, die beim täglichen Betrieb des Treffs hilft.