Angst in Lichtenberg

Milieuschutz auf der Kippe? 4000 Mieter bekommen Post vom Amt!

Im Gebiet Weitlingstraße werden Fragebögen verschickt. Denn der Milieuschutz, der die Mieter vor Verdrängung aus dem Kiez bewahren soll, steht auf dem Prüfstand.

Author - Norbert Koch-Klaucke
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Das Gebiet an der Lichtenberger Weitlingstraße steht seit 2018 unter Milieuschutz. Dieser steht nun auf dem Prüfstand.
Das Gebiet an der Lichtenberger Weitlingstraße steht seit 2018 unter Milieuschutz. Dieser steht nun auf dem Prüfstand.Steinach/imago

Der Kiez rund um die Weitlingstraße in Berlin-Lichtenberg: 4000 ausgewählte Mieter erhalten dort Post vom Bezirksamt. Sie sollen einen Fragebogen ausfüllen. Ihre Antworten werden über die Zukunft des Gebietes entscheiden. Denn es geht dabei um die wichtige Frage, ob der Kiez rings um die Weitlingstraße auch weiterhin unter Milieuschutz stehen wird, das die Verdrängung der alteingesessenen Anwohner durch Ansteigen der Mieten verhindern soll.

Zwischen S-Bahnstrecke und Wohnsiedlungen: Der Weitlingkiez (etwa 14.000 Einwohner) gehörte vor Jahren zu den Gebieten in Berlin, die einen gravierenden Strukturwandel durchmachten. Häuser wurden saniert, neue gebaut. Das eine oder andere Luxusquartier mit Eigentumswohnungen entstand, lockte Besserverdienende an.

Ein drastischer Anstieg der Mieten war damals die Folge. Viele Menschen, die sich die hohen Quadratmeterpreise nicht leisten konnten, zogen weg. Nach einer Untersuchung des Stadtplanungsbüros Topos waren 2018 im Quartier zwischen Frankfurter Allee, Bahntrasse, Lincoln- und Fischerstraße etwa „50 Prozent der Bewohner verdrängungsgefährdet“.

Um die Verdrängung zu stoppen, wurde dieses Gebiet vom Bezirksamt Lichtenberg per Satzung unter Milieuschutz gestellt. Mit dieser sogenannten sozialen Erhaltungsverordnung nach Paragraf 172 des Baugesetzbuchs kann der Bezirk seit 2018 in das Entwicklungsgeschehen in dem Kiez eingreifen, Luxussanierungen und die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen verhindern.

Das Milieuschutzgebiet Weitlingstraße erstreckt sich zwischen dem Bahnhof Lichtenberg, der Frankfurter Allee, der Lincoln- und der Fischerstraße.
Das Milieuschutzgebiet Weitlingstraße erstreckt sich zwischen dem Bahnhof Lichtenberg, der Frankfurter Allee, der Lincoln- und der Fischerstraße.Hohlfeld/imago

Und noch mehr: Wohnungseigentümer müssen den Umbau beziehungsweise Abriss von Gebäuden ebenso genehmigen lassen wie Nutzungsänderungen. Behörden können Anträge ablehnen oder diese an Auflagen binden – etwa, wenn Modernisierungen in Luxussanierungen mit zweitem Bad oder Fußbodenheizungen ausarten, für die Wohnungseigentümer eine höhere Miete verlangen.

Der Milieuschutz sorgt auch dafür, dass Vergrößerungen von Wohnungen oder die Nutzung von Wohnraum als Gewerberaum untersagt werden. Denn auch das lässt die Quadratmeterpreise nach oben steigen. Die Milieuschutzsatzung ist zwar „keine Wunderwaffe“, sagte der damalige Bürgermeister Michael Grunst (Linke). Aber sie „ist eine mögliche und wichtige Maßnahme im Kampf um bezahlbaren Wohnraum oder gegen Verdrängung“. Das war 2018.

Milieuschutzgebiet Weitlingstraße: Es steht auf dem Prüfstand

Doch jetzt, sechs Jahre später, steht das Milieuschutzgebiet Weitlingstraße möglicherweise auf der Kippe. Denn das Bezirksamt Lichtenberg wird zum ersten Mal überprüfen, ob für das im Jahr 2018 festgesetzte soziale Erhaltungsgebiet Weitlingstraße weiterhin die Voraussetzungen vorliegen. Daher wurden Briefe mit Fragebögen an 4000 zufällig ausgewählte Haushalte im Kiez verschickt.

Blick in die Weitlingstraße
Blick in die WeitlingstraßeManja Elsässer/imago

Die Mieter werden darin gebeten, freiwillig Angaben darüberzumachen, wie lange sie in dem Kiez leben, wie zufrieden sie dort sind, wie das nachbarschaftliche Zusammenleben ist und welche sozialen Einrichtungen genutzt werden. Der Hauptpunkt der Befragung sind aber die Angaben zur Wohnungsgröße, deren Ausstattung und natürlich der Miethöhe.

„Diese Haushaltsbefragung im Weitlingkiez soll Erkenntnisse dazu liefern, ob die besonderen Schutzinstrumente des sozialen Erhaltungsrechts im Gebiet auch fortan genutzt werden können“, erklärt die Stadtentwicklungsbehörde Behörde von Bezirksstadträtin Camilla Schuler (Linke). Mit anderen Worten: Der Milieuschutz im Kiez steht gerade auf dem Prüfstand.

Milieuschutzgebiet Weitlingstraße: Über die Zukunft entscheiden 4000 Haushalte

Um die Notwendigkeit für das künftige Fortbestehen des Erlasses auch rechtssicher begründen zu können, „ist unter anderem eine repräsentative Haushaltsbefragung erforderlich“, heißt es aus der Behörde von Stadträtin Schuler. Daher sollten möglichst vieler Bewohner an der Befragung teilnehmen. Nur so könne das Bezirksamt wichtige Informationen zur Wohn- und Lebenssituation im Lichtenberger Weitlingkiez erhalten.

Lichtenbergs CDU-Fraktionschef Benjamin Hudler
Lichtenbergs CDU-Fraktionschef Benjamin HudlerCDU-Fraktion Lichtenberg

Dass das Weiterbestehen des dortigen Milieuschutzes jetzt geprüft wird, sei nicht außergewöhnlich. „Die Satzung sieht vor, dass diese in regelmäßigen Zeitabständen auch geschehen muss“, sagt Benjamin Hudler, CDU-Fraktionschef und Vorsitzender des Ausschusses für Stadtentwicklung und Mieterschutz in Lichtenberg. „Ich bin schon auf das Ergebnis der Befragung sehr gespannt.“

Benjamin Hudler hat erhebliche Zweifel, ob der Milieuschutz im Kiez bisher wirklich etwas gebracht hat. „Denn im Gebiet wird weiter neu gebaut, was  für Mieterhöhung sorgt“, sagt er dem KURIER. Und bei Neubauten würden die Milieuschutz-Maßnahmen laut Satzung weitgehendst nicht gelten.

Hudler erklärt, dass es rings um die Weitlingstraße ein recht unterschiedliches Mietniveau gebe. Im Umfeld der Metastraße wohne man mit einem Quadratmeterpreis um die fünf Euro (Kaltmiete) sehr günstig. In anderen Straßenlagen sind es dagegen über 20 Euro. „Nach meinen Schätzungen liegt in dem Gebiet die Durchschnittskaltmiete bei um die zehn Euro.“

Milieuschutzgebiet Weitlingstraße: Ist es noch zeitgemäß?

Der Politiker macht kein Geheimnis daraus, dass damals die CDU gegen das Milieuschutzgebiet Weitlingstraße war. Auch heute stehe man dem kritisch gegenüber. Fraglich sei für Hudler, ob die Maßnahme überhaupt noch zeitgemäß ist. Denn sie behindere auch die für Altbauten wichtigen energetischen und alten- und behindertengerechten Sanierungen (wie Fahrstühle), „die man doch eigentlich heutzutage haben will“, sagt er.

Für Alexander Helwig, dem Referenten der Stadtentwicklungsstadträtin Schuler, steht die „Milieuschutzverordnung für das Gebiet Weitlingstraße keinesfalls auf der Kippe“. „Bei der laufenden Haushaltsbefragung erwarten wir auch keine geänderte Erkenntnislage, sodass der Milieuschutz sehr wahrscheinlich fortbestehen wird“, sagt er dem KURIER.

Ist das Ergebnis der Befragung da und ausgewertet, muss am Ende aber das Bezirksparlament (BVV) über das Fortbestehen entscheiden. Eine Zustimmung könnte eine knappe Mehrheit von SPD, Linke und Grüne garantieren.

Das Bezirksamt sieht daher die Sache gelassen. Schließlich wurde 2021 die erste Überprüfung für das Milieuschutzgebiet Kaskelstraße auch erfolgreich durchgeführt, erklärt Helwig. Er kündigt schon das nächste Verfahren im Bezirk an. 2026 kommt voraussichtlich das Milieuschutzgebiet Fanningerstraße erstmalig auf den Prüfstand.