Und das im 21. Jahrhundert

Mahlsdorf: Hier wird das Abwasser mit dem Brummi weggeschafft

Mitten in Berlin, im beschaulichen Mahlsdorf, fließt das Abwasser nicht durch Rohre – sondern wird per Lkw abgeholt. Warum eine ganze Straße noch immer keinen Kanalanschluss hat.

Teilen
Straßen ohne Kanalisation gibt es nicht nur in Mahlsdorf, sondern an vielen Orten Berlins.
Straßen ohne Kanalisation gibt es nicht nur in Mahlsdorf, sondern an vielen Orten Berlins.Steinach/imago

Idyllisch, fast malerisch wirkt die Straße Am Barnim in Mahlsdorf. Ein typisches Bild für den Berliner Stadtrand: schmale Fahrbahn, gesäumt von Einfamilienhäusern, über denen sich alte Baumkronen wie ein schützendes Dach spannen. Doch so ruhig und gepflegt die Szenerie anmutet – unter dem Asphalt offenbart sich ein Überbleibsel aus vergangenen Zeiten. Hier fehlt etwas, das heute in jeder Stadt selbstverständlich scheint: der Anschluss ans Abwassernetz.

In Berlin spricht man bei solchen Fällen von „blauen Gebieten“ – ein nüchterner Begriff für ein erstaunliches Phänomen, merkt die Berliner Morgenpost in ihrem Bericht an. Statt dass das Abwasser der Haushalte durch ein modernes Leitungssystem abfließt, wird es in der Straße Am Barnim in Mahlsdorf Sammelgruben aufgefangen.

Diese Gruben werden regelmäßig geleert, das Abwasser wird dann per Brummi zu speziellen Annahmestellen gefahren. Laut Berliner Wasserbetrieben betrifft das noch 7420 Grundstücke in der gesamten Stadt. Die meisten davon liegen in Kleingartenanlagen, die traditionell nicht an das Kanalnetz angeschlossen sind. Doch es gibt auch reguläre Wohnstraßen wie Am Barnim, die immer noch ohne Kanalisation auskommen müssen.

Im Bezirk Marzahn-Hellersdorf sind es immerhin 696 Grundstücke, die ihr Abwasser noch auf diese altmodische Weise entsorgen, schreibt die Morgenpost. Dabei gilt Berlin offiziell als fast vollständig erschlossen – bereits 2019 lag der Anschlussgrad bei über 99,8 Prozent. Seitdem haben weitere Bauprojekte diesen Wert noch verbessert. Doch ausgerechnet in Mahlsdorf scheint die Moderne zu stocken.

Der Grund dafür liegt nicht im mangelnden Willen der Behörden, sondern in einer komplizierten Eigentumslage. Zwar ist die Straße Am Barnim öffentlich gewidmet – jeder darf sie befahren oder entlangspazieren. Doch rechtlich gehört sie nicht der Stadt, sondern ist in viele kleine Flurstücke unterteilt, die sich in Privatbesitz befinden.

Die Straße am Barnim in Mahlsdorf hat keine Abwasser-Kanalisation.
Die Straße am Barnim in Mahlsdorf hat keine Abwasser-Kanalisation.Wikimedia

Und genau das macht die Verlegung von Abwasserleitungen zu einem Geduldsspiel. Ohne das Einverständnis aller Eigentümer lässt sich kein Meter Leitung verlegen – und bislang ist dieser Konsens schlicht nicht zustande gekommen.

Abwasser-Erschließung würde jeden Eigentümer bis zu 20.000 Euro kosten

Für viele Anwohner ist das ein zermürbender Zustand. Es hat zahlreiche Initiativen gegeben, Politiker wie Mario Czaja und Katharina Günther-Wünsch haben sich für die Anbindung stark gemacht. Auch die Berliner Wasserbetriebe zeigen kompromissbereit. Aber alle Bemühungen laufen ins Leere, solange nur ein einziger Eigentümer sein Veto einlegt.

Und daran liegt’s: Der fehlende Anschluss ist nicht nur ein organisatorisches, sondern auch ein finanzielles Problem. Die Erschließung würde jeden Eigentümer zwischen 10.000 und 20.000 Euro kosten – eine Summe, die offenbar nicht alle bereit sind zu investieren.

Stattdessen zahlen die Anwohner weiter für die mobile Entsorgung: Knapp 60 Euro im Jahr an die Wasserbetriebe als Pauschale und rund 50 Euro monatlich an das Abfuhrunternehmen, das das Abwasser einmal im Monat abpumpt. Für einen Single-Haushalt summieren sich die Kosten auf etwa 660 Euro pro Jahr – bei Familien wird es deutlich teurer.

Immerhin: Beim Trinkwasser geht es voran. Dort konnten einzelne Haushalte selbst entscheiden, ob sie sich anschließen lassen wollten. Die Arbeiten laufen – ein kleiner Fortschritt, der aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass die eigentliche Herausforderung ungelöst bleibt.

Was sagen Sie zu dem Thema? Schicken Sie uns Ihre Meinung an leser-bk@berlinerverlag.com oder kommentieren Sie unseren Beitrag auf Facebook oder bei X. Wir freuen uns auf Ihre Nachrichten!