Es gibt hier über 60 Bäume, einen Spielplatz, die Mieter haben sich sogar einen schönen Garten angelegt. So groß wie ein Fußballfeld ist das grüne Innenhof-Paradies der Anwohner an der Lichtenberger Joachimsthaler-/Plauener Straße. Doch das Idyll ist bedroht. Zwei neue Häuserblöcke mit 105 Wohnungen will der Senat dort von der landeseigenen Wohnungsgesellschaft Howoge hineinpressen lassen. Die Mieter sind auf den Barrikaden, fürchten demnächst ein Baummassaker in ihrem Hof. Sie ahnen ja gar nicht, wie recht sie haben.
KURIER-Besuch im Joachimsthaler Carree, das mit seinem grünen Innenhof schon fast einmalig in dem Hochhausmeer des Lichtenberger Ortsteils Hohenschönhausen ist. Die Häuser mit den 350 Wohnungen wurden Ende der 70er Jahre gebaut. Etwa 1000 Menschen leben darin.
Eine der ersten Mieter waren Eva (71) und Harry Roll (77). „So grün, wie es heute aussieht, war das damals hier noch nicht“, sagt das Ehepaar. Ja, es gab schon einige Bäume, von denen manche heute 100 Jahre alt sein müssen. „Aber die meisten haben wir Mieter gepflanzt“, sagt Harry Roll und zeigt auf eine Kastanie, die neben vielen anderen Bäumen mit einer schönen Laubkrone im Innenhof steht. „Meine Frau und ich haben sie gepflanzt. Nun soll sie weg! Insgesamt 50 Bäume für 105 neue Wohnungen, die die Howoge hier bauen will.“

Es kommen weitere Mieter dazu. Bettina Rühling (66) erzählt, wie in den vergangenen fünf Jahrzehnten der Hof immer grüner wurde. „Benachbarte Schulen hatten hier zu DDR-Zeiten zwei Schulgärten errichtet“, sagt sie. „Jahre später bekamen wir sie dann von der Howoge verpachtet. Einer wurde zu einem Parkplatz für die Anwohner, ein weiterer zu unserem Mietergarten. Er steht für alle Menschen in der Nachbarschaft offen. Hier grillen wir, hier feiern wir Familienfeste.“
Lichtenberger Mieter gegen Senat: „Wir wollen nicht, dass Wohnungen ein Stück wertvoller Natur zerstören“
Aber auch dieses Kleinod soll weg. Denn der Mietergarten steht dem Neubauvorhaben auf dem Innenhof ebenfalls im Weg. Das empört elf Frauen und Männer, die sich nun dort zwischen Kräutern, Tomaten und Blumen versammeln. Der „harte Kern“ der Mieterinitiative „Joachimsthaler Carree“, die um den Erhalt des Hof-Idylls kämpfen.
Regine Mahnke (70) ist ihre Sprecherin. „Seit über vier Jahren kämpfen wir gegen die Bebauung, seitdem sie bekannt wurde“, sagt sie. „Wir sind nicht gegen sozialen Wohnungsbau. Aber wir wollen auch nicht, dass Wohnungen ein Stück wertvoller Natur zerstören.“

Laut Bauantrag sollen 50 Bäume im Hof gefällt werden, so Mahnke. „Sie alle und die Gartenanlage sind schützenswert. Sie sorgen bei Sommerhitze für ein mildes Klima, sie sind ein wichtiger Lebensraum für Vögel, Eichhörnchen, Igel und Insekten. Dass alles wird nicht mehr da sein, wenn die Häuser darauf stehen.“
Die geplanten Fünfgeschosser zerstören nicht nur das grüne Hofparadies, sie nehmen den Mietern auch die Lebensqualität, sagen sie. Laut einer Darstellung in einer Broschüre der Howoge stehen die beiden geplanten Wohnblöcke in einem Abstand von etwa 24 Metern zu den bestehenden Wohnblöcken an der Joachimsthaler Straße.

Und zu einem Block an der Plauener Straße beträgt der Abstand laut der Skizze offenbar nur 20 Meter. „Verdichtung, Verschattung, damit wollen wir nicht leben – und die neuen Nachbarn, die in diesen Blöcken leben, sicher auch nicht“, sagt Beatrix Hartung (71), die gerne ihr grünes T-Shirt mit der Botschaft „Rettet die grünen Innenhöfe“ trägt – vor allem auf Protestkundgebungen, die schon zahlreich im Innenhof stattfanden.
Bausenator Gabler lässt nicht nur das SEZ wegen neuer Wohnungen abreißen
Die Howoge erklärt: Freie Bauflächen in Berlin sind knapp und teuer. Um Kosten beim Bau von Sozialwohnungen zu sparen, müsste man zunehmend auf die Nachverdichtung in bestehenden Wohnquartieren setzen. „Landeseigene Wohnungsbaugesellschaften sind in besonderem Maße dazu aufgefordert, bezahlbare Wohnungen zu bauen“, schreibt die Howoge in ihre Broschüre zum Joachimsthaler Carree.
Zum Bau aufgefordert werden sie von der Behörde von Bausenator Christian Gaebler. Wenn es um neue Wohnungen in Berlin geht, kennt der SPD-Politiker keine Gnade. Denn laut einer Studie fehlen der Hauptstadt über 120.000 Sozialwohnungen. Dafür lässt Gaebler etwa das SEZ an der Landsberger Allee für 500 neue Quartiere abreißen – oder grüne Innenhöfe in Hohenschönhausen zerstören.

Denn der Senat ließ in diesem Jahr eine bisherige sogenannte Dienstbarkeit auf dem Areal des Joachimsthaler Carree löschen, die den Innenhof bisher vor Bebauung geschützt hatte. Die Folge: Das Bezirksamt Lichtenberg, das der Innenhof-Bebauung ebenfalls skeptisch gegenübersteht, musste so den Bauantrag für die beiden Wohnblöcke genehmigen.

Jetzt geht das Projekt schneller als gedacht voran. „Zum 30. September hat die Howoge uns die Pachtverträge für den Mietergarten und den Parkplatz gekündigt“, sagt die Sprecherin der Mieterinitiative. Für Norman Wolf steht damit fest: „Die Howoge will jetzt Fakten schaffen“, sagt der Lichtenberger Fraktionschef der BSW, der zusammen mit Vertretern von Linkspartei, CDU und Grünen den Mieterkampf unterstützt.
Baummassaker im Lichtenberger Innenhof: Ab Oktober soll es losgehen
„Bäume zu fällen und weiteres Innenhof-Grün plattzumachen, ohne dass die Howoge ein Bauunternehmen für das Projekt hat“, das habe schon Geschmäckle, so Wolf. Dass die Kündigung der Mietergärten jetzt zum 30. September erfolge, sei ja kein Zufall. An diesem Tag endet das Fäll- und Schnittverbot für Bäume und Sträucher.

In der Tat könnten ab 1. Oktober die Motorsägen im Innenhof des Joachimsthaler Carrees kreischen. „Die Mietergärten wurden gekündigt, da sie in Vorbereitung auf das Neubauvorhaben zurückgebaut werden müssen. Nach aktuellem Stand gehen wir davon aus, dass die bauvorbereitenden Maßnahmen im 4. Quartal 2025 (beginnt am 1. Oktober, d. A.) eingeleitet werden können“, erklärt Howoge-Sprecherin Annemarie Rosenfeld. „Sobald konkrete Termine feststehen, werden die Anwohnenden und Interessierte per Aushang sowie über die Webseite der Howoge informiert.“
Konkret steht fest: Der Baubeginn für die Wohnblöcke ist für das Frühjahr 2026 geplant. Anfang 2028 sollen sie stehen. „Das Vergabeverfahren für ein Bauunternehmen läuft derzeit“, so die Howoge-Sprecherin.
Im Vorfeld hatte die Howoge erklärt, dass das Bauprojekt ebenfalls naturnah umgesetzt werde. Man plane begrünte Dächer, Regenwasserflächen, Blühhecken und schattenspendende Aufenthaltsbereiche.