Sie ist eigentlich ein Juwel: die Prignitz, die allein wegen der Elblandschaft nicht nur bei Anglern beliebt ist. Naturliebhaber finden generell im nördlichsten Teil Brandenburgs eine der schönsten Gegenden im Osten Deutschlands vor. Doch die Idylle im Landkreis trügt. Denn die Prignitz gehört wirtschaftlich zu den Sorgenkindern. Nach dem Niedergang der DDR drohte die Region fast zwei Jahrzehnte lang eines der Armenhäuser des Ostens zu werden. Dagegen kämpft man jetzt energisch an.
In diesen Wochen sind die Bürgerinnen und Bürger im brandenburgischen Landkreis Prignitz zur Abstimmung aufgerufen. Diesmal geht es aber nicht um eine Wahl, sondern um eine Umfrage zur Zukunft der Region. „Prignitz 2040“ heißt das Projekt, bei dem der Landkreis wissen will, wo der Schuh drückt, wo man sich in den nächsten 15 bis 20 Jahren verbessern muss, um attraktiver zu werden.
Gesucht wird eine Leitidee für die kommenden Jahrzehnte. Bis zum 31. März läuft die Online-Umfrage, die aber auch in Papierform ausgefüllt werden kann. In rund 30 Fragen geht es etwa um Gesundheitsversorgung, Wirtschaft und Arbeit, Verkehr und Mobilität, Bildung, Kultur, Digitalisierung oder das soziale Zusammenleben. „Würden Sie Ihrem Freund eher empfehlen, in die Prignitz zu ziehen?“, will der Landkreis unter anderem wissen.
„Es geht um die Frage, wie wir uns entwickeln wollen“, betonte Landrat Christian Müller (SPD) bei der Vorstellung des Projekts in der Kreisstadt Perleberg. „Aus den Rückmeldungen wollen wir eine Leitidee, einen groben Rahmen bilden.“

Dabei setzt der Landkreis nicht nur auf das Votum seiner Bürgerinnen und Bürger. Auch Fachworkshops mit Experten soll es geben, etwa von der Industrie- und Handelskammer, dem Tourismusverband oder den Kommunen.
Zudem soll der Blick bewusst über den Tellerrand hinausgehen. Denn die Prignitz grenzt gleich an drei Bundesländer, Mecklenburg-Vorpommern im Norden, Niedersachsen im Westen und Sachsen-Anhalt im Süden.
Die Prignitz: Das legendäre DDR-Nähmaschinenwerk ist längst Geschichte
„Die Bürger interessieren keine Landkreisgrenzen“, betonte Müller. Das sehe man insbesondere bei der Ärzteversorgung, wo sich die Planung viel zu sehr an Ländergrenzen orientiere. Dabei ist gerade die medizinische Versorgung immer wieder Anlass zur Kritik: So hat etwa die größte Stadt im Kreis, Wittenberge, keinen HNO-Arzt und nur noch zwei Kinderärzte. Mit einem Ärztehaus und speziellen Stipendien will die Stadt junge Mediziner anlocken.

Auch wirtschaftlich hat die Region seit der Wiedervereinigung eine lange Durststrecke erlebt. Nach 1990 schlossen Großbetriebe wie das Nähmaschinenwerk Veritas in Wittenberge ihre Türen. Tausende Einwohner verließen die Region, die zu den am dünnsten besiedelten Gegenden in Deutschland gehört.

Mittlerweile wird die Prignitz aber wieder attraktiver. Mit dem „Summer of Pioneers“ im Jahr 2019 lockte Wittenberge zahlreiche Digitalarbeiter in die Stadt, die in einem Co-Working-Space ihre beruflichen Zelte aufspannen konnten. Doch außerhalb der Stadtzentren lässt die Digitalisierung weiter auf sich warten.
Ein Standortvorteil ist die günstige Lage der Region: Der Bahnhof Wittenberge liegt auf halber Strecke zwischen Berlin und Hamburg und ist zugleich einer der wenigen ICE-Halte in Brandenburg. Mit dem Fernzug können Pendler die Metropolen in knapp einer Stunde erreichen. Im Rahmen des geplanten „Deutschlandtaktes“ sollen die Zuganbindungen weiter verbessert werden.
Bundesprojekt soll der Prignitz eine bessere Zukunft geben
Die Region hat also durchaus Potenzial für eine Zukunft – und wie diese aussehen soll, dazu soll das Projekt „Prignitz 2040“ eine Orientierung liefern. Möglich wurde die Initiative durch das Programm „RegioStrat – Strategische Regionalentwicklung“ des Bundesbauministeriums.
Mit der Maßnahme will das Ministerium die Regionen im Land bei der Entwicklung sogenannter strategischer Regionalentwicklungskonzepte (SREK) unterstützen. Sie benennen zentrale regionalspezifische Herausforderungen sowie konkrete Schritte zur Verbesserung.

13 Vorhaben werden mit „RegioStrat“ bundesweit gefördert, eingeteilt in die vier Kategorien Energie und Mobilität, Daseinsvorsorge/Wohnen/Infrastruktur, Wirtschaft und Fachkräfte sowie erneuerbare Energien. Im vergangenen Sommer wurde der Landkreis Prignitz als eine der 13 geförderten Regionen ausgewählt. In der Kategorie Daseinsvorsorge, Wohnen und Infrastruktur rangiert die Region im Nordwesten Brandenburgs gemeinsam mit den Metropolregionen Hamburg und Stuttgart sowie dem Planungsverband Oberlausitz/Niederschlesien im Nordosten Sachsens.
Die Prignitz: Die Bevölkerung wird immer älter
Neben der Gesundheitsversorgung wird der demografische Wandel ein großes Thema der Zukunftsvision sein. Nach Angaben des Landkreises werden hier im Jahr 2030 rund 24.600 Menschen weniger leben als noch 2006. Das sind fast 30 Prozent. Zugleich werde der Anteil der über 65-Jährigen auf mehr als 40 Prozent ansteigen. Die Zahl der Jugendlichen unter 15 Jahren wird den Prognosen zufolge gleichzeitig um mehr als 40 Prozent schrumpfen.
„Prignitz 2040“ geht aber auch auf die Potenziale der Digitalisierung ein, um noch mehr jüngere Digitalarbeiter aufs Land zu locken. Bei den erneuerbaren Energien produziere die Prignitz zudem bereits über dem Eigenbedarf. Dies sei ein wichtiger Standortfaktor, um neue Unternehmen anzusiedeln, heißt es vom Bauministerium.

Gewürdigt hat die Jury nach Ministeriumsangaben auch den breiten Dialog mit den Bürgern und die geplante demokratische Beschlussfassung durch den Kreistag. Es sei kein Konzept „von Fachleuten für Fachleute“. Zudem soll der Landkreis bei der sofortigen Umsetzung unterstützt werden. Dabei biete man konkrete Hilfe an, um für die einzelnen Projektbausteine konkrete Fördertöpfe zu finden, hieß es.
Ein solches Konzept ist nicht neu: Schon 2015 erschien die Trendanalyse 2030 „Potenzialregion Prignitz“, die sich nahezu mit den gleichen Themen auseinandersetzte. Daran will der Landkreis nun anknüpfen.
Für eine neue Zukunftsvision braucht es laut Landrat Müller eine große Bandbreite an Ideen und auch Umsetzern. „Es geht hierbei nicht nur um unsere Zukunft, sondern auch um die unserer Kinder und der nachfolgenden Generationen.“ ■