Seit Anfang des Jahres campen rund 20 Bauern auf der Straße des 17. Juni. Das Brandenburger Tor leuchtet im Hintergrund, Autos rauschen vorbei, Spaziergänger schauen neugierig auf die Landwirte, die hier auf Stühlen und Sofas hocken. Es sind Verhältnisse wie im Wohnzimmer: Sie sitzen vor einem Ofen, wo das Feuer gemütlich lodert, wärmen sich. Es dämmert. Wenige Meter weiter hackt einer der Bauern Holz. „Diese Nacht wird es noch mal kalt“, sagen die Bauern dem KURIER. Wer hier Nachtwache schiebt, freut sich also über reichlich Feuerholz. Aber was erhoffen sich die Camper? So gemütlich kann es ja nicht sein, so auf der Straße … oder?
Bauern-Protest in Mitte: Landwirte wohnen seit Anfang Januar auf der Straße des 17. Juni
„Gibt es noch Kartoffelsalat?“, fragt Friseurmeisterin Katja Kahmann (53) aus Berlin. Die meisten der Bauern vor dem Brandenburger Tor hatten schon ihr Abendessen. Gemeinsam versuchen Sie, sich das Leben auf dem Fahrradweg der Straße des 17. Juni so gemütlich wie möglich zu machen. Wohnwagen, Zelte, Traktoren, Heuballen und Sofas – klar, die Aktion weckt gewisse Aufmerksamkeit. Kahmann teilt das letzte Würstchen. Aber warum nehmen diese Leute das Frieren und die Ungemütlichkeit auf sich? Schließlich wohnen sie hier schon seit dem 8. Januar, also rund sieben Wochen.
„Wir sind hier für den Mittelstand, wir wollen was erreichen“, erklärt Oliver Kratsch Wehner (45) dem KURIER. Er kommt aus Baden-Württemberg und ist von Anfang an bei der Mahnwache dabei. Er erklärt, dass hier alle möglichen Berufe vertreten seien: Lkw-Fahrer, Handwerker, Verkäufer. Es gehe darum, bezahlbare Energie, Wärme, Wohnungen, Krankenversicherungen und vieles mehr für die Landwirte zu erkämpfen. Die Bauern, die hier protestieren, wollen auch andere dazu anregen, es ihnen gleichzutun und sich der Mahnwache anzuschließen. Man sehe sich gezwungen, am Existenzminimum zu leben, sagt Kratsch Wehner.
Bauernmahnwache kritisiert die Regierung
Der Alltag auf der Straße ist mittlerweile zur Routine geworden, Haushaltsaufgaben haben die protestierenden Landwirte unter sich aufgeteilt. Einer wäscht ab, der nächste kocht Essen, jemand hackt Holz – und nebenbei dreht sich viel darum, Passanten von dem Vorhaben zu überzeugen. „Wir klären die Leute auf, warum wir hier stehen“, sagt Kratsch Wehner. Vielen sei gar nicht klar, woher ihr Essen eigentlich komme. Man wolle nicht, dass das Handwerk ausstirbt. Sie wollen für ihre Rechte kämpfen, sagen die Landwirte. „Wir sind ja das Volk, nicht die Regierung.“

Seit Wochen gibt es überall Proteste der Landwirte – schon im Januar sorgten sie mit ihren Traktoren-Demos nicht nur in Berlin für Chaos auf den Straßen. Aktuell wird unter anderem an der Grenze zum Nachbarland protestiert: Polnische Bauern wollen ab Samstag fast drei Wochen lang den Grenzübergang bei Schwedt an der Oder blockieren. Die Polizei in Brandenburg teilte mit, vom Samstag bis zum 20. März müsse mit Blockadeaktionen gerechnet werden; alle Verkehrsteilnehmer sollten in dem Zeitraum andere Grenzübergänge ansteuern. Polnische Landwirte demonstrieren seit Wochen gegen Getreideimporte aus der Ukraine und gegen die Agrarpolitik der EU.
Und: Immer wieder eskalieren auch Protest-Aktionen. Zuletzt äußerte sich etwa Handwerks-Präsident Jörg Dittrich: Er warnte davor, trotz des Unmuts vieler Betriebe den Bauernprotesten als Vorbild zu folgen. Wirtschaftspolitik sollte nicht auf der Straße, sondern in den Parlamenten und im Dialog der Politik mit den Verbänden stattfinden, sagte er. „Es gibt bei uns aus verschiedenen Landesteilen einen großen Druck, dem Beispiel der Bauern zu folgen“, sagte Dittrich. „Ich persönlich halte das für den falschen Weg.“
Solche Kritik stört die Landwirte in Berlin nicht. Sie haben sich auf Bürgersteig und Fahrradweg eingerichtet, sind aber zwischenzeitlich schon von der einen Seite des Weges zur anderen umgezogen. Nachts soll sich auch ein schönes Naturspektakel beim Brandenburger Tor abspielen, so beobachten die Bauern bei ihrer nächtlichen Wache Füchse, Vögel und mehr. Schön sei es, und die Autos, die vorbeirauschen, hört man gar nicht mehr, meint Kratsch Wehner. Erleben sie auch, dass sie mit ihrer Aktion gehört und gesehen werdet?„Ja, schon.“
Bauern campen auf der Straße des 17. Juni: Sie kämpfen für ihren Beruf
Auch Katja Kahmann ist dieser Meinung. Seit 2020 geht sie dafür auf die Straße„. Ich muss das Handwerk und die Landwirte unterstützen, weil sonst geht Deutschland leider den Bach runter“, sagt sie. Sie meint, der Alltag auf der Mahnwache sei entspannt. Dann fügt sie hinzu, dass es aber auch anstrengende Tage gebe, weil hier die unterschiedlichsten Charaktere aufeinandertreffen. „Aber wir versuchen, uns zu vertragen“, sagt sie und lacht.
Die Demonstranten organisieren sich familiär – ihr Kartoffelsalat steht hinter ihr auf dem Ofen. Kahmann erzählt von den Bauernprotesten und sagt zum Abschluss: „Deutschland bewegt sich.“ Dann macht sie es sich gemütlich unter einer der Wohnwagen-Markisen, am prasselnden Feuer. Mittlerweile ist der Feierabendverkehr vorbei, Sterne funkeln oberhalb des erleuchteten Brandenburger Tors. Wie lange die Bauernmahnwache noch anhalten wird, ist ungewiss. ■