„Wieder einmal werden die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger nicht ernst genommen. Selbstverständlich brauchen wir Wohnungen und Flüchtlingsunterkünfte, aber deshalb muss man nicht die Begrünung in Innenhöfen abschaffen“, sagt Gregor Gysi.
Gysi ist einer der prominenten Baumpaten, die sich für den Erhalt des Grüns in den Pankower Innenhöfen an der Ossietzkystraße eingesetzt haben. „Es gibt so viele frei liegende Industrieflächen, und es kommt kaum Industrie zum Besiedeln. Hier könnten die Baumaßnahmen viel eher stattfinden“, kritisiert er die jetzige Eskalation in Pankow.
Denn trotz anhaltender Kritik an dem Vorhaben des Senats und der Gesobau schreiten in den Pankower Innenhöfen an der Ossietzkystraße die Vorbereitungen zum Fällen von über 50 Bäumen weiter voran. Am Morgen ist ein Kran mit Hubwagen angerückt, die Gesobau will fix noch ihren Auflagen zum Umweltschutz nachkommen, bevor eine Entscheidung über einen Eilantrag am Verwaltungsgericht getroffen ist. Diese Entscheidung wird nicht vor nächster Woche fallen, so ein Gerichtssprecher.

Grüner Kiez Pankow: Montag beginnen die Fällungen
Dennoch ist sich Berlins Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe schon heute sicher: Am Montag beginnen die Baumfällungen. Das sagt sie Vetretern der Bürgerinitiative Grüner Kiez Pankow, die an diesem Donnerstag zum Abgeordnetenhaus gekommen sind. Ob sie denn eine bessere Idee hätten, wo die geflüchteten Menschen unterzubringen seien, fragt sie die Pankower. Als ob das deren Aufgabe wäre.
Und als ob die 90 Wohnungen, die in zweieinhalb Jahren fertig sein werden, die jetzige Krise bewältigen helfen würden, bei der Berlin kurz davorsteht, wieder Turnhallen belegen zu müssen. Kiziltepe hatte den Pankower Anwohnern vorgeworfen, sie hätten eine Nimby-Mentalität: Flüchtlinge ja, aber nicht in meinem Hinterhof. Dabei werden die Anwohner nicht müde, für eine maßvollere Bebauung zu werben. Wohnungen im Grünen, in die auch Flüchtlinge ziehen könnten. Auch heute wieder.

Nach einer Nacht mit Hundegebell und Taschenlampenleuchten der Wachschutzleute in den Pankower Höfen haben sich knapp zwei Dutzend der Anwohner an diesem Donnerstag zur Demo versammelt. Noch stehen die Bäume. Jedem Ankommenden drücken sie vor dem Abgeordnetenhaus Flyer in die Hand und hoffen darauf, dass sie die über 8000 Unterschriften, die sie gesammelt haben, direkt an Berlins Regierenden Bürgermeister Kai Wegner übergeben können.
Ihr Anliegen hier ist bekannt, die Pankower waren schon so oft hier, dass sie die Beamten vor dem prunkvollen Haus mit Namen kennen. Genützt hat es bisher wenig. Man fühle sich wie im falschen Film, sagt eine der Protestierenden hinter dem Absperrgitter. Die zwölf Wachschützer auf den Höfen, die mit ihren Hunden auf dem Gelände unterwegs sind, die Gitterzäune, die Vehemenz, mit der gegen alle Einwände durchregiert wird, macht sie fassungslos.

Bürger und Mieter als lästige Verschiebemasse
Dass die Mieter der Gesobau in ihren vier Wänden nur Verschiebemasse sind, ist ihnen längst klar. Wer sein bald verdichtetes Wohnumfeld nicht mehr mag, kann ja gehen. Frei werdende Wohnungen in den grünen Höfen werden schnell zu einem höheren Mietzins besetzt werden können, der Berliner Wohnungsnot sei dank. Und so bleiben die Mieter in der 50er-Jahre Siedlung und beobachten, was eine von den Protestierenden ein „Sozialexperiment“ nennt.
Sehenden Auges vergrätze man genau die Bürger, die Integration begleiten wollten, sagt sie. „Überall in der Stadt erlahmt ehrenamtliches Engagement“, gibt auch Lars Bocian zu, der Pankower CDU-Abgeordnete, der sich als einer der wenigen Zeit zum Zuhören nimmt. Man werde in vielen Bereichen umdenken müssen, um weiter Herr der Lage zu bleiben.
Helfer am Limit
Neben den Protestierenden vom Pankower Grünen Kiez stehen die Sozialarbeiter, die Frauenschützer, die GEW vor dem Absperrgitter des Abgeordnetenhauses. Auch sie sind frustriert über gekürzte Etats und prekäre Arbeitsverhältnisse. Ein System von Helfern kommt an seine Grenzen, wo es nötiger als zuvor gebraucht wird.
Wo der Staat auf die Unterstützung von Bürgern angewiesen ist, stößt er sie vor den Kopf. Auch Pankows Baustadtrat Cornelius Bechtler übt Kritik am Vorgehen der Gesobau im konkreten Fall: Ich gehe fest davon aus, dass die Gesobau die hier ausstehende Gerichtsentscheidung respektiert und abwartet, sagt Bechtler (Grüne). „Bisher verfügt die Gesobau über eine Baugenehmigung nach dem Sonderbaurecht (§246 BauGB) sowie über eine darauf beruhende Fällgenehmigung.“
Unangemessene Machtdemonstration: Irritation über Kampfhunde bei friedlichem Protest
Angesichts der sehr umfangreich geplanten Baumfällmaßnahmen sei die Errichtung eines Bauzaunes sicherlich notwendig und aus Sicherheitsgründen auch angemessen. Mit großer Irritation habe er jedoch Bilder gesehen, dass der angeforderte Wachschutz Kampfhunde einsetzte, „um die vor Ort lebenden Einwohner:innen einzuschüchtern. Die Demonstrierenden, die zum erheblichen Teil Mieter:innen der Gesobau sind, haben nach allen mir vorliegenden Berichten mit friedlichen Mitteln protestiert“, so Bechtler.
Den Einsatz von Hunden (den Berichten und Bildern nach sogar von sogenannten Kampfhunden) halte er für eine „vollkommen unangemessene Machtdemonstration, die die Situation vor Ort auf gefährliche Weise zu eskalieren droht“. Dazu will sich Bechtler auch an den Vorstand der Gesobau wenden.
Keiner will Unterschriften aus der Petition entgegennehmen

Die friedlichen Proteste vor Ort in Pankow allerdings macht der CDU-Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus, Dirk Stettner, den Anwohnern am Donnerstag zum Vorwurf. Nach langem Warten auf Kai Wegner kommt er statt des Regierenden in der Mittagspause aus dem Plenum. Doch will er die 8000 Unterschriften der Bürger nicht entgegennehmen, weil die Überbringer in der Zufahrt zum Gesobau-Gelände gestanden und protestiert hätten, sodass Baufahrzeuge erst mit Verzögerung auf das Gelände kamen.
Ebenso machte Stettner einen Brief geltend, den Unbekannte im Namen der Bürgerinitiative versandten, in diesem werde zu Gewalt gegen Bausenator Christian Gaebler aufgerufen. Längst hatte sich die Bürgerinitiative von dem Schreiben distanziert, ist weder Urheber noch Unterstützer von Aufrufen zur Gewalt. Täter-Opfer-Umkehr nennt man das Vorgehen, wenn Betroffene zu Beschuldigten werden.
Demokratie: Mitsprache nicht erwünscht
Berlins Politik lässt engagierte Menschen, die vier Jahre lang auf Bezirksebene einen Kompromiss erarbeiteten, am ausgestreckten Arm verhungern. Die Pankower nehmen ihre Unterschriften und den Vorschlag zu einer maßvollen Bebauung, den sie mittragen würden, schließlich wieder mit nach Hause in ihre eingezäunten Höfe.
Ein Kompromiss, der Wutbürgern, die das nie sein wollten, das Gefühl gäbe, ihre Stimme zähle, der Wohnungen schaffen würde und Grün erhielte, so ein Kompromiss, der ist politisch nicht gewollt, so ihre Erkenntnis. Pankow ist ein Pilotprojekt, wenn hier nach den Sonderregeln des Senats gebaut wird, dann geht das in jedem anderen grünen, grauen oder braunen Innenhof Berlins auch.