Profitgier statt Kiezliebe

Neuköllner Mieter geschockt! Erzbistum verkauft Haus an Meistbietenden

Das Erzbistum Berlin will das Haus in der Karl-Marx-Straße 11 loswerden. Die Mieter würden es gerne kaufen. Doch der Kirche reichen 3,8 Millionen Euro Kaufpreis nicht.

Author - Isabel Zimmermann
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Patrick Härtel-Jansen, Viviane Lohe und Kilian Zimmerer (von links nach rechts), Mitglieder der Mietergemeinschaft Karl-Marx-Straße 11 in Berlin-Neukölln
Patrick Härtel-Jansen, Viviane Lohe und Kilian Zimmerer (von links nach rechts), Mitglieder der Mietergemeinschaft Karl-Marx-Straße 11 in Berlin-NeuköllnEmmanuele Contini

„Neukölln meen Zuhause“ steht am Späti neben der Hoftür der Karl-Marx-Straße 11 in Berlin-Neukölln. Hinter der Hoftür: eine Großstadt-Oase. Im Innenhof wachsen Pflanzen die graue, teils geflickte Fassade empor, neben den geparkten Fahrrädern und Kinderspielzeug stehen bunte Bänke. Das Haus ist für über 60 Menschen zum Teil seit Jahrzehnten ihr Zuhause. Das ist jetzt in Gefahr.

Vor gut einem Jahr beschloss das Erzbistum Berlin, Eigentümer des Hauses, die Karl-Marx-Straße 11 zu verkaufen. Der Erlös fließe direkt in kirchliche und soziale Aufgaben, versicherte ein Sprecher des Erzbistums Berlin dem KURIER. Die Mieterinnen und Mietern sehen darin allerdings weniger einen Akt der Nächstenliebe als die Gefahr, dass ein neuer Vermieter die Preise erhöhen oder sie sogar rauswerfen könnte. Viele von ihnen haben alte Mietverträge und können sich ihre Wohnungen nur deshalb leisten. Vor zehn Jahren hatte die damalige Eigentümerin dem Erzbistum Berlin das Haus vermacht.

Erzbistum Berlin will das Haus an den Meistbietenden verkaufen

Die Mieterinnen und Mieter wollen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und das Haus kaufen. Sie machen der Kirche ein Angebot über 3,8 Millionen Euro. Für die Finanzierung schließen sich 15 von ihnen zu einer Mietergemeinschaft zusammen, mit dem Ziel, eine Genossenschaft zu gründen. „Die Kirche war zunächst offen für unsere Idee“, so Mieter Patrick Härtel-Jansen (44).

Doch das Angebot lehnte das Erzbistum Berlin ab. Die Begründung: Man wolle an den Meistbietenden verkaufen. „Das Mieterangebot liegt unter dem erwarteten Betrag. Der angestrebte marktübliche Verkaufserlös soll dazu beitragen, unsere sozialen und seelsorgerischen Aufgaben zu finanzieren“, erklärt ein Sprecher des Erzbistums dazu.

Auf Anfrage des KURIER beurteilt hingegen die Genossenschaftliche Immobilienagentur Berlin Brandenburg (GIMA) das Angebot der Mietergemeinschaft über 3,8 Millionen Euro als relativ marktüblich.

Die Mieterinnen und Mieter der Karl-Marx-Straße 11 bangen um ihr langjähriges Zuhause.
Die Mieterinnen und Mieter der Karl-Marx-Straße 11 bangen um ihr langjähriges Zuhause.Emmanuele Contini

„Wir sind es wert, unterstützt zu werden“

Die Begründung der Kirche, an den Meistbietenden zu verkaufen, um soziale und seelsorgerische Aufgaben zu finanzieren, macht die Mietergemeinschaft fassungslos. „Wir sind ja auch Menschen, wir sind es genauso wert, unterstützt zu werden“, so Mieterin Viviane Lohe (40).

„Wir erwarten ja nicht, dass das Haus an uns verkauft wird. Aber wir wollen an dem Verkaufsprozess beteiligt werden. Gerade hier in Neukölln, wo der Bezirk so stark von Gentrifizierung betroffen ist“, stellt Mieter Härtel-Jansen klar. Er lebt mit seiner Frau und seinen Kindern seit 2008 in dem Haus, also bevor das Erzbistum Berlin Eigentümer wurde.

„Wir müssten uns selbst die Miete erhöhen“

Während die Durchschnittsmiete in dem Kiez bei elf Euro pro Quadratmeter liegt, zahlen Mieter mit alten Mietverträgen der Karl-Marx-Straße 11 nur sechs Euro pro Quadratmeter.

„Dass wir uns selbst die Miete erhöhen müssten, wenn wir das Haus kaufen, ist uns bewusst“, sagt Patrick Härtel-Jansen. Aber als Genossenschaft könnten sie die Mieten so anpassen, dass niemand ausziehen müsste. „Das würde sich auch positiv auf den Mietspiegel auswirken, es wäre also ein solidarischer Beitrag für den Kiez. Und wir schaffen für alle, die hier wohnen, eine langfristige Perspektive“, erklärt Kilian Zimmerer (35).  Er zog aus Kreuzberg zu seiner Partnerin in die Karl-Marx-Straße 11. Aus seiner alten Wohnung wurde er wegen steigender Wohnkosten vertrieben.

Das Haus in der Karl-Marx-Straße 11 hat das Erzbistum Berlin vor zehn Jahren geerbt. Nun will die Kirche das Haus an den Meistbietenden verkaufen.
Das Haus in der Karl-Marx-Straße 11 hat das Erzbistum Berlin vor zehn Jahren geerbt. Nun will die Kirche das Haus an den Meistbietenden verkaufen.Emmanuele Contini

Neuköllner Politik schlägt sich auf die Seite der Mietergemeinschaft

Und was sagt die Politik zu dem Streit zwischen der Mietergemeinschaft und dem Erzbistum Berlin? Schließlich ist bezahlbarer Wohnraum ein zentrales Anliegen von Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD). „Gerade soziale, kirchliche und karitative Organisationen dürfen beim Verkauf einer Immobilie nicht alleine anhand des Preises entscheiden. Noch besteht hier die Chance, bezahlbare Mieten langfristig zu schützen. Diese Chance sollte das Erzbistum ergreifen“ erklärt Jochen Biedermann (Bündnis 90/DIE GRÜNEN), Leiter des Geschäftsbereichs Stadtentwicklung, Umwelt und Verkehr, gegenüber dem Berliner KURIER.

Er hoffe, dass sich alle Beteiligten bald an einen Tisch setzen und gemeinsam eine Lösung finden. Darauf hoffen auch die Mieterinnen und Mieter der Karl-Marx-Straße 11.