Eine Klimaaktivisten der Initiative „Letzte Generation“ hat sich bei einer Aktion auf der Ebertstraße vor dem Brandenburger Tor festgeklebt. 
Eine Klimaaktivisten der Initiative „Letzte Generation“ hat sich bei einer Aktion auf der Ebertstraße vor dem Brandenburger Tor festgeklebt.  dpa/Annette Riedl

Vor einem Jahr saßen Henning Jeschke und Lina Eichler in Berlin in einem Zeltlager am Reichstagsgebäude, im Hungerstreik für eine radikale Klimawende. Bis ins Krankenhaus hungerten sie sich kurz vor der Bundestagswahl, um vor dem Kollaps des Planeten zu warnen. Jetzt sitzen die beiden auf einer grob gezimmerten Holzbank im Stadtgarten am Tempelhofer Feld und ziehen Bilanz. „Der Hungerstreik - und alles was danach kam - hat gezeigt, dass wir es ernst meinen, dass wir wirklich um unser Überleben kämpfen auf diesem Planeten“, sagt Eichler, 19 Jahre.

Die Klimaaktivisten Henning Jeschke und Lina Eichler traten vor einem Jahr  in den Hungerstreik und erstritten sich damit ein Gespräch mit dem späteren Kanzler Scholz. Aus der Aktion entstand die Letzte Generation.
Die Klimaaktivisten Henning Jeschke und Lina Eichler traten vor einem Jahr  in den Hungerstreik und erstritten sich damit ein Gespräch mit dem späteren Kanzler Scholz. Aus der Aktion entstand die Letzte Generation. dpa/Fabian Sommer

Der Hungerstreik, den sieben junge Frauen und Männer am 30. August 2021 begannen, war die erste Aktion der „Letzten Generation“. Seither organisierten die Aktivisten Straßenblockaden, drehten Ventile an Ölpipelines zu, klebten sich an Kunstwerke in Museen, ketteten sich bei einem Bundesliga-Topspiel ans Fußballtor. Alles, um gegen die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas zu protestieren.

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Inzwischen sind sie international vernetzt und bekommen finanzielle Hilfe einer Stiftung in Kalifornien, kurioserweise gespeist von ererbtem Geld einstiger US-Ölbarone. Doch rollt auch eine Prozesswelle wegen ihrer Gesetzesverstöße. Statt Klimaschutz scheint in der Öffentlichkeit nun die Gaskrise das Topthema zu sein. Was also haben die Aktivisten erreicht?

Letzte Generation: Sie haben Angst vor dem Weltuntergang

Es sei etwas losgegangen, sagt der 22-jährige Jeschke an diesem wolkenverhangenen Nachmittag im Stadtgarten. Wichtig sei, „dass man nicht stillschweigend dasteht, während das Massensterben sich global schon Bahn bereitet und während unsere Gesellschaft auch hier in die Vernichtung ihrer Grundlagen schlittert“. Nicht nur in Afrika seien Millionen in Gefahr, auch in Europa werde es schon in naher Zukunft Hungersnöte und Verteilungskämpfe geben.

Jeschke ist eigentlich Politikstudent, er zitiert oft Klimawissenschaftler und auch Theoretiker des zivilen Ungehorsams. Vor allem aber beruft er sich auf die Einschätzung des ehemaligen britischen Regierungsberaters Sir David King, das Handeln in den nächsten drei bis vier Jahren werde über das Schicksal der Menschheit entscheiden. Deshalb auch „Letzte Generation“: die letzte, die noch etwas tun könne. Jeschke sagt, die Bundesregierung leugne den Klimanotstand, sie tue nichts, breche damit Grundrechte: „Einige Sachen sind schwarz-weiß. Tod und Leben ist eine Schwarz-Weiß-Frage.“

Mit dem Hungerstreik auf einer Wiese nahe des Kanzleramtes fing am 30. August 2021 alles an.
Mit dem Hungerstreik auf einer Wiese nahe des Kanzleramtes fing am 30. August 2021 alles an. Markus Wächter

Jeschke war es, der den Hungerstreik im vergangenen Jahr auf die Spitze trieb - 27 Tage ohne Essen. Am Ende verweigerten er und seine Mitstreiterin Lea Bonasera auch noch das Trinken, bis der damalige SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz ihre Forderung erfüllte: ein öffentliches Gespräch über die Klimakrise. Das gab es dann im November, aber bis auf gereizte Stimmung kam wenig dabei heraus. Noch am selben Abend kündigten Jeschke und Bonasera die Autobahnblockaden an. Mit Vorträgen rekrutieren sie Mitmacher, 300 sollen es inzwischen sein.

Polizeibeamte führen einen Demonstranten ab. Er gehört zu einer Gruppe der Letzten Generation, die hier im Frühjahr eine Ausfahrt der Stadtautobahn in Schöneberg blockieren. 
Polizeibeamte führen einen Demonstranten ab. Er gehört zu einer Gruppe der Letzten Generation, die hier im Frühjahr eine Ausfahrt der Stadtautobahn in Schöneberg blockieren.  dpa/Paul Zinken

Dutzende Male klebten sich in Berlin und anderen Städten Menschen auf Fahrbahnen. Die Aktivisten verstehen sich als gewaltfrei und betonen, sie würden niemals Menschen in Gefahr bringen. Grünen Terrorismus weisen sie weit von sich. Doch das ändert nichts daran, dass Autofahrer im Stau mächtig fluchten, teils auch wütend auf die Blockierer losgingen. Mehrfach steckten auch Krankenwagen fest.

Letzte Generation: Trotz Blockaden - Aktivisten sehen sich als gewaltfrei

Die Aktivisten landen regelmäßig in Arrestzellen, unter anderem wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr. Müssen Polizisten die festgeklebten Hände von der Fahrbahn lösen, werden Gebühren fällig, jeweils 241 Euro. Bis Mitte August hatte allein in Berlin das Amtsgericht Tiergarten in 66 Fällen Strafen ausgesprochen - meist mehrere Hundert Euro Geldstrafe. Da in 24 Fällen Einspruch erhoben wurde, kommt es ab dieser Woche zu mündlichen Verhandlungen.

Der persönliche Einsatz ist also hoch. Doch wie schon beim Hungerstreik scheinen die Ziele der Aktionen manchmal diffus und in merkwürdigem Missverhältnis zu den Mitteln. „Bei den ersten Autobahnblockaden war der Bezug zu den Zielen nicht ganz ersichtlich“, sagt der Berliner Protestforscher Dieter Rucht.

Nicht nur Jugendliche, auch ältere Menschen haben sich der Letzten Generation angeschlossen - wie hier am Frankfurter Tor.
Nicht nur Jugendliche, auch ältere Menschen haben sich der Letzten Generation angeschlossen - wie hier am Frankfurter Tor. dpa/Zinken

Zunächst verlangten die Blockierer ultimativ ein Essen-Retten-Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung. Später schwenkten sie um. Die derzeitigen Forderungen: „1. Nordseeöl? Nö! Wir fordern eine Erklärung von Olaf Scholz, dass es kein neues Nordseeöl geben wird! 2. Öl sparen statt Bohren!“ Unklar auch, wie es dem Klima hilft, wenn sich Menschen in der Berliner Gemäldegalerie an den Rahmen des Bilds „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ von Lucas Cranach kleben.

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Die Politik scheint die Proteste inzwischen weitgehend zu ignorieren. Erreicht worden sei Medienaufmerksamkeit, sagt Rucht. „Inwieweit sich das übersetzt in politische Wirkung, lässt sich schwerlich sagen.“ Prompte Ergebnisse zu erwarten, wäre wohl ohnehin vermessen. „Es gibt da diese Schwerfälligkeit der Politik, die Mühlen mahlen langsam, und zwar nicht nur bei Entscheidungen, sondern auch bei der technischen Umsetzung“, sagt der emeritierte Sozialwissenschaftler.

Der Massenbewegung Fridays for Future ging während der Pandemie und des Ukraine-Kriegs irgendwie die Luft aus. Doch kleine, radikalere Initiativen wie die „Letzte Generation“ gibt es inzwischen in etlichen Ländern. Sie schauen voneinander ab - auch die „L'Ultima Generazione“ in Italien und „Just Stop Oil“ in Großbritannien haben sich an Kunstwerke geklebt. Es gab öffentlichkeitswirksame Aktionen bei der Tour de France und der Frauen-Fußball-EM. Und es gibt Förderer wie den Climate Emergency Fund in Beverly Hills.

Aktivisten der Gruppe Letzte Generation kleben sich an einem Gemälde von Lucas Cranach fest.
Aktivisten der Gruppe Letzte Generation kleben sich an einem Gemälde von Lucas Cranach fest. Twitter/Letzte Generation

Dieser tätige „strategische Investitionen in neue Organisationen wie die „Letzte Generation“, die das tägliche Leben stören wollen, um massiven Druck auf Regierungen aufzubauen“, erklärt Stiftungschefin Margaret Klein Salamon per Email auf Anfrage. Man sei stolz, das A22-Netzwerk zu finanzieren, zu dem die „Letzte Generation“ gehört. Wie viel Geld die deutsche Gruppe bekam, sagt Klein Salamon nicht. Insgesamt seien vergangenes Jahr fast drei Millionen Dollar an 33 Organisationen geflossen. Geld für die Stiftung spendete auch Aileen Getty, Enkelin des Ölmagnaten J. Paul Getty.

Aufhören zu stören und zu alarmieren wird die „Letzte Generation“ also nicht, im Gegenteil. Die nächste Welle von Blockaden sei in Vorbereitung, sagt Lina Eichler. Die anstehenden Gerichtsprozesse wollen sie als Bühne nutzen. Und sie sind überzeugt, dass die Bewegung wächst. „Der Widerstand wirkt“, sagt Eichler. In die Vorträge kämen mehr Leute, die Umfragen zeigten Unterstützung, meint auch Jeschke. Beide widmen sich bis auf weiteres Vollzeit dem Protest. Warum weitermachen? „Die Zuversicht ist, dass Wunder möglich sind, dass es in der Geschichte schnell gehen kann.“ Optimismus will Jeschke das nicht nennen. „Aber dass es möglich sein könnte, das kann niemand von der Hand streiten.“