Schlimmer geht es immer

Berlin nicht mehr Platz 1: Düsseldorf staut sich an der Hauptstadt vorbei

An sich habe Deutschland eine sehr gute Infrastruktur – wenn sie denn benutzbar wäre, sagt ein Verkehrsexperte. Ist sie häufig jedoch nicht.

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Alltag in der Tauentzienstraße in Berlin: Hier kommt es regelmäßig im Berufsverkehr zu Staus.
Alltag in der Tauentzienstraße in Berlin: Hier kommt es regelmäßig im Berufsverkehr zu Staus.Emmanuele Contini

Berlin ist ja gerne Hauptstadt. Party-Hauptstadt, Späti-Hauptstadt, Hauptstadt der Currywurst. Manchmal auch nicht so gerne. Hauptstadt des Verbrechens, Müll-Hauptstadt. Einen Titel sind wir jetzt los: Berlin ist nicht mehr Deutschlands Stau-Hauptstadt. Diesen Titel hat uns jetzt Düsseldorf abgeluchst. Großer Grund zur Freude besteht allerdings nicht: Wir belegen immer noch Platz 2 dieser nervigen Negativ-Hitliste. Das sind Berlins schlimmste Staustraßen.

Baustellen, marode Infrastruktur und verstopfte Straßen stellen die Nerven von Autofahrern in Deutschland immer stärker auf die Probe. Ein durchschnittlicher Pendler stand im vergangenen Jahr 43 Stunden im Stau – drei Stunden mehr als noch im Vorjahr, wie aus einer Auswertung des Verkehrsdaten-Dienstleisters Inrix hervorgeht. Für das Ranking analysierte der Dienstleister anonymisierte Daten etwa aus Telefonen und Fahrzeugen.

Das sind Berlins schlimmste Stau-Straßen

Noch deutlich höher ist der Zeitverlust in den Städten an der Spitze des Rankings. Am schlimmsten trifft es erstmals die Autofahrer in Düsseldorf, das mit einem Zeitverlust von 60 Stunden und einem Zuwachs von 22 Prozent auf Platz 1 steht.

Dahinter folgen Berlin, das 2023 noch auf Platz 1 lag, und Stuttgart mit jeweils 58 Stunden Zeitverlust sowie Köln (56) und München (55). Auf den weiteren Plätzen: Frankfurt (48), Hannover (47), Bonn (46), Hamburg (44) und Wuppertal (43). In all diesen Städten nahm der Zeitverlust zu, in Wuppertal sogar um 34 Prozent.

Die Tendenz deckt sich mit einer neuen Analyse der Verkehrsmuster durch den Kartierungsspezialisten TomTom. Demnach floss der Verkehr in den meisten deutschen Städten 2024 im Schnitt langsamer als noch im Vorjahr. Die Durchschnittsgeschwindigkeit hat in 23 von 29 untersuchen Städten abgenommen. In nur vier Städten habe sich der Verkehrsfluss verbessert.

Die schlimmsten Stau-Strecken Berlins liegen natürlich in der Innenstadt in Mitte und Kreuzberg, in Neukölln sowie in Charlottenburg-Wilmersdorf. Ganz vorne die A100. Ebenfalls schlimm für Autofahrer: Kantstraße, der Kurfürstendamm, Martin-Luther-Straße, Tauentzien, Tiergartenstraße, Leipziger Straße, Tiergartentunnel, Invalidenstraße, Elsenstraße, An den Treptowers, Mariendorfer Weg, Karl-Marx-Straße, Boxhagener Straße und Prinzenstraße.

Woran liegt es, dass Pendler in Deutschland durchschnittlich fast zwei Tage im Jahr im Stau stehen? Mit Blick auf das kräftige Plus in Düsseldorf schreiben die Autoren, dieses sei unter anderem auf zahlreiche Baustellen auf stark befahrenen Autobahnabschnitten rund um Düsseldorf, wie der A46 und der A59, zurückzuführen.

Deutschlands kaputte Straßen bremsen uns aus

Deutschlandweit sind die Ursachen vielfältiger, wie Stauexperte Michael Schreckenberg von der Universität Duisburg-Essen sagt. Aber auch er nennt die vielen Baustellen, sowohl auf Autobahnen als auch in den Innenstädten, als einen der Hauptgründe. An sich habe Deutschland eine sehr gute Infrastruktur – wenn sie denn benutzbar wäre, sagt Schreckenberg. Aber: „Wir haben nichts dafür getan, sie zu erhalten. Und das fällt uns jetzt auf die Füße.“

Allein auf Autobahnen gibt es nach Angaben der Autobahn GmbH derzeit mehr als 500 Baustellen. Die Dauer der Baustellen betrage aktuell durchschnittlich 505 Tage, teilt ein Sprecher mit. Das sind rund 80 Tage mehr als im Vorjahr, da vor allem komplexe Brückenmodernisierungen in den Fokus rücken.

Düsseldorf staut sich auf Platz 1: Der Verkehr staut sich im Berufsverkehr am Morgen am Tunnel Heckenstallerstraße auf dem Mittleren Ring.
Düsseldorf staut sich auf Platz 1: Der Verkehr staut sich im Berufsverkehr am Morgen am Tunnel Heckenstallerstraße auf dem Mittleren Ring.Matthias Balk/dpa

Hinzu komme, dass viele Angestellte nach der Corona-Pandemie wieder ins Büro kommen müssten. Die Homeoffice-Zeit sei in vielen Branchen vorbei, sagt Schreckenberg. Diesen Trend legen auch die Inrix-Zahlen nahe. Denn bei den Fahrten in die Innenstadt gab es einen sprunghaften Anstieg. In Hamburg etwa lag das Plus bei 31, in Berlin bei 27 und in Frankfurt bei 26 Prozent.

Der öffentliche Personennahverkehr sei für viele aufgrund seiner Unzuverlässigkeit keine Alternative, sagt Schreckenberg. Auf dieses Risiko wollten viele sich nicht einlassen und nähmen lieber die mehr oder weniger kalkulierbare Zeit im Stau in Kauf. Eine Sprecherin des ADAC bringt es auf die einfache Formel: „Letztendlich sind zu viele Fahrzeuge gleichzeitig unterwegs.“ Die Zunahme der Stauzeit sei unter anderem auf eine höhere Verkehrsleistung insbesondere im Individualverkehr sowie auf zahlreiche Baustellen zurückzuführen.

Im internationalen Vergleich kommen deutsche Pendler sogar noch glimpflich davon. Weltweit steht erstmals Istanbul mit einem durchschnittlichen Zeitverlust von 105 Stunden auf Platz eins, gefolgt von New York und Chicago (je 102 Stunden). London landet als erste europäische Stadt mit 101 Stunden dahinter. In Paris stehen Autofahrer im Schnitt 97 Stunden im Stau – weltweit bedeutet das Platz 6.

In 53 von 73 untersuchten Gebieten in Deutschland sowie in 69 der 100 weltweit am stärksten betroffenen Städte nahmen die Verzögerungen im Vergleich zum Vorjahr zu. „Die Ergebnisse für 2024 verdeutlichen, dass das Verkehrswachstum weltweit ungebremst ist, während die Infrastruktur vieler Städte an ihre Grenzen stößt“, sagte Bob Pishue von Inrix. Langfristig werde es entscheidend sein, den Verkehr effizient zu lenken und innovative Mobilitätsstrategien voranzutreiben. ■