
Die wichtigste Frage zuerst: Gibt es denn ab und zu Anfragen und Hinweise von Tierschützern? Doktor Volkher Velte lacht. „Jeden Tag“, sagt er. Doch die meisten Befürchtungen derer, die sich um das Wohl der Tiere auf der Grünen Woche sorgen, kann er schnell zerstreuen.
Volkher Velte ist Tierarzt auf der Grünen Woche. Seit zehn Jahren ist er jedes Jahr dabei, wenn von Rindern, Pferden, Ziegen über Hunde, Katzen und Reptilien bis hin zu Falken die tierischen Publikumsmagneten in Ställen und Gehegen ganz nah am Publikum unter dem Funkturm Station machen.
„Hat sich die Tierschau überholt?“, fragte im vergangenen Jahr gar ein Zeitungsartikel. Doch wer die strahlenden Augen der jungen und alten Besucher in der Tierhalle sieht, kennt die Antwort. Landwirtschaft ist ohne Tierhaltung nicht vorstellbar. „Nur muss sie eben das Tierwohl im Auge haben“, wie Martin Seidl betont.

Martin Seidl ist ein Urgestein der Grünen Woche, seit mehr als 30 Jahren ist der Landwirt und Rinderzüchter hier dabei. Dafür nimmt er extra zehn Tage Urlaub, erzählt er, als wir mit dem Tierarzt bei seinen Rindern vorbeikommen.
Rinder-Garten: Strohparadies für Kühe und Kälber
Die riesige Anlage der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen, die das Herzstück der Tierhalle bildet, ist nach den Kriterien der Haltungsstufe vier gestaltet, erzählt Seidl. 39 Rinder von 15 unterschiedlichen Rassen haben sich hier auf dem Stroh niedergelassen. Es gibt Schubberbürsten für sie und Baum-Ecken. Jedes Tier hat mindestens zehn Quadratmeter Platz, dementsprechend entspannt wirken die Kühe und auch Zuchtbulle Condor, der mir einen gewaltigen Respekt einflößt. Mit 1600 Kilo ist er schwerer als ein Auto, aber lammfromm, wie Seidl versichert.
Seidl schiebt mich in Richtung von Condors Gehege – und unversehens bekämpfe ich hier ein echtes Trauma. Teil unserer Familienlegende ist nämlich die oft erzählte Geschichte, wie sich einmal ein Bulle im Stall losriss, während meine Großmutter sich bei ihm im Pferch befand. Von draußen hielt die Schwester panisch das Tor zu, und alle befürchteten das Schlimmste. Doch anstatt mich in die Ecke zu drücken, schnaubt Condor nur leise in meine Hand. Mit dem engen Stall von damals hat das hier nichts zu tun.

Nur gesunde Tiere auf der Grünen Woche
„Prophylaxe ist die wichtigste Arbeit“, sagt Volkher Velte (64), als wir uns auf den Weg zu den Pferden machen. Das Team aus Landwirten und Tierärzten bei der Grünen Woche zieht an einem Strang. Es kommen nur gesunde Tiere, die meisten kennen die Grüne Woche schon seit ein paar Jahren. So wie die Eselin Tadjine. Eine Poitou-Dame, die sich die Möhren, die der Doktor fürs Foto verabreicht, munden lässt.
Tadjine lebt das ganze Jahr über im Freien im Tierpark Arche Warder, einem Zentrum für alte Nutztierrassen. Poitou-Esel, als schwerste Eselrasse früher zur Zucht von Maultieren eingesetzt, gelten als stark gefährdet. Auch wenn in der Tierhalle die Musik aufspielt und in der großen Manege Tiere präsentiert werden, bleibt die Eselin mit den großen Wuschelohren gelassen.

Tierarzt Velte geht jeden Morgen, bevor die Besucher kommen, seine Runde, er versteht sich als Anwalt der Tiere. Auch wenn es einmal ein Problem geben sollte, ist er zur Stelle. Nachts hält ein Kollege in der Halle Wache, denn die Tiere bleiben die zehn Messetage über an Ort und Stelle.
In seiner Messe-Tierarztpraxis hat der 64-jährige Velte alles, was man zur Versorgung kranker oder verletzter Tiere braucht. Im Auto vor den Hallen befinden sich sogar Einrichtungen für Röntgen, Ultraschall und Endoskopie. In den Regalen im Kämmerchen unter dem Restaurant lagern allerhand Verbandsmaterialien, Spritzen, Infusionen, Medikamente und auch ein stets einsatzbereites Blasrohr. Nichts wäre schlimmer als ein entlaufenes Tier, das sich in den Menschenmassen nicht wieder einfangen lässt.

„Zum Glück ist in den letzten Jahren nichts Aufregendes passiert“, sagt Velte. Von der Geburt eines Kälbchens oder ferkelnden Sauen einmal abgesehen. „Aber heute würde man trächtige Tiere gar nicht erst zur Schau mitnehmen“, so der Tierarzt, der den Rest des Jahres im Norden von Berlin mit seiner mobilen Praxis vor allem Pferde behandelt.
Diese Tiere dürfen nicht zur Grünen Woche
Auch wenn es in der Tierhalle mit den flauschigen Kaninchen, den Katzen, Schafen, Ziegen und Pferden nicht so wirkt, geht es in diesem Jahr etwas gemächlicher zu als sonst: Schweine dürfen wegen der Schweinepest nicht ausgestellt werden, und auch das Geflügel fehlt wegen der derzeit grassierenden Vogelgrippe.

Allein die Falken sind nach ärztlicher Untersuchung da. Ihr Stand befindet sich auf einer extra ausgelegten Schutzmatte, damit Besucher keine Keime von draußen an die edlen Tiere weitergeben.
Überhaupt gibt es bei so einer Tierschau wie auf der Grünen Woche viele Regeln und Anordnungen. Das zuständige Veterinäramt Charlottenburg ist täglich vor Ort und schaut, ob aus tierschutzrechtlicher Sicht und hinsichtlich Tierseuchenschutz alles in Ordnung ist.
Angekommen bei den Pferdeställen, schaut Volkher Velte bei den Fjordpferden vorbei. Sie haben so tolle Muster im Fell, weil sie in der Halle sonst ins Schwitzen kämen, erzählt die Besitzerin Monika Bauschbach aus Hessen und gerät über Kilimandscharo und seine Artgenossen ins Schwärmen.

Echte Allrounder seien die Norweger, Kili und seine Kumpels zeigen in der Arena, wie sie Wagen ziehen oder über bunte Luftballons laufen. Abends, nach einem langen Tag, wenn die Besucher die Hallen wieder verlassen haben, dreht Volkher Velte noch eine Gute-Nacht-Runde bei den Tieren der Grünen Woche. Man darf sich das sehr friedlich vorstellen, wenn es leise muht und scharrt und schnauft in den Hallen und frische Luft hereinweht, während der Mond am Himmel über dem grün angestrahlten Funkturm steht. ■