Endgültiges Urteil

Wandlitzer Familie muss nach 85 Jahren ihr Haus zurückgeben

In einem spektakulären Fall einer Restitutionsforderung durch die Jewish Claims Conference müssen Mutter (84) und Sohn (61) ihr Haus zurückgeben. „Wir stehen vor dem Nichts und wissen nicht, wohin.“

Author - Stefanie Hildebrandt
Teilen
Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden: Die Brandenburger Familie aus Wandlitz verliert ihr in der Nazizeit gekauftes Grundstück.
Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden: Die Brandenburger Familie aus Wandlitz verliert ihr in der Nazizeit gekauftes Grundstück.Jan Woitas/dpa

Gabriele L. ist eine alte Frau. Ihr Sohn Thomas ist 60 Jahre alt. In diesen Tagen vor Weihnachten geht es für die beiden Wandlitzer um alles. Müssen sie das Grundstück und das Haus in Wandlitz, das seit 85 Jahren im Besitz der Familie ist, verlassen und es an die Jewish Claims Conference zurückgeben? Am Vormittag entschied das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in letzter Instanz in dem Fall.

Für sie breche eine Welt zusammen, sagte Gabriele Lieske nach der Entscheidung. „Ich habe mein ganzes Leben in dem Haus verbracht und meine Eltern gepflegt.“ Die Familie stehe vor dem Nichts, ergänzte ihr 61 Jahre alter Sohn. „Wir wissen nicht, wohin“.

„Man hat sein ganzes Leben hier verbracht, seine Kindheit, Jugend.“ hatte Thomas Lieske dem rbb im Mai dieses Jahres gesagt. Nun ist die Katastrophe Gewissheit. Das Gericht entschied, dass der Rückübertragungsanspruch rechtmäßig ist und Haus und Grundstück an die Jewish Claims Conference (JCC) zurückgegeben werden müssen.

Haus in der Nazi-Zeit gekauft

Das Haus mit dem grauen Spritzputz aus DDR-Zeit hat ein gemütliches Walmdach, die Fensterläden in Ockergelb sind schon etwas in die Jahre gekommen. Seit 1939 besitzen die Vorfahren der Familie Lieske das Haus, das sie während der Nazi-Zeit gekauft haben.

Die vorherigen Besitzerinnen, Helene Lindenbaum und Alice Donat, waren Jüdinnen. 1932 kauften die beiden Frauen das Haus und betrieben ein Ferienheim für jüdische Waisenkinder unweit des idyllischen Wandlitzsees. Bis sie 1939 von den Nazis gezwungen wurden, ihr Haus in Wandlitz zu verkaufen. Felix Moegelin, der Großvater der jetzigen Bewohner erwarb das Haus damals für 21.500 Reichsmark und vererbte es später an seine Nachkommen. Helene und Alice wurden in Auschwitz-Birkenau ermordet.

Nach dem Krieg und in der DDR wurden Rückübertragungsansprüche der Jewish Claims Conference, einem Zusammenschluss von 23 jüdischen Organisationen, zunächst nicht durchgesetzt, sodass die Lieskes seither viele Jahrzehnte in dem Haus wohnten. Der Fall, der nun vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig sein Ende findet, ist 35 Jahre nach der Wende wohl einer der letzten Restitutionsfälle.

Nach der deutschen Einheit hatte die Bundesregierung das „Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen“ erlassen, welches die Wieder­gutmachung von Vermögens­verlusten im Zweiten Weltkrieg und Rechtsnachfolgen klären sollte. In Fällen, in denen die Opfer selbst keine Ansprüche geltend machen konnten, wurde die Jewish Claims Conference als Rechtsnachfolgering eingesetzt. Da die beiden einstigen jüdischen Besitzerinnen im Konzertrationslager getötet wurden, ist das bei der Wandlitzer Immobilie zum Tragen gekommen.

Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig ist endgültig

1992 beantragte die Conference on Jewish Material Claims als Rechtsnachfolgerin der jüdischen Besitzerinnen die Rückübertragung der Grundstücke. Im folgenden Jahr schlossen Gabriele Lieske und ihre Mutter über die drei Flurstücke einen Grundstücksübergabevertrag. Die Mutter behielt sich ein lebenslanges Wohnrecht vor. Die heute 85-jährige Gabriele Lieske verpflichtete sich, die Kosten für Wasser, Abwasser, Licht und Heizung zu tragen sowie zu Pflegeleistungen in kranken und altersschwachen Tagen. 1995 schenkte sie zwei der drei Flurstücke ihrem Sohn Thomas.

Im September 2023 entscheidet das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder), dass das  Grundstück, das seit 85 Jahren im Besitz der Familie ist, an die Jewish Claims Conference (JCC) zurückgeben werden muss. Dagegen legen die Anwälte der Lieskes Revision beim Bundesverwaltungsgericht ein. Es ist die letzte Instanz, die über die Restitution entscheidet.

Für Gabriele und Thomas Lieske geht es bei der Entscheidung um alles. Am Vormittag weisen die Richter in Leipzig ihre Revision zurück. Die Jewish Claims Conferende hatte den Lieskes ein lebenslanges Wohnrecht in dem Haus angeboten. „Dieses Angebot wurde von der Familie Liske abgelehnt“, hatte die Organisation dem rbb Mitte des Jahres schriftlich mitgeteilt. Ob dieses Angebot aktuell noch besteht, ist bisher unklar. ■