Am August vor zwei Jahren zogen riesige Qualmwolken über Potsdam: Nach Brandstiftung brannte der Sitzungssaal im alten Landtag auf dem Bauhausberg ab. In einem Gebäude mit großer Geschichte: Ohne Wilhelm II., den letzten deutschen Kaiser, hätte es diesen gewaltigen Backsteinbau nie gegeben. Doch in den letzten Jahren verlodderte der Komplex, weil ein Investor vor allem eines nicht machte – nämlich in den Erhalt und Schutz des geschichtsträchtigen Areals zu investieren. Jetzt hat das Land Brandenburg die Notbremse gezogen und einen neuen Besitzer gefunden, wie der KURIER vor zwei Tagen berichtete.
In den letzten Jahren gab es viele Besucher auf dem Brauhausberg. Unerwünschte. Wer an dem Areal vorbeispazierte, sah manchmal ganze Jugendgruppen über das Gelände stromern. Es gab zwar einen provisorischen Bauzaun, der den Zutritt verhindern sollte. Doch der wies am Ende viele Lücken auf, war teilweise niedergetreten.
SED-Kreml: Illegaler Abenteuerspielplatz
Das Gebäude, das nach der Wende 23 Jahre lang den Brandenburger Landtag beherbergte, war zum Abenteuerspielplatz geworden. Für Lost-Place-Fans, Graffitisprayer, Buntmetalldiebe und Idioten, die Feuer legten. Kundige, die sich auskannten, erzählten: Hier kommt jeder rein. Türen zum Gebäude waren unverschlossen, Kellerfenster standen offen.

Und die, die drinnen waren, erzählten staunend – von einem repräsentativen Treppenhaus, das inzwischen zu einer großartigen Streetart-Galerie geworden wäre und vom Gebäudeflügel mit dem abgebrannten Sitzungssaal des Landestages, in dem es sogar noch einen Treppenlift gebe. Besucher schwärmten vor allem von einem Besuch auf dem Turm, von dem man aus eine unschlagbare Sicht auf die Stadt Potsdam, die Wälder, die Havel und die umliegenden Seen hätte.
Errichtet wurde das Gebäude zu etwa der gleichen Zeit, als die ersten Kliniken in Beelitz-Heilstätten hochgezogen wurden. Beide eint eine ähnliche Backsteinarchitektur. Baubeginn war 1899 – auf Anweisung von Kaiser Wilhelm II., der sich eine neue Kriegsschule wünschte. 1902 zogen die ersten Kadetten ein, alle Offiziere der Armee wurden hier ausgebildet. Die architektonische Auslegung im Stil der englischen Cottage-Bauweise mit Fachwerk und weißgeputzten Feldern unter Verwendung von Renaissance-Motiven erfolgte nach den Vorgaben des Kaisers, wie man auf Wikipedia lesen kann.
Nazi-Bürgermeister ließen den Turm kappen
Der Kaiser mischte sich häufiger beim Bau ein. Auch der damals 64 Meter hohe Aussichtsturm in der Mitte des Gebäudes war seine Idee. Er wurde zu Ehren von Königin Luise errichtet und hieß damals Luisenturm. Ebenfalls spektakulär: der säulengestützte, ehemalige Haupteingang, für den die Porta Palio in Verona als Vorbild diente.

Der Ausgang des Ersten Weltkrieg besiegelte aber das Ende des Gebäudes als Kriegsschule. Das Deutsche Reich wurde demilitarisiert – Kriegsschulen waren nicht mehr erlaubt. Die fünf Etagen wurden zum Reichs- und Heeresarchiv, das nunmehr alle zivilen und militärischen Akten des Landes verwaltete.

Die nächste Änderung kam mit den Nazis. Dem damaligen NSDAP-Bürgermeister Hans Friedrichs, der selbst am Brauhausberg wohnte, missfiel der Turm, vielleicht fiel auch der Schatten des Turms störend auf sein Haus. Er sei ihm zu hoch, zu wilhelminisch, ließ er mitteilen. 1936 ließ er den Turm kappen. 14 Meter des neugotischen Turms verschwanden mitsamt Fachwerkaufsatz und Erkern. Neue Höhe: 50 Meter, abgeschlossen durch pyramidenförmiges Dach.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gab es Gerangel um das Gebäude, das weithin sichtbar über der Stadt Potsdam thronte. Zwischen den Sowjets und der sich gerade gründenden DDR. Bis zum Juni 1948 nutzte die sowjetische Militärverwaltung das Gebäude, 1949 wurde es dann Sitz der SED-Landesleitung Brandenburg – bis am 1. August 1952 in der DDR die Länder aufgelöst und das Land in Bezirke aufgeteilt wurde. Seitdem wurde der Schulgebäudekomplex von der SED-Bezirksleitung Potsdam genutzt. Hoch oben am Turm prangte weithin sichtbar das SED-Parteiabzeichen – im Volksmund hieß das Gebäude nur noch „Kreml“.

Nach der Wende kamen dann die nächsten Herren. 1990 beschloss der gewählte Brandenburgische Landtag, seinen Sitz in die ehemalige Kriegsschule zu verlegen. Der Komplex wurde 1991 mit Millionenaufwand hergerichtet, das SED-Zeichen demontiert. Die erste Plenarsitzung auf dem Brauhausberg fand am 25. September 1991 statt.
Hera Herakut malte mit Flüchtlingskindern
Der Anfang vom Ende begann am 22. November 2013. Damals fand die letzte Landtagssitzung auf dem Brauhausberg statt, der neue Landtag im Stadtschloss war fertig. Drei Jahre lang wurde das Areal noch als Flüchtlingsheim genutzt. Spuren davon sieht man heute noch. Namensschilder an den Türen im Seitenflügel, für Kinder dekorierte Räume. Und die Außenwand des Flachbaus im Innenhof ist kunterbunt bemalt – von der Streetart-Künstlerin Hera Herakut, die damals zusammen mit Flüchtlingskindern malte.

Mit dem Auszug der Flüchtlinge gab es nur noch Pläne, die nie umgesetzt wurden. Der neogotische Turm sollte rekonstruiert werden, das Backsteingebäude zu 200 Wohnungen umgebaut werden. Doch es passierte kaum etwas – bis zu dem fatalen Brand vom August 2023.

Das Berliner Immobilienunternehmen ist mittlerweile auch nicht mehr der Herr im Haus. Das Land Brandenburg machte sich die Wiedererwerbsklausel in dem Verkaufsvertrag zu Nutze – und kaufte den DDR-Kreml den Berlinern ab, wie der KURIER vor wenigen Tagen berichtete. Jetzt gibt es einen neuen Käufer. Doch das Brandenburger Innenministerium verrät bisher weder, wer das ist, noch wie hoch die Kaufsumme ist. Auch über die Pläne, was mit dem Gebäude, das unter Denkmalschutz steht, passieren soll, ist nichts bekannt. Der KURIER bleibt dran. ■