Die DDR galt als frivol im Vergleich zum Westen – doch in puncto Liebesspielzeug und Erotikprodukte gab es nach der Wiedervereinigung einen riesigen Nachholbedarf, den vor allem Sexshops mit Videokassetten, Dildos und Dessous zu füllen wussten. So kamen zwischen Saßnitz und Plauen allerlei erotische Dinge an den Mann und die Frau. Heute sind jedoch nur noch wenige der Erotikshops geöffnet. Ein neues Buch rückt die mitunter als Sündenpfuhle verschrienen Läden in den Mittelpunkt und zeigt die Menschen dahinter.
Dabei sehen die Betreiber ihr Geschäft gar nicht als anrüchig. „Ich glaube, sie verstehen sich einfach als Kaufleute und könnten genauso Bleistifte oder Radmuttern verkaufen“, berichtet Historiker Jens Schöne. Er hat zusammen mit seiner Kollegin Uta Bretschneider das Buch Provinzlust über Erotikshops in Ostdeutschland geschrieben. Alle Betreiber würden lediglich für ihre Kunden da sein.

Sexshops im Osten nach der Wende: „Man konnte damit viel Geld verdienen“
Die beiden sprachen dafür mit 13 der Betreiber über ihre Geschichte. „Insgesamt schätzen wir, dass es im Osten vielleicht noch 20 der Läden gibt“, sagt Schöne. Das seien erheblich weniger als noch nach der Wende, als die Sexshops quasi wie Pilze aus dem Boden schossen. „Damals gab es vermutlich rund 1800 in ganz Ostdeutschland“, so Schöne. Dabei kamen viele der Betreiber weniger aus Leidenschaft zum Geschäft mit der Lust. „Man konnte damit einfach unheimlich viel Geld verdienen“, so Schöne.
Es habe Aufbruchsstimmung geherrscht. Auch Frank Otto wollte loslegen. „Im Haus meiner Großeltern, die verzogen waren, standen drei Zimmer leer und da wollten ich etwas draus machen“, so der Betreiber des Erotikshops Lauchhammer. Da habe er eine Anzeige eines Westdeutschen gesehen, der Geschäftsräume suchte. Zunächst habe man gemeinsam überlegt, was man eröffne. „Wir haben auch über einen Fahrradladen und anderes gesprochen“, so Otto. Doch letztlich kam irgendwann die Idee eines Erotikshops auf.

Geschäft verlagerte sich ins Internet
Kurz vor Weihnachten 1990 habe man eröffnet und es sei ein großer Erfolg gewesen. „Nach den Feiertagen war der Laden komplett leer gekauft“, berichtet er. Die Kunden hätten eher konservativ eingekauft. „Die Leute kauften alles, wo eine Brust zu sehen war“, erzählt der Besitzer aus dieser Zeit. Später hätten sich die Wege der beiden Männer getrennt, bis heute betreibt Otto den Erotikladen seitdem allein.
Viele Läden hätten sich bis in die Mitte der Neunziger gehalten. „Doch danach war der Boom erst mal vorbei“, erklärt der Historiker Jens Schöne. Die Ostdeutschen hätten sich in den Jahren zuvor einen gewissen Grundstock an Erotikartikeln zugelegt und der Bedarf sei dann erst mal gedeckt gewesen.
Doch nicht nur die Sättigung bei den Kunden war der Grund, warum die Zahl so drastisch gesunken sei. „Das Internet kam dazu und die Leute nutzten ab den 2000er-Jahren dann häufiger die Möglichkeit anonymer Bestellungen im Internet“, erklärt Schöne. Vor allem beim delikateren Geschäft wie mit Erotikartikeln bevorzugen viele Menschen es, unerkannt zu bleiben.
Erotikshop-Betreiber: „Ich bin das analoge Internet“
Doch wenn es alles im Internet gibt, was kaufen die Menschen noch in Erotikshops? „Tatsächlich sind DVDs einer der Bestseller“, erklärt Jens Schöne. „Vor allem ältere Menschen, die keine Computer nutzen und Menschen, die keine Spuren im Netz hinterlassen wollen, kauften sich die Filme lieber auf DVD.“ Zudem würden auch Dildos und Dessous gut laufen.
Denn einen entscheidenden Unterschied würden die Sexshops bieten: „Hier kann man die Produkte anschauen und anfassen“, sagt Historiker Schöne. Im Internet hingegen erlösche bei intimen Einkäufen das Rückgaberecht, sobald man die Packung öffne. Billige Sextoys halten oft nicht lange, also geben die Leute lieber mehr aus und da will man lieber vorher schauen, so der Historiker. Davon abgesehen bekomme man in den lokalen Geschäften eben Beratung. Frank Otto sagt zudem: „Ich bin das analoge Internet. Ich bin 24 Stunden am Tag erreichbar und hab alles da.“ Und so anonym sei das Internet auch nicht. „Bei mir können die Leute bar bezahlen.“ Rechnungen aus dem Internet würden auf Kontoauszügen auftauchen.
Er sei zudem ein vertrauensvoller Berater. „Die Kunden können mit den Produkten machen, was sie wollen. Details muss ich auch nicht wissen“, sagt er. Und selbst auf der Straße bliebe er oft unerkannt. „Ich schaue, ob die Kunden mich grüßen und grüße dann erst zurück.“

Betreiber verkauft Dildos und Fische
Dennoch sei das Geschäft mit der Erotik aber lange nicht mehr so lohnend wie in den Nachwendejahren. Viele der Läden hätten ein zweites Standbein. Ein Erotikshop in Herzberg, im Süden von Brandenburg, verkauft daher auch nebenbei Aquaristik-Produkte. Beides sei nach der Wende entstanden. Der Erotikshop sei eher aus praktischen Gründen eröffnet worden – im früheren Kaninchenstall der Familie. „Den Fischladen wollte der Vater des jetzigen Betreibers, als weitere Einnahmequelle“, berichtet Schöne.
Eine Betreiberin eines Erotikladen in Sachsen verkaufe auch Büstenhalter. „Es gibt da mehr als 100 verschiedene Größen und oft schicken sogar Orthopäden Patienten deshalb in den Laden“, erzählt Schöne. Dennoch ist sich Schöne nicht sicher, ob es die Erotikshops im Osten noch lange geben wird. „Einzelne Shops werden sich halten. Die Prognose ist düster, aber nicht hoffnungslos. Manch einer findet einfach niemand, der den Laden übernimmt“, sagt Schöne. Frank Otto nimmt es mit Humor: „Ich muss das machen, bis ich tot umfalle.“ Er wisse auch gar nicht, was er schon in Rente solle.
Schöne findet, dass die Betreiber der Läden mehr Anerkennung verdienten. Zum einen seien sie Anlaufstellen für jedermann. Die Menschen sind sehr herzlich und freundlich und versuchen, ihren Kunden zu helfen, sagt er. „Und das sind wirklich kompetente und vor allem durchsetzungsfähige Leute.“ Viele von ihnen stünden sogar für echte ostdeutsche Erfolgsgeschichten. „1990 wollten die meisten Ostdeutschen den Kapitalismus. Diese Leute haben das angenommen und sich darin versucht. Mit Erfolg“, sagt Schöne. Es zeige: „Glaube an deine Idee, bleib dran und sei flexibel.“
Uta Bretschneider, Jens Schöne: „Provinzlust – Erotikshops in Ostdeutschland“. Ch. Links Verlag, 224 Seiten, 35 Euro ■