Von alten, verlassenen Kasernen geht ein unglaublicher Reiz aus. Immer wieder trifft man dort Fotografen, Abenteurer oder auch Liebespaare, die sich von den meist zugewucherten Gebäuden und verschwiegenen Wegen in Staunen versetzen lassen. Wie lange die Idylle noch verfügbar ist, steht in den Sternen. Fest steht nur: Investoren sitzen bereits in den Startlöchern. Sie wollen bauen, bauen, bauen!
Wo einst Soldaten stationiert waren, herrscht seit Jahren Leerstand. Jetzt sollen die kaiserlichen Kasernen in Perleberg zu Wohn- und Geschäftshäusern umgebaut werden. Für die Stadt ist das ein Beitrag zum Städtebau.
Noch sind die alten Kasernengebäude in einem Dornröschenschlaf. Am Rande der Innenstadt von Perleberg (Landkreis Prignitz) liegen sie etwas versteckt in einer kleinen Seitenstraße, umgeben von einem gesicherten Bauzaun. Während die zwischen 1903 und 1909 erbauten Gebäude von außen mit ihren riesigen Staffelgiebeln von der herrschaftlichen Bauweise der Kaiserzeit zeugen, bieten sie im Inneren derzeit noch ein trostloses Bild. Doch das soll sich bald ändern: Nach und nach sollen sieben Kasernengebäude mit rund 10.000 Quadratmetern Nutzfläche saniert und zu Wohn- und Geschäftshäusern umgebaut werden.
Seit 30 Jahren sind die Kasernen „Lost Places“ (verlassene Orte): Seitdem nach der Wiedervereinigung im Jahr 1991 die russischen Soldaten hier ausgezogen sind, stehen die alten kaiserlichen Kasernen leer. Die lange Zeit hat Spuren hinterlassen: Die meisten Fensterscheiben sind kaputt, die Glasscherben liegen auf den riesigen Fluren verstreut. Viele Fenster sind mit Holzbrettern provisorisch abgedichtet. Der Putz blättert von den Wänden, die Holzdecken sind an einigen Stellen eingestürzt. Draußen hat sich die Natur ihren Platz zurückerobert, über dem Kopfsteinpflaster wuchern meterhoch Gras und Sträucher.

Doch für Ronald Otto, Geschäftsführer der GWG Wohnungsgesellschaft mbH Perleberg/Karstädt, sind die Gebäude keine Ruinen. Die Bausubstanz sei sehr gut erhalten, sagt er im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Das Mauerwerk sei nicht feucht, die Keller seien trocken, Setzungsrisse gebe es nahezu keine in den über 50 Zentimeter dicken Betonwänden. Bald wird er der Hausherr sein, wenn das Land Brandenburg die Kasernen an die GWG verkauft hat.
„Ruhende Dienstleistungen“ statt Soldatenleben in der Kaserne
Damit die Gebäude dann wieder zu neuem Leben erwachen können, hat sich die Wohnungsbaugesellschaft bereits vorbereitet. In einem Planungswettbewerb haben mehrere Architekten exemplarisch für zwei der Kasernen Ideen eingebracht, wie man die kaiserlichen Kasernen künftig nutzen könnte. Das größte der sieben Gebäude will sich die Wohnungsbaugesellschaft als erstes vornehmen und vollkommen renovieren.
Laut Ronald Otto ist eine Mischung aus Wohnen und sogenannten ruhenden Dienstleistungen geplant, also etwa einem Co-Working-Space, Arztpraxen, Anwaltskanzleien, kleinen Cafés oder ähnlichen Einrichtungen, die wenig Lärm verursachen. Rund 13 Millionen Euro sind allein für die Sanierung des größten Gebäudes samt den Außenanlagen vorgesehen. Für alle sieben Gebäude zusammen rechnet Otto mit Investitionen von rund 50 Millionen Euro.
Ein Förderantrag aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) wurde abgelehnt, nun hofft Otto auf Gelder aus der Städtebauförderung. Die würde 40 Prozent der Sanierungskosten übernehmen, den Rest müssten GWG und weitere Kapitalgeber aufbringen. Die Perleberger Wohnungsbaugesellschaft bleibt Eigentümer und will die Räume vermieten. Die Bauarbeiten sollen laut GWG in den nächsten zwölf Monaten beginnen, sobald die Fördergelder bewilligt sind.

Wie die Kasernengebäude einmal aussehen könnten, lässt sich laut Otto exemplarisch in Potsdam studieren. Die dortige „Rote Kaserne“, die unlängst saniert worden sei, sei nahezu baugleich mit den Militärgebäuden in Perleberg. Dass die Kasernen noch in so robustem Zustand seien, liege an der massiven Bauweise zur Kaiserzeit. Auch im Inneren sind die Flure mit Rundbögen verziert, Türrahmen teils aufwendig mit Holz getäfelt. In den meisten Fluren sind sogar die Original-Fliesen erhalten, nur wenige sind mit den Jahren zerbrochen.
Kasernenzeit von Kaiser Wilhelm bis zur Roten Armee
Bis die Gebäude Anfang der 1990er Jahre zu sogenannten Lost Places wurden, blickten sie auf eine lange und wechselvolle Geschichte zurück. Seit Ende des 18. Jahrhunderts sei Perleberg eine preußische Garnisonsstadt gewesen, erläutert Matthias Metzler in seinem Buch „Denkmale in Brandenburg – Landkreis Prignitz, Stadt Perleberg“. Seit Ende des 19. Jahrhunderts waren bis zum Ende der Monarchie 1919 hier zwei Abteilungen des Kurmärkischen Feldartillerieregiments Nr. 39 stationiert.
Noch heute finden sich an manchen Eingangstüren Wappen mit Kanonen, die von dieser Vergangenheit zeugen. Während der Weimarer Republik wurden die Kasernen zeitweilig für die Reichswehr genutzt, während in der NS-Zeit wieder drei Artillerie-Regimenter sowie andere Einheiten der Wehrmacht einzogen.
Ab 1945 seien die Kasernen bis 1991 der Standort einer Schützen-Gardedivision der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland gewesen, schreibt Metzler weiter. Die Zufahrtsstraße, die heute, wie auch vor 1945, wieder Kurmärker Straße heißt, wurde in „Straße der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft (DSF)“ umbenannt. Für die Perleberger war die Straße damals gesperrt, auch Einheiten der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR waren hier nie stationiert.
Attraktives Wohnen für Großstädter auf alten Kasernenhöfen
Danach war die Zukunft der Gebäude lange unklar. Laut Otto sollte hier zunächst die Kreisverwaltung des neu geschaffenen Landkreises Prignitz einziehen, die sich aber für eine Villa mit einem angebauten Neubaukomplex in Perleberg entschied. Eine geplante Altenpflegeeinrichtung scheiterte an der ungünstigen Raumaufteilung der ehemaligen Kasernen.
Dass die Kasernen nach der Renovierung ihre Abnehmer finden, daran hat Otto keine Zweifel. So würden etwa viele Ärzte am Kreiskrankenhaus Prignitz täglich nach Berlin oder Hamburg pendeln, weil es in Perleberg an attraktivem Wohnraum fehle. Auch umgekehrt sei die Prignitz für Pendler aus den Großstädten interessant, vor allem wegen der ICE-Anbindungen ab Wittenberge. Und eine ausreichende Infrastruktur sei in Perleberg vorhanden. „Wir haben alle Schulen“, betont der GWG-Geschäftsführer. Und er ist überzeugt: „Die Prignitz kann noch mal attraktiv werden.“
Neben dem kulturellen und historischen Wert alter Kasernen ist der wirtschaftliche Aspekt natürlich nicht zu unterschätzen: Der Erwerb und die Umnutzung von Kasernen sind meist kostengünstiger als der Kauf und die Erschließung neuer Grundstücke. Darüber hinaus gibt es häufig staatliche Förderprogramme oder steuerliche Anreize für die Umnutzung von militärischen Liegenschaften zu Wohnzwecken.
Außerdem ist die Umnutzung vorhandener Gebäude oft ökologisch nachhaltiger als Abriss und Neubau. Dies dürfte das ökologische Profil des Projekts verbessern und auf positive Resonanz bei umweltbewussten Käufern oder Mietern stoßen. ■