Plötzlich stehen 43.000 Haushalte und 7000 Firmen ohne Strom da. Kitas geschlossen, Läden dunkel, in den Kühltruhen verrottet Essen, elektrische Rollläden lassen sich nicht öffnen, Wohnungen sind finstere Orte.
Treptow-Köpenick: der Tag, an dem die Normalität zerbricht. Eigentlich ein sonniger Morgen, die Straßen sind am Dienstag voller Spaziergänger, Busse fahren, Vögel zwitschern. Doch unter der Oberfläche das Chaos. Ampeln tot, Computer stumm, Kassen schwarz. In Johannisthal und angrenzenden Vierteln geht gar nichts mehr. Denn Unbekannte haben einen Brandanschlag auf zwei Strommasten verübt, offenbar waren es selbsternannte „Anarchist:innen“, die sich im Internet dazu bekannt haben.
„Die Rollläden sind unten – also ist der Strom noch weg“
Andreas Schütt, 57, Frührentner, führt uns in seine Wohnung am Sterndamm. Plattenbau, frisch gestrichen, doch innen: stockfinster. Keine Chance, die Rollläden hochzubekommen. Sie laufen elektrisch – und der Strom ist weg. „Die Katzen sitzen verängstigt auf dem Sofa“, sagt er und leuchtet mit einer Taschenlampe in die Dunkelheit. Kein Tageslicht, keine Kaffeemaschine, keine Mikrowelle. Nur Schweigen und Finsternis.
Schütt spricht aus, was viele denken: Die Täter haben nicht nur Kabel, sondern Existenzen angegriffen. „Da sind alte Leute, die Geräte für ihre Gesundheit brauchen. Mütter, die ihren Kindern die Babymilch nicht warm machen können.“ Er selbst hat die Kühlttruhe voller Lebensmittel – alles ist nun kurz davor, zu verderben. „Der Stromversorger ersetzt mir das nicht.“
Die Täter: radikale Anarchisten?
Der Staatsschutz ermittelt. Ein Bekennerschreiben kursiert: Die Täter wollten den „militärisch-industriellen Komplex“ treffen. Für die Betroffenen klingt das wie Hohn. „Das schadet doch den ganz normalen Menschen am meisten“, sagt Schütt.
Mitten in der Nacht kletterten die Täter über den Zaun, verbanden die Stromkabel mit Ketten, legten Feuer und sorgten für einen Kurzschluss. Gegen 3.30 Uhr schlugen Flammen hoch, Anwohner alarmierten die Feuerwehr. Der Schaden: gigantisch. Kabel brannten, das Netz schaltete sich automatisch ab. Die Folgen: Ein ganzer Stadtteil plötzlich lahmgelegt. Und die alten Kabel können und dürfen nicht einfach wieder angeschlossen werden. Alles musste ausgetauscht werden.
Peter Schicht, Betreiber eines Minimarkts, zitterte anfangs um seine Existenz. Denn bei ihm war auch der Strom für seine Kühltruhen weg. Aber nur für einige Stunden. „Ein paar Stunden länger – und meine Tiefkühlware wäre verloren gewesen. Das wären Tausende Euro Schaden gewesen.“ Es hätte die Existenz seines Ladens gefährden können. Doch der Stromversorger hatte alte, stillgelegte Leitungen wieder ans Netz angeschlossen – und rettete ihn vor dem Aus und brachte für 14.000 andere Haushalte wieder Strom.
Doch viele bleiben im Dunkeln. Jessika J., 41, Business-Coach, konnte nicht arbeiten. Viele ihrer Termine sind Online. Aber ohne Strom, kein Computer. „Ich bin mit dem Auto eine Stunde herumgefahren, nur um mein Handy aufzuladen.“
Am Tatort sagt Stromnetz-Geschäftsführer Erik Landeck: „Wir hoffen, dass die Masten nicht erneuert werden müssen.“ Denn das würde bedeuten: langer Stillstand. Es würde Wochen dauern, neue Masten zu setzen. Nun stehen die Fachleute mit Baggern bereit, um die Kabel zu ersetzen – doch erst muss die Polizei den Tatort freigeben.
Eine Stadt ohne Plan B? Viele fragen sich: Wieso hängen ganze Viertel an einem einzigen Strang? Wieso gibt es keine Back-up-Leitungen? Schütt erinnert an den legendären Stromausfall 2019 in Köpenick, als tagelang das Licht ausblieb. „Es wurde nichts gelernt.“ Und auch die offizielle Notfall-App meldete sich erst mittags – neun Stunden nach dem Anschlag.
Dieser Anschlag ist mehr als ein Angriff auf Kabel
Fazit: Strom weg – Sicherheit weg. Dieser Anschlag ist mehr als ein Angriff auf einen Strommast. Er ist ein Angriff auf das Leben in dieser Stadt. Es zeigt sich, wie verletzlich Berlin ist. Jeder Mast, jede Leitung – ein mögliches Ziel. Mit wenigen Handgriffen können die Täter zehntausenden Berlinern schaden.
Der Alltag in Treptow zeigt an diesem Tag, wie die Sicherheit plötzlich dahin sein kann. Wenn Rollläden unten bleiben, Kühlschränke warm werden und Babys keine Milch bekommen, wird klar: Strom ist mehr als Energie. Genau wie das Trinkwasser aus dem Hahn gehört es zu den Fundamenten des urbanen Lebens – und die sind jederzeit angreifbar.