Nashorn Embryo eingepflanzt

Nördliches Breitmaulnashorn: Nur noch kurz ’ne Art retten

Wissenschaftlern des Berliner Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung und einem internationalen Team des Projekts Biorescue gelang Bahnbrechendes: Ein Nashorn-Embryo aus dem Reagenzglas wurde erfolgreich in eine Leihmutter transferiert.

Author - Stefanie Hildebrandt
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Der durch künstliche Befruchtung erzeugte Embryo eines südlichen Breitmaulnashorns liegt auf einem Tisch. 
Der durch künstliche Befruchtung erzeugte Embryo eines südlichen Breitmaulnashorns liegt auf einem Tisch. Jon A. Juarez/Conservation and Research Fund e.V./dpa

Rührend klein und durchscheinend sieht das winzige Nashorn aus. Auf einer großen Fototafel sieht man es im Saal im ersten Stock des Schlosses Friedrichsfelde. Um die Tafel herum aufgeregtes Geplauder, lächelnde Gesichter und Händeschütteln, wo man auch hinschaut. Es ist ein freudiger Anlass, zu dem Thomas Hildebrandt und sein Team vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) eingeladen haben. Ein Durchbruch auf dem Gebiet der Reproduktionsmedizin ist gelungen!

Zoochef Andreas Knieriem ist da, Gäste aus Kenia sind per Videoschalte dabei, eine Ministerialdirektorin aus dem Bundesministerium für Forschung ist gekommen, die kenianische Botschafterin ebenfalls. Die BBC ruft mitten in der Pressekonferenz an, es summt im Raum vor Aufregung darüber, was mit der neusten wissenschaftlichen Errungenschaften möglich geworden scheint: nichts weniger als die Rettung einer der am meisten vom Aussterben bedrohten Nashornart.

Auf der ganzen Welt leben nur noch zwei Nördliche Breitmaulnashörner. Najin und Fatu, Mutter und Tochter. Die beiden können auf natürlichem Weg keinen Nachwuchs mehr bekommen. In einem Wettlauf gegen die Zeit versucht ein internationales Forscherteam seit Jahren das fast Unmögliche: die Art zu retten.

Kenia, Ol Pejeta: Ein Ranger streckt seine Hand nach dem Nördlichen Breitmaulnashorn-Weibchen Najin aus. Sie ist eine der letzten beiden Nashörner ihrer Unterart.
Kenia, Ol Pejeta: Ein Ranger streckt seine Hand nach dem Nördlichen Breitmaulnashorn-Weibchen Najin aus. Sie ist eine der letzten beiden Nashörner ihrer Unterart.Ben Curtis/AP

Projekt Biorescue zur Rettung der Nördlichen Breitmaulnashörner

Najin ist 33, Fatu 23 Jahre alt. Mutter und Tochter kamen in Gefangenschaft zur Welt und lebten zuletzt in einem Zoo in Tschechien. Um die Art zu retten, wurden sie zusammen mit zwei Bullen 2009 nach Ol Pejeta gebracht, ein Naturschutz-Reservat in Kenia. Man hoffte, dass sich dort Nachwuchs auf natürlichem Weg einstellen würde. Vergeblich.

Inzwischen sind die beiden Bullen Suni und Sudan tot, aber ihr Sperma wurde eingefroren. Und die Hoffnung auf eine künstliche Befruchtung bleibt. In vielen kleinen Schritten gelang es den Forschern im Team, seit 2019 Eizellen der beiden Nashorndamen zu gewinnen und schließlich im Reagenzglas mit Samenzellen zu Embryonen zu verschmelzen. Ein erster Meilenstein auf dem Weg zur Rettung der Unterart.

Künstliche Befruchtung bei Tieren

Cesare Galli ist an diesem Mittwoch ebenfalls ins Schloss Friedrichsfelde gekommen. Er gilt mit seiner Firma Avatea als einer der führenden Pioniere für künstliche Befruchtung bei Tieren. Nashörner sind aber auch für die Italiener neu und kniffelig. Doch die Anstrengungen gelingen, Eizellen werden im Labor in Cremona in vitro mit Samenzellen verschmolzen, Embryonen wachsen heran. Sie lagern eingefroren in Cremona und in Berlin – aus Sicherheitsgründen teilt man den kostbaren Embryonenschatz der Nördlichen Breitmaulnashörner auf.

Thomas Hildebrandt (IZW) hält den durch künstliche Befruchtung erzeugten Embryo eines Südlichen Breitmaulnashorns in seiner Hand.
Thomas Hildebrandt (IZW) hält den durch künstliche Befruchtung erzeugten Embryo eines Südlichen Breitmaulnashorns in seiner Hand.Jon A. Juarez/Conservation and Research Fund e.V./dpa

Die Embryonen mit den Genen der Nördlichen Breitmaulnashörner sollen einmal von Leihmüttern ausgetragen werden. Entscheidend dabei ist die Frage, ob es gelingen würde, die Embryonen in die Fortpflanzungsorgane der Nashornkühe zu transplantieren? Alle mit großem Aufwand gewonnenen Embryonen wären nutzlos, wenn der Transfer nicht gelänge.

Für die ersten Versuche wurden Südliche Breitmaulnashörner gewählt, sie sind mit den Nördlichen eng verwandt und waren ebenfalls in ihren Beständen auf wenige Tiere dezimiert. Mittlerweile hat sich in den letzten 100 Jahren eine gesunde Population von Zehntausenden Tieren gebildet.

Embryonentransfer beim Nördlichen Breitmaulnashorn geglückt

Und an diesem Mittwoch ist es endlich so weit: Es wird gefeiert und verkündet, dass es gelungen ist, Embryonen in Leihmütter zu transferieren. Ein Nashorn-Embryo überlebte zumindest eine Zeit lang in einer Leihmutter und wuchs 70 Tage heran. „Er hätte wohl eine 90-prozentige Chance gehabt, weiter zu gedeihen“, sagt Cesare Galli, aber die Mutter starb an einer Infektion mit Bakterien.

Zwar handelte es sich bei dem Embryo mit dem Namen „Number one“ um ein vergleichsweise häufig vorkommendes Südliches Breitmaulnashorn, doch mit der Methode sollen noch in diesem Jahr auch Exemplare der Nördlichen Unterart erzeugt werden.

Als Thomas Hildebrandt sich an die Gäste wendet, ist ihm anzumerken, wie sehr ihn dieser Erfolg des ganzen Teams bewegt. „Wir sind hier, um etwas zu feiern, das kaum einer für möglich gehalten hat“, sagt er.

Dies hier ist der Beginn eines Weges, an dessen Ende es wieder Nördliche Breitmaulnashörner in freier Wildbahn geben soll. Fünf Jahre, drei Jahre? Keiner weiß, wie lange es dauern wird, aber alle hier versammelten Experten sind zuversichtlich, dass es am Ende gelingen wird, mithilfe von künstlicher Befruchtung Nördliche Breitmaulnashörner zu züchten. Die Forscher nennen den Embryotransfer einen „wissenschaftlichen Durchbruch“ und sehen in der Technik Potenzial zum Erhalt weiterer bedrohter Arten.

Embryonentransfer für Elefanten entwickelt

Für den Transfer, den Thomas Hildebrandt ursprünglich an Elefanten entwickelte, führt der Reproduktionsmediziner eine lange Kanüle rektal in den Darm einer Nashornkuh ein, mit einer Nadel an der Spitze kann er in die Gebärmutter einstechen und den Embryo absetzen. Der Transfer dauert nur wenige Minuten. Es ist das erste Mal weltweit, dass so ein Vorhaben bei Dickhäutern nun gelingt.

V.l.n.r.: Daniel Cizmar (IZW), Susanne Holtze (IZW), Thomas Hildebrandt (IZW), Jan Stejskal (Zoo Dvur Kralove), Julia Bohner (IZW), Steven Seet (Conservation Research Fund) und Frank Göritz (IZW, sitzend) betrachten den durch künstliche Befruchtung erzeugten Embryo eines Südlichen Breitmaulnashorns.
V.l.n.r.: Daniel Cizmar (IZW), Susanne Holtze (IZW), Thomas Hildebrandt (IZW), Jan Stejskal (Zoo Dvur Kralove), Julia Bohner (IZW), Steven Seet (Conservation Research Fund) und Frank Göritz (IZW, sitzend) betrachten den durch künstliche Befruchtung erzeugten Embryo eines Südlichen Breitmaulnashorns.Jon A. Juarez/Conservation and Research Fund e.V./dpa

In einem nächsten Schritt wollen die Forscher die Methode auf die bedrohte Art übertragen. Den neuen Plänen zufolge solle der erste Versuch bereits im Mai oder Juni dieses Jahres starten, sagt Thomas Hildebrandt. Dafür wurden seit 2019 bereits 30 Embryonen des Nördlichen Breitmaulnashorns erzeugt und eingefroren.

Das sei die letzte Chance, dafür zu sorgen, dass das Nördliche Breitmaulnashorn nicht von dieser Erde verschwindet, sagen die kenianischen Biologen. Wie alle anderen auch ersehnen sie die Nachricht vom ersten Baby. Doch es dürfte noch dauern, Nashörner sind immerhin 16 Monate trächtig.

Gelingt eine Geburt eines oder mehrerer lebender Tiere, sollen die Jungtiere den Plänen nach zu den zwei verbliebenen Nashornkühen Najin und Fatu im kenianischen Reservat Ol Pejeta kommen, um sozial von ihren genetischen Verwandten zu lernen. Nördliche Breitmaulnashörner rufen etwa anders als ihre südlichen Verwandten. Körperbau und Verhalten unterscheiden sich von den Südlichen Rhinos.

Zoos sind für die Forschung essenziell wichtig: Wie hier im Schweriner Zoo werden Methoden der Reproduktion erprobt. Das erst wenige Tage alte Nashornbaby erkundet erstmals die Außenanlagen im Schweriner Zoo. Nach 42 Jahren ist im Sommer 2023 ein weibliches Jungtier auf die Welt gekommen. 
Zoos sind für die Forschung essenziell wichtig: Wie hier im Schweriner Zoo werden Methoden der Reproduktion erprobt. Das erst wenige Tage alte Nashornbaby erkundet erstmals die Außenanlagen im Schweriner Zoo. Nach 42 Jahren ist im Sommer 2023 ein weibliches Jungtier auf die Welt gekommen. Jens Büttner/dpa

Die Tiere werden in Kenia Tag und Nacht bewacht und gepflegt. „Die Haltung der letzten beiden Nördlichen Breitmaulnashörner ist eine riesige Verantwortung“, sagt der Leiter für Forschung und Artenschutz, Samuel Mutisya. Die Beteiligten täten alles in ihrer Macht Stehende, um das Verschwinden der Tiere zu verhindern.

Denn von den Nashörnern profitiert ein ganzes Ökosystem. „Wir retten mit der Wiederauswilderung des Nördlichen Breitmaulnashorns nicht nur Dutzende andere Arten, sondern Tausende andere Arten“, sagt Thomas Hildebrandt. „Es sind Pflanzen, Insekten, Reptilien, Fledermäuse, kleine Säugetiere, die alle direkt oder indirekt mit dem Leben des Nördlichen Breitmaulnashorns im Zusammenhang stehen.“

Stammzellforschung für Nashörner

Um im weiteren Verlauf des Projekts für die Zukunft eine breite genetische Vielfalt zu sichern, wird schon jetzt am Berliner Max-Delbrück-Zentrum an einer stammzellbasierten Technologie geforscht. Bei Nashörnern steckt sie noch in den Kinderschuhen, aber prinzipiell funktioniert es so, dass aus Körperzellen Stammzellen gezüchtet werden, die dann zu Spermien und Eizellen werden sollen. Im besten Fall eine stets erneuerbare Quelle für Embryonen, die dann wieder von Leihmüttern ausgetragen werden könnten.

Thomas Hildebrandt ist Spezialist für Reproduktionsmedizin bei Wildtieren.
Thomas Hildebrandt ist Spezialist für Reproduktionsmedizin bei Wildtieren.Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung

Die ersten Versuche, Nördliche Breitmaulnashörner vor dem Aussterben zu retten, begannen in den 1980er-Jahren. Wer sich klarmacht, wie viel Aufwand und Hingabe, aber auch willige Geldgeber, wie in diesem Fall das Bundesministerium für Bildung und Forschung, es braucht, um eine derart dezimierte Spezies zu erhalten, der tut alles dafür, dass es bei anderen Arten erst gar nicht so weit kommt.

Nashörner werden noch immer wegen ihres Hornes gejagt, es gilt als Medizin. Auf jedes Nashorn in Kenia komme ein Mann, der es schütze, sagt ein Vertreter der Organisation Kenya Wildlife Service bei der Vorstellung der Forschung. Thomas Hildebrandt nickt zustimmend, als er das hört. Er wird mit seinem Team unermüdlich weiter daran arbeiten, dass dies eines Tages nicht mehr nötig sein wird. ■