Sie durften nicht gedrängt werden

Assistierter Suizid: Wie die Kessler-Zwillinge in Berlin Hilfe fanden

Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) half den Kessler Zwillingen – dabei mussten aber einige Regeln eingehalten werden.

Author - Sharone Treskow
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Alice und Ellen Kessler ließen sich bezüglich ihres jüngsten Todes mit Beihilfe von der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben in Berlin (DGHS) beraten.
Alice und Ellen Kessler ließen sich bezüglich ihres jüngsten Todes mit Beihilfe von der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben in Berlin (DGHS) beraten.IMAGO

Diese Nachricht hat viele Deutsche tief bewegt: Am Montag sind die berühmten Show-Schwestern Alice und Ellen Kessler mit 89 Jahren in München verstorben – auf eigenen Wunsch: Sie bekamen Hilfe zum assistierten Suizid. Dafür wandten sie sich an die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) e.V. in Berlin. Die Verantwortlichen erklären jetzt, wie die Freitodbegleitung im Fall der Kessler-Zwillinge abgelaufen ist und welche Bedingungen in so einem Fall erfüllt werden müssen.

DGHS: Diese Regeln gelten bei assistiertem Suizid

Wird einem Menschen zum Suizid verholfen, wird diese Entscheidung nicht leichtfertig getroffen. Deshalb ist die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben in Berlin (DGHS) an einige Bedingungen gebunden, an die sich auch Alice und Ellen Kessler halten mussten.

Gegenüber der Berliner Zeitung erklärte die DGHS-Sprecherin Wega Wetzel: „Man muss zunächst Mitglied werden, und das auch mindestens sechs Monate lang sein, bevor man Hilfe zum assistierten Suizid von uns bekommen kann.“

Die Kessler-Zwillinge hätten sich sogar noch früher angemeldet: „Sie sind wohl bereits Ende des vergangenen Jahres beigetreten.“ Alice und Ellen hatten also schon 2024 den Entschluss gefasst, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen.

Die Sängerinnen Alice und Ellen Kessler wurden bereits Ende 2024 Mitglied der DGHS, die ihnen bei der Freitodbegleitung geholfen hat.
Die Sängerinnen Alice und Ellen Kessler wurden bereits Ende 2024 Mitglied der DGHS, die ihnen bei der Freitodbegleitung geholfen hat.IMAGO/B. Lindenthaler

Niemand darf zu der Entscheidung gedrängt werden

Welche Voraussetzungen im Falle eines begleiteten Suizids erfüllt werden müssen, sei durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts festgelegt. „Die Freiverantwortlichkeit der Entscheidung muss gewährleistet sein, es darf einen also niemand bedrängt oder unter Druck gesetzt haben“, sagte Wetzel weiter in der Berliner Zeitung.

Der Entschluss müsse außerdem eine gewisse Konstanz aufweisen, „deshalb auch die sechs Monate Mitgliedschaft, die Entscheidung muss wohlerwogen sein, die Urteils- und Entscheidungsfähigkeit muss gegeben sein, das heißt, man muss frei von einer akuten psychiatrischen Problematik oder einer beginnenden Demenz sein.“

Deshalb sei der Prozess auch recht langwierig, es sei ein mehrstufiges Verfahren. 623 Menschen in Deutschland haben die Hilfe der DGHS im vergangenen Jahr in Anspruch genommen, in diesem Jahr werden es laut der Gesellschaft schon mehr sein. Die Kessler-Zwillinge hätten der Gesellschaft übrigens „ausdrücklich erlaubt“, über die Hilfe in ihrem Fall zu sprechen.

Arzt und Jurist müssen bei der Sterbehilfe anwesend sein

Es ist übrigens keine Bedingung, dass man unheilbar krank ist, wie die Sprecherin der DGHS weiter aufklärt. Man müsse aber in einem schriftlichen Antrag begründen, warum man sterben möchte. „Dieser Antrag wird eingehend geprüft und dann an das jeweilige lokale Team aus einem Juristen und einem Arzt weitergeleitet, von denen es in Deutschland etwa 20 gibt, die mit der DGHS kooperieren“, berichtet Wetzel in der Berliner Zeitung.

„Die beiden führen dann Gespräche vor Ort, erst der Jurist, dann der Arzt.“ Diese Gespräche müssten dann umfassend protokolliert werden: „Man braucht sie auch später für die Polizei.“ Wird die Freiverantwortlichkeit zweifelsfrei festgestellt, wird ein Termin für die Freitodbegleitung vereinbart – bei der immer ein Arzt und ein Jurist anwesend sein müssen.

Alice und Ellen Kessler waren begnadete Entertainerinnen und standen ihr Leben lang gemeinsam auf der Bühne.
Alice und Ellen Kessler waren begnadete Entertainerinnen und standen ihr Leben lang gemeinsam auf der Bühne.Gerhard Rauchwetter/dpa

Das Narkosemittel muss selbst ausgelöst werden

So läuft ein Termin zur Sterbehilfe am Ende dann ab: „Der Arzt muss von der Garantenpflicht entbunden werden, damit er nicht wegen unterlassener Hilfeleistung juristisch belangt werden kann, zu der er ja eigentlich verpflichtet ist“, so Wetzel.

„Dann legt der Arzt den Zugang für eine Infusion, da das Narkosemittel, das wir verwenden, nur intravenös funktioniert.“ Das Mittel werde immer vom Arzt gestellt. „Die Person, die sterben will, probiert dann zunächst mit einer Kochsalzlösung, ob sie den Zugang problemlos aufdrehen kann. Sie muss die Tatherrschaft über das Geschehen haben, das heißt, sie muss es auslösen, dass das Narkosemittel fließt“, beteuerte Wetzel.

Der anwesende Jurist fungiere später als Zeuge, der dann mit der Polizei sprechen kann. Denn die Polizei müsse nach jeder Freitodbegleitung informiert werden: „Das sind dann Kripobeamte in Zivil, die prüfen, ob da alles mit rechten Dingen zugegangen ist“, wie die DGHS-Sprecherin erklärt.

HILFE BEI SUIZIDGEDANKEN
Ihre Gedanken hören nicht auf zu kreisen? Sie befinden sich in einer scheinbar ausweglosen Situation und spielen mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen? Wenn Sie sich nicht im Familien- oder Freundeskreis Hilfe suchen können oder möchten – hier finden Sie anonyme Beratungs- und Seelsorgeangebote: Telefonseelsorge: Unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 erreichen Sie rund um die Uhr Mitarbeiter, mit denen Sie Ihre Sorgen und Ängste teilen können. Auch ein Gespräch via Chat ist möglich. telefonseelsorge.de Kinder- und Jugendtelefon: Das Angebot des Vereins „Nummer gegen Kummer“ richtet sich vor allem an Kinder und Jugendliche, die in einer schwierigen Situation stecken. Erreichbar montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr unter 11 6 111 oder 0800 – 111 0 333. Am Samstag nehmen die jungen Berater des Teams „Jugendliche beraten Jugendliche“ die Gespräche an. nummergegenkummer.de Muslimisches Seelsorge-Telefon: Die Mitarbeiter von MuTeS sind 24 Stunden unter 030 – 44 35 09 821 zu erreichen. Ein Teil von ihnen spricht auch Türkisch. mutes.de Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention: Eine Übersicht aller telefonischer, regionaler, Online- und Mail-Beratungsangebote in Deutschland gibt es unter suizidprophylaxe.de