Mit Beginn der Kältehilfe-Saison schlagen die großen Wohlfahrtsverbände in Berlin Alarm: Die Stadt versagt beim Kampf gegen Obdachlosigkeit. Caritas-Direktorin Ulrike Kostka spricht von einem „Dammbruch“, der Berlin bevorstehen könnte. Im Mittelpunkt der diesjährigen Kampagne von Diakonie, AWO, Caritas und Co.: Vorbeugung, damit noch mehr Menschen ihre Wohnung nicht verlieren.
Von dem politischen Versprechen, bis 2030 die Obdachlosigkeit zu überwinden, ist längst keine Rede mehr. „Wir stehen vor einem Dammbruch in der Frage der Wohnungslosen“, so Diakonie-Chefin Ulrike Kostka bei einer Pressekonferenz. Schon heute leben in Berlin über 53.000 Menschen in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe – und die Prognosen sind düster: In drei Jahren könnten es mehr als 100.000 sein. Jeder 40. Berliner wäre betroffen. Schon jetzt arbeite das Hilfesystem am Limit.
Mittelschicht zunehmend gefährdet
Die Gefahr, die eigenen vier Wände zu verlieren, trifft längst nicht mehr nur die Ärmsten. An den Hotlines von Caritas, AWO oder Diakonie melden sich immer mehr Menschen aus der Mittelschicht, die trotz Einkommen Angst um ihre Wohnung haben. Gründe gibt es viele: ein kollabierender Wohnungsmarkt, fehlende Sozialwohnungen, Zuwanderung, steigende Suchtprobleme oder auch Überforderung mit digitalen Behördengängen. Mal ist es der ungeöffnete Brief, mal Mietschulden in Höhe von Zigtausenden – und die Wohnung ist weg.
Prävention spart Millionen
Die Verbände fordern daher weiter, frühzeitig anzusetzen. „Etwa 70 bis 80 Prozent der Menschen, die bei der Beratung der Caritas vorstellig werden, können von Wohnungslosigkeit bewahrt werden“, erklärt Kostka. Doch die Bezirke kürzen – ein Fehler, warnt die Diakonie. „Doch wer hier spart, muss am Ende viel mehr Geld ausgeben“, sagt die Diakonie-Direktorin Ursula Schoen. Der Deutsche Städtetag rechnet vor: Jeder Euro für Prävention spart sieben. Ein Beispiel: Für die Unterbringung einer Familie in einer winzigen ASOG-Unterkunft zahlt die Stadt monatlich Summen, die in Mitte auch für ein Penthouse fällig wären.
Vom Hausmeister bis zum Datenschutz
Die Liste möglicher Maßnahmen, um Wohnungslosigkeit zu verhindern, ist lang: Schulungen für Hausmeister, damit sie früh Probleme erkennen, bis hin zu bundesweiten Änderungen beim Datenschutz, damit Ämter schneller eingreifen können, wenn Mietschulden drohen. Kostka kritisiert: Nationale Aktionspläne brächten wenig, solange es schon „an den kleinen Stellschrauben“ hapere.
Eine wachsende Zahl Kinder ohne Zuhause
Besonders dramatisch: Unter den mehr als 53.000 Betroffenen sind fast 16.000 Kinder und Jugendliche. Viele Menschen leben schon seit mehr als zwei Jahren in Notunterkünften, weitere 2300 Menschen kommen nur noch bei Freunden oder Verwandten unter. Da ist das zum 1. Oktober startende Angebot der Kältehilfe: 900 Schlafplätze, Wärmestuben, Kältebus und Suppenküchen nur ein Tropfen auf den heißen Stein.


