Erstes queeres Berlin-Musical

Wenn Berlin doch bloß wieder arm und sexy wär

Sommer 2010: Das Musical „Berlin Non Stop“ nimmt die Zuschauer mit auf eine Zeitreise ins coole, glitzernde Berlin der Nachtschwärmer und Dragqueens. 

Author - Stefanie Hildebrandt
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Bettina Meske, Musical-Darstellerin, Sängerin  und Schauspielerin, als Frau Berlin im Musical „Berlin Non Stop“. 
Bettina Meske, Musical-Darstellerin, Sängerin und Schauspielerin, als Frau Berlin im Musical „Berlin Non Stop“. Nadja Wohlleben

Winter 2010 in Berlin: Bis zu 40 Zentimeter hoch türmt sich im Februar der Schnee auf den Bürgersteigen, Schneeballschlachten werden ausgefochten und der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) spricht: „Wir sind nicht in Haiti.“ Noch bekannter ist der Spruch, der eine ganze Berlin-Ära prägt: „Berlin ist arm, aber sexy.“ Ein neues Musical nimmt seine Zuschauer mit in eine Zeit, als die halbe Welt nach Berlin pilgerte, die Stadt place to be in ganz Europa war. 

Denn auch der Sommer, der auf diesen denkwürdigen Winter  2010 folgt, steht unter diesem Motto: arm aber sexy.  Man kann noch an die rechtzeitige Eröffnung des BER glauben, die Zukunft des Tempelhofer Feldes ist ungewiss. Die letzten günstigen Wohnungen werden vermietet. Berlin, das ist Boomtown und Betongold. Gepiercter Nabel der Welt für Nachtgestalten. Das Mekka der Kreativen und Pop-up-Stores, jede Nacht erfindet sich die Stadt neu.

Im Mai 2010 hat Lena mit „Satellite“ den Eurovision Song Contest gewonnen. Das dicke B dreht sich im wummernden Bass, als drei junge Berlin-Touristen aus Birmingham, Barcelona und Bad Bevensen auf der Suche nach Spaß, Sex, Kultur und Liebe im heißen Berlin aufschlagen. 

Das ist das Setting eines neuen Musicals aus der Feder von Fernsehmoderator, Comedian und Drehbuchautor Thomas Hermanns und einem der führenden Musical-Komponisten Deutschlands, Thomas Zaufke.  Der Titel des Musicals, welches am 16. Juli im Pfefferberg-Theater Premiere feiern wird: „Berlin Non Stop“. 

Inspiriert vom Musical-Klassiker „On the Town“

Die beiden Autoren haben sich beim Stoff, der schon länger existiert, vom zeitlosen Klassiker „On The Town“ inspirieren lassen. Dort stranden drei Matrosen in New York. Unsere drei Party-Matrosen aber streifen durch die lebendigste und aufregendste Stadt Europas – durch das Berlin im Jahr 2010.

Olivia Maria Schaaf, 32, hält alle Fäden zusammen, sie ist Produktionsleiterin des queeren Musicals „Berlin Non Stop“. 
Olivia Maria Schaaf, 32, hält alle Fäden zusammen, sie ist Produktionsleiterin des queeren Musicals „Berlin Non Stop“. Nadja Wohlleben

Dafür, dass bei der Indie-Produktion alles glatt über die Bühne geht, ist Olivia Maria Schaaf zuständig. Die 32-Jährige ist Theaterwissenschaftlerin und Dozentin für Musical und Show an der UdK. „‘Berlin Non Stop‘ ist ein Nostalgie-Musical“, sagt sie. „Im Sommer 2010, dem Feier-Sommer, war die Welt gefühlt noch in Ordnung.“

Der rote Faden ist schnell erzählt: Wie es sich für 2010 gehört, kommen die drei Protagonisten am grauen Flughafen Tegel an und stolpern sogleich in Helgas Hotwheel-Taxi, womit ihr gemeinsamer Berlin-Trip ins Rollen kommt. Dabei haben die drei Charaktere ganz unterschiedliche Absichten: Juan aus Barcelona will Berlins Schwulen-Szene kennenlernen, Chris aus Birmingham will Mädels abschleppen und saufen, Benny aus Bad Bevensen möchte eigentlich einen Kulturtrip machen. Doch es kommt anders als gedacht. 

Kemal Klempic, Kostümbildner, bei der Kostümprobe zum queeren Musical „Berlin Non Stop“ in Berlin-Mitte. Berlin, Deutschland, 02. Juli 2024.
Kemal Klempic, Kostümbildner, bei der Kostümprobe zum queeren Musical „Berlin Non Stop“ in Berlin-Mitte. Berlin, Deutschland, 02. Juli 2024.Nadja Wohlleben

Auf ihrem Berlin-Trip kommen die drei natürlich an ikonischen Berlin-Orten vorbei: am Möbel-Olfe, im Isherwood am Nollendorfplatz, im Rauschgold am Mehringdamm, wo jede Stunde Dragqueens auf der Bühne stehen, überall machen sie ihre ganz speziellen Berlin-Erfahrungen. Von der Trash- Bar bis zum Kebab-Imbiss, von der coolsten Mitte-Galerie bis zur philosophischen Schwulenbar in Kreuzberg, von der Charité Notaufnahme bis zum Garten des Berghain – es ist alles dabei, was man für einen guten Berlin-Cocktail braucht. Und, so viel sei verraten: In dieser Story bleibt keiner allein. Untermalt wird der wilde Musicalritt von einer Mischung aus Poprock, EDM, Love Songs und EuroTrash, die eine Live-Band abfeuert. 

Erstes queeres Musical in Berlin

Dass das Musical als erstes queeres Musical beworben wird, mag auf den ersten Blick erstaunen. Im Jahr 2024 muss es Homosexualität im Musical doch schon gegeben haben. Olivia Maria Schaaf hat genau zu der Frage geforscht und ihre Doktorarbeit geschrieben. Sie weiß: „In Musicals war Homosexualität natürlich immer vorhanden, wenn auch codiert. Queere Figuren haben sich reingemogelt, meist als die Bösewichte, oder als Charaktere mit besonders viel Drama.“ Generell sei es aber so, dass Queersein im Musical entweder als ein Problem dargestellt, oder weggetuschelt werde. 

Bettina Meske, Musical-Darstellerin und Schauspielerin, und Kemal Klempic, Kostümbildner, bei der Kostümprobe. 
Bettina Meske, Musical-Darstellerin und Schauspielerin, und Kemal Klempic, Kostümbildner, bei der Kostümprobe. Nadja Wohlleben

„‚Berlin Non Stop‘ aber lebt Queersein mit völliger Selbstverständlichkeit“, so Olivia Maria Schaaf. „Denn es ist nicht automatisch dramatisch, lustig oder problematisch, queer zu sein.“ Und so sind als Zielgruppe schlicht alle Menschen eingeladen, die einen lustigen Abend im Pfefferberg, am Pregnancy Hill, wie es im Musical heißt, erleben wollen. Anknüpfungspunkte gibt es für alle. Denn das „Musical“, urteilt die Expertin, „ist schließlich das prodemokratischste Medium, das wir haben.“

Das neue deutsche Musical wagt Experimente

Zugänglichkeit sei im Musical Priorität, erklärt Olivia Maria Schaaf. Ohne Vorkenntnisse, ohne Uniabschluss habe das Medium den Auftrag, Menschen allein mit seiner emotionalen Sprache zu erreichen. Wenn das gelingt, wird der Nutzen gemeinsamer positiver Erfahrungen oft unterschätzt. „Wir reden viel zu wenig darüber, welchen positiven Effekt gemeinsam erlebte Freude haben kann“, so Schaaf.

Musical erreiche Menschen, die sonst nicht ins Theater gehen. Eine federleichte Einstiegsdroge ist „Berlin Non Stop“ also allemal. Denn das neue deutsche Musical kann mehr, als nur importierte Stoffe zu Blockbustern aufzupumpen. Komponist Thomas Zaufke ist einer derjenigen, die es herausragend verstehen, auch heftigste Themen spielerisch zu ergründen. Experimentieren ist hierbei erwünscht. 

© Pavol Putnoki

Und so ist auch die Produktion von „Berlin Non Stop“ ein Experiment. Hoch professionelle Künstler, Musiker und Darsteller wie Bettina Meske als Frau Berlin schätzen es, ohne Druck, völlig neue Figuren zu kreieren. „An schlechten Tagen hält Liebe und Gaffa-Tape den ganzen Bums zusammen“, lacht Olivia Maria Schaaf. Die magischen Momente auf der Bühne entschädigen für den Aufwand. Wenn fremde Menschen offen aufeinander zugehen, ist alles möglich, lehrt „Berlin Non Stop“. Eine Erkenntnis, die auch über den Musical-Abend hinaus trägt. 

Musical Berlin Non Stop, vom 16. Juli bis 3. August im Pfefferberg-Theater, Tickets ab 31,50 Euro.  ■