Tausende Urlauber gestrandet

BER-Chaos zum Ferienstart: 113 Flüge gestrichen, Störung bis Samstag früh

Am Berliner Flughafen ging zum Ferienstart gar nichts mehr. Der Grund ist eine weltweite IT-Störung. Viele Berliner kommen nicht an ihr Urlaubsziel.

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Hunderte Passagiere warten in der Hitze vor Terminal 2 darauf, dass endlich ihre Flüge in den Urlaub starten.
Hunderte Passagiere warten in der Hitze vor Terminal 2 darauf, dass endlich ihre Flüge in den Urlaub starten.Alexandra Grossmann

Chaos zum Ferienbeginn am Berliner Flughafen BER. Nichts ging mehr – und auch jetzt geht noch wenig. Vor dem Terminal 2 stehen in der Hitze Hunderte Passagiere und warten, dass sie endlich in den Urlaub fliegen können. Flugzeuge konnten nicht mehr starten und landen. Der Grund: weltweite Computer-Probleme. Der Flugbetrieb wurde eingestellt. Erst gegen Mittag erste Hoffnung: Die ersten beiden Maschinen konnten kurz nach 12 Uhr wieder abheben.

Nach der IT-Störung am Hauptstadtflughafen BER laufen die Systeme zwar wieder – der Flugbetrieb in Schönefeld wird aber noch bis in die Nacht hinein beeinträchtigt sein. Zahlreiche Passagiere müssen deshalb weiter am Flughafen ausharren, sagt ein Sprecher. Viele Gesellschaften versuchten derzeit, ihre Fluggäste in umliegenden Hotels unterzubringen. „Bei dieser Größenordnung ist das nicht ganz leicht.“ Mit einer vollständigen Normalisierung des Betriebs rechnen die Flughafenbetreiber frühestens für Samstagmorgen.

Die weltweit aufgetretene technische Störung infolge eines fehlerhaften Software-Updates eines Sicherheitsprogramms hatte in Schönefeld ersten Erkenntnissen zufolge die Flugleitstelle getroffen. Am Morgen kam der Flugbetrieb deshalb nahezu zum Erliegen. Allein bis zum frühen Nachmittag seien insgesamt 113 der rund 550 geplanten Flüge am BER gestrichen worden, sagte der Flughafensprecher – 51 Ankünfte und 62 Abflüge. Es sei davon auszugehen, dass sich diese Zahl im Tagesverlauf weiter erhöhen werde. Während die Systeme am Flughafen seit dem Vormittag wieder uneingeschränkt funktionierten, kämpften manche Airlines weiter mit Problemen.

12.01 Uhr: Die erste Maschine hebt wieder ab – nach Marrakesch

Erst um 12.01 Uhr hob die erste Maschine nach Marrakesch ab, um 12.35 Uhr folgt eine LOT-Maschine nach Warschau. Wie lange es dauert, bis der Flugverkehr wieder wie gewohnt läuft, war aber auch am Nachmittag noch nicht absehbar. Zwischen 13 und 14 Uhr starteten laut BER-Webseite wieder fünf Maschinen, nach und nach wurden es mehr. Bei einigen Flügen wurden auf der BER-Internetseite schon neue Abflugzeiten angezeigt, die dann aber auch nicht eingehalten wurden. So sollte Delta DJ 093 eigentlich um 10.20 Uhr nach New York fliegen – neue Abflugzeit: 11.30 Uhr. Dann wurde sie ganz gestrichen.

Eurowings streicht alle innerdeutschen Flüge bis 15 Uhr

Die Fluggesellschaft Eurowings strich alle innerdeutschen Flüge sowie Flüge von und nach Großbritannien mit Abflugzeit bis 15 Uhr. Mit der Streichung Dutzender Flüge solle das betroffene IT-System entlastet werden, sagte eine Unternehmenssprecherin. Ab Berlin fallen die Flüge EW8536 nach Málaga, EW9049 nach Düsseldorf, EW2021 nach Stuttgart, EW8426 nach Nizza, EW013 nach Köln/Bonn aus. Von einer innerdeutschen Flugstreichung betroffene Fluggäste wurden gebeten, eigenständig ein Bahnticket zu buchen und dieses zur Erstattung einzureichen.

Ein Screenshot von 12.08 Uhr: Die Maschine nach New York steht immer noch am Boden.
Ein Screenshot von 12.08 Uhr: Die Maschine nach New York steht immer noch am Boden.Screenshot: BER-Internetseite

Seit etwa 7 Uhr sei es am BER aufgrund der weltweiten IT-Probleme bei einem externen Anbieter zu erheblichen Einschränkungen gekommen. „Die Abfertigung von Passagieren lief teilweise eingeschränkt weiter. Abflüge fanden eingeschränkt statt.“ Ab 8.15 Uhr ging dann gar nichts mehr. Die letzten Maschinen, die laut BER-Internetseite abflogen, waren die Flüge um 8 Uhr nach Stuttgart (Eurowings) und Warschau (LOT) und um 8.15 Uhr nach Frankfurt (Lufthansa). 

Vor den Check-in-Schaltern bildeten sich lange Schlangen

Ausgerechnet zum Ferienbeginn in Berlin verzögerte sich damit der Urlaubsbeginn für viele Reisende auf unbestimmte Zeit. Das Hauptterminal 1 des BER war auch am Nachmittag weiter sehr voll. Vor den Check-in-Schaltern bildeten sich lange Schlangen. Flughafenmitarbeiter verteilten Trinkwasser. Es sei auch ein Team zur psychosozialen Unterstützung im Einsatz gewesen, sagte der BER-Sprecher.

Nichts geht mehr: Gestrandete Passagiere versuchen am BER an den Anzeigetafeln herauszubekommen, wann ihr Flug geht.
Nichts geht mehr: Gestrandete Passagiere versuchen am BER an den Anzeigetafeln herauszubekommen, wann ihr Flug geht.Alexandra Grossmann

Für viele begannen so die Sommerferien im kompletten Chaos. Eine Familie wollte mit ihrer Tochter nach Podgorica fliegen, sie hat dort ein Ferienhaus gemietet. Doch der Weg zum Flughafen war umsonst. Ihr Flug wurde am Morgen ersatzlos gestrichen, wie ihnen mitgeteilt wurde. „Es ist frustrierend“, sagen die Berliner. „Wir fahren jetzt erst einmal zurück. Keine Ahnung, was wir jetzt machen sollen.“

Betroffen von den Einschränkungen war auch die deutsche Wasserspringerin Saskia Oettinghaus, die unterwegs zu den Olympischen Spielen nach Paris ist. Oettinghaus reagierte gelassen auf die Verzögerung. „Für uns ist es nicht so schlimm, es ist erst mal ein bisschen verspätet, aber ich denke, dass es nachher noch weiter gehen wird“, sagte.

In den USA stoppte die Luftfahrtaufsicht FAA Flüge von Airlines wie United, American und Delta

Andere Fluggäste äußerten sich verärgerter. Es habe keine Durchsagen gegeben. Urlauber Wardan Baghdasaryan war auf dem Weg über Rom nach Armenien, „weil wir dort auf zwei Hochzeiten eingeladen sind und die werden wir wohl jetzt verpassen“. Eine weitere Passagierin fürchtete um ihren Anschlussflug in New York.

Ausfälle gab es aber nicht nur am Flughafen in Berlin. Die Computerprobleme, die dem BER zu schaffen mache, führen derzeit weltweit zu weitreichenden Störungen, vor allen Dingen im Flugverkehr. In Deutschland kam es auch am Hamburger Flughafen zu Einschränkungen.  In den USA stoppte die Luftfahrtaufsicht FAA Flüge von Airlines wie United, American und Delta. Der europäische Billigflieger Ryanair sprach ebenfalls von Problemen. Auch am Flughafen Melbourne kommt es am Freitagmorgen zu Problemen beim Einchecken, wie der Flughafen auf X mitteilte.

Die niederländische Fluggesellschaft KLM stellte den Großteil des Betriebs ein. Die australische Regierung berief eine Krisensitzung ein. Der Fernsehsender Sky News sendete vorübergehend kein Programm und zeigte ein Standbild. McDonald’s in Japan musste wegen eines Systemausfalls rund ein Drittel der landesweiten Filialen schließen. In vielen Ländern wurde laut Medienberichten neben dem Luftverkehr der Betrieb von Banken und Krankenhäusern gestört. In Norddeutschland sagte das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein alle geplanten Operationen ab und schloss Ambulanzen.

In Berlin laufen Bus und Bahn normal, Verwaltung auch nicht betroffen

In Berlin wiederum waren außer dem Flughafen ersten Erkenntnissen zufolge keine größeren Einrichtungen betroffen. Sowohl der S-Bahn- als auch der Regional- und Fernverkehr der Bahn liefen ohne IT-bedingte Einschränkungen. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) waren eigenen Angaben zufolge nicht direkt betroffen. Es könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass es am frühen Morgen aufgrund von Problemen bei Dienstleistern zu Einschränkungen im Vertrieb kam.

Die Stadtwerke hingegen blieben von den Vorgängen verschont, ebenso der ostdeutsche Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz. Die Berliner Verwaltung sei ebenfalls nicht betroffen, teilt eine Sprecherin der Innensenatsverwaltung mit. „Wir stehen im ständigen Kontakt mit unseren Sicherheitsbehörden. Die Sicherheitsarchitektur funktioniert.“ Die Landesverwaltung im benachbarten Bundesland Brandenburg meldete ebenfalls keine IT-Störungen.

Die Abfertigungshalle am BER ist total überfüllt, nichts geht mehr.
Die Abfertigungshalle am BER ist total überfüllt, nichts geht mehr.Alexandra Grossmann

Aus Sicherheitskreisen in Deutschland hieß es, man gehe von einer technischen Störung infolge eines fehlerhaften Software-Updates aus. Medienberichten zufolge wurde als Auslöser ein Fehler in einem Programm-Update der IT-Sicherheitsfirma Crowdstrike vermutet. Unter anderem führte ein Energieunternehmen in Australien die Probleme darauf zurück. Crowdstrike sprach in einer Mitteilung an die Kunden von Problemen, wie die Technologie-Website „The Verge“ schrieb.

Weltweite IT-Störung soll keine Hackerattacke sein

Die Bundesregierung geht bislang nicht davon aus, dass die massiven IT-Störungen in Deutschland und vielen anderen Staaten das Ergebnis einer Hackerattacke sind. „Nach aktuellem Erkenntnisstand aus den Äußerungen der betroffenen Unternehmen gibt es keine Hinweise auf einen Cyberangriff“, sagt ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) sei mit allen relevanten Stellen in Kontakt und informiere kontinuierlich über die Entwicklung der Lage.

Nach Informationen des BSI habe der Hersteller der betroffenen Security-Lösung einen „Workaround“ kommuniziert, der von Betroffenen umgesetzt werden sollte. Das Unternehmen Microsoft habe darüber hinaus mitgeteilt, dass es in der Microsoft-Lösung Azure zu einem Konfigurationsfehler gekommen sei, der ebenfalls weltweit Auswirkungen zeige.

Mit der Konzentration in der Software-Industrie passiert es immer wieder, dass zahlreiche Unternehmen von Problemen bei einzelnen Anbietern getroffen werden. So war zum Beispiel eine Cyberattacke auf den amerikanischen IT-Dienstleister Kaseya im Jahr 2021 bis nach Schweden zu spüren, wo die Supermarkt-Kette Coop fast alle Läden schließen musste.

Auf den sozialen Netzwerken wird unter dem Hashtag #Crowdstrike viel gepostet, User machen Witze, entwerfen Memes und teilen ihre Frustration mit: „Schönes langes Wochenende #crowdstrike“, wünscht ein User auf X. Andere posten Bilder ihrer Reisekoffer und traurige Smileys. „Der Ausfall von Microsoft / CrowdStrike hat die meisten Flughäfen in Indien lahmgelegt. Ich habe heute meine erste handgeschriebene Bordkarte erhalten“ schreibt ein User auf X.  ■