Chaos in Tegel

Baustellen-Irrsinn! Berliner Kiosk hinter Gittern

Eine Baustelle um U-Bahnhof Alt-Tegel sorgt seit Jahren dafür, dass Kioskbesitzer Jörg Engel von Bauzäunen umzingelt ist. Seine Stammkunden kommen trotzdem, denn der Kiosk hat Tradition.

Author - Stefanie Hildebrandt
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Jörg Engel und sein Kiosk sind wegen Bauarbeiten der U8 und U6 von Bauzäunen umzingelt. Er führt nach seinem Schwiegervater den Kiosk in 3. Generation.
Jörg Engel und sein Kiosk sind wegen Bauarbeiten der U8 und U6 von Bauzäunen umzingelt. Er führt nach seinem Schwiegervater den Kiosk in 3. Generation.Stefanie Steinkopf/Ostkreuz

Eingerüstete U-Bahneingänge, Absperrgitter und lebensgefährliche Abkürzungen über die Fahrbahn sind rund um den U-Bahnhof Alt-Tegel an der Tagesordnung. Die Bauarbeiten an der Strecke der U6 halten die Menschen im Kiez seit Jahren auf Trab. Seit 2022 fährt ein Ersatzbus auf einem Teilstück der Linie U6 zwischen Kurt-Schumacher Platz und Alt-Tegel.

Mindestens genauso lange schon guckt Jörg Engel jeden Tag von 5 Uhr in der Früh bis 18 Uhr am Abend auf einen Bauzaun. Sein kleiner Zeitungskiosk am U-Bahnhof Alt-Tegel ist vom Baugeschehen förmlich umzingelt. Von drei Seiten stehen die Absperrungen, nur Kenner finden durch das Labyrinth den Weg an seine Luke, durch die er dennoch weiter freundlich Zeitschriften und Zigaretten reicht.

Umsatzeinbußen von 50 Prozent

Engel hat längst einen Blumentopf als Aschenbecher an den Zaun gehängt, „bisschen gemütlich gemacht“, habe er es sich. Das klingt entspannt, aber die ausufernden Arbeiten der BVG machen den Händlern gehörig zu schaffen. Jörg Engel hat seit Beginn der Bauarbeiten kaum noch Laufkunden. „Das Geschäft ist um etwa die Hälfte zurück gegangen“, sagt er, 70 Prozent weniger Fachzeitschriften verkaufe er.

Hinter den Bauzäunen ist der Kiosk kaum wahrnehmbar. Kunden laufen auf der Straße an dem Büdchen vorbei.
Hinter den Bauzäunen ist der Kiosk kaum wahrnehmbar. Kunden laufen auf der Straße an dem Büdchen vorbei.Stefanie Steinkopf / Ostkreuz

Immerhin, die Stammkunden kommen weiter zuverlässig. Das liegt daran, dass der Kiosk eine echte Institution im Kiez ist. Schon Engels Schwiegervater, dessen  Mutter und Großvater haben hier im Herzen des Viertels einen Zeitungskiosk betrieben. „Anfang der 1930er gab es den ersten Pachtvertag“, erzählt Wolfgang Volk, der auf einen Plausch zu seinem Schwiegersohn vorbei gekommen ist.

Goldgrube Zeitungskiosk: Millionenumsatz

Damals sei so ein Zeitungskiosk eine Goldgrube gewesen, in den 1960ern habe er Millionenumsatz gemacht. „Von Montag bis Sonntag durch gearbeitet, die Leute haben Schlange gestanden bis sonst wo.“ Die Zeiten sind vorbei, dank Internet  und Zeitungssterben. Doch eins hat sich seither nicht verändert: So ein gut geführter Kiosk ist eine Kiezzentrale. Man trifft sich, plaudert ein bissen, ist nah dran am Alltag der Menschen. „Man bekommt viele Schicksale mit“, sagt Jörg Engel. „Und, sonst allet gut?“, fragt Engel die nächste Kundin. „Nee.“  „Na ich frag' nicht näher.“

Mit Aufstellern versucht Jörg Engel, Kunden auf sein Geschäft aufmerksam zu  machen.
Mit Aufstellern versucht Jörg Engel, Kunden auf sein Geschäft aufmerksam zu machen.Stefanie Steinkopf / Ostkreuz

Mütter kommen mit ihren Kindern her. Als sie selber klein waren, haben sie schon Mickey-Mouse-Hefte bei Engel gekauft. Doch Schwiegervater Wolfgang ist realistisch: „Die Zeit der Kioske ist irgendwann vorbei. Die jungen Leute kieken doch nur noch auf ihr Handy“, sagt er. Einmal habe er ein Paar in der Bahn beobachtet: „Die haben nicht geredet, die haben sich geschrieben. Ja sagen Sie mal, wat is denn dit?“

„Aktuell gehen wir davon aus, dass die erforderlichen Arbeiten im zweiten Halbjahr 2026 abgeschlossen sind“, heißt es von der BVG zur Dauer der Baustelle. Jörg Engel glaubt noch nicht recht daran, dass der Termin gehalten wird. Noch zwei Jahre sollen die Bauarbeiten währen. „Die müssen wir durchhalten.“ Nun habe man 80 Jahre Kiosk geschafft, da gehen auch die nächsten zwei noch.  „Eine Bunte, bitte wie immer. Tschüss, Herr Engel.“