Elektrische Stolperfallen

E-Scooter vor Gericht: Blindenverein fordert Durchgreifen des Senats

Runter vom Gehweg: Das ist die Forderung. Der Senat soll alle Erlaubnisse zurücknehmen. Jetzt hat das Verwaltungsgericht Berlin eine mündliche Verhandlung angesetzt.

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Gefährliches Durcheinander: Miet-E-Scooter liegen auf einem Gehweg in Berlin.
Gefährliches Durcheinander: Miet-E-Scooter liegen auf einem Gehweg in Berlin.Thomas Bartilla/dpa

Die Debatte um E-Scooter in Berlin flammt erneut auf. Für viele sind die elektrischen Tretroller ein flexibles Fortbewegungsmittel, andere sehen in ihnen Stolperfallen, die das Spazierengehen riskant machen. Nun entscheidet das Verwaltungsgericht Berlin, wie es mit den Miet-Rollern in der Hauptstadt weitergeht.

Hintergrund ist eine Klage des Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenvereins (ABSV). Bereits vor fast drei Jahren reichte der Verband seine Verbandsklage ein – jetzt steht die Verhandlung an. „Die Verhandlung ist für den 1. Oktober um 10 Uhr vorgesehen und wird voraussichtlich im Saal 0416 stattfinden“, erklärte Gerichtssprecher David Faßbender dem Berliner Kurier. „Es ist ein Thema, das viele Berliner interessieren wird“, sagte ABSV-Geschäftsführer Thomas Hiby.

Die Klageschrift hat es in sich: 204 Seiten stark, erstellt vom Marburger Anwalt Michael Richter. Der Kern: Der Senat habe mit seinen Sondernutzungserlaubnissen den Verleihern gestattet, öffentliche Gehwege für ihre Geschäftsmodelle zu nutzen.

Besonders kritisch sieht der Verband das sogenannte Free-Floating-System. Dabei dürfen die Roller überall im öffentlichen Raum abgestellt werden. Aus Sicht des ABSV bringt das für Blinde und Sehbehinderte erhebliche Risiken mit sich – der Verband verweist auf mehrere dokumentierte Unfälle.

Rechtsanwalt Richter und Thomas Hiby verfolgen mit der Klage zwei konkrete Ziele: Erstens soll die Senatsverwaltung offenlegen, welche Firmen Genehmigungen erhalten haben und welche Bedingungen darin stehen. Zweitens sollen sämtliche Erlaubnisse für das Free-Floating-Modell widerrufen werden. Ein Erfolg vor Gericht würde Anbieter wie Bolt, Lime, Dott oder Voi hart treffen.

Ganz ohne Fortschritte ist die Situation jedoch nicht. Bezirke wie Mitte haben verpflichtende Abstellzonen eingeführt – wer außerhalb parkt, kann den Mietvorgang nicht beenden. Auch die Zahl der Verfahren wegen falsch abgestellter Roller sei laut Senat deutlich gesunken. Dennoch stagniert die Unfallstatistik mit E-Scootern seit 2022 bei über tausend registrierten Vorfällen jährlich.

„In einigen Bereichen hat sich das Thema zurecht geruckelt“, räumt Hiby ein. Doch besonders in den Außenbezirken seien falsch abgestellte Roller nach wie vor ein großes Problem: „Derzeit stören sie vor allem in Außenbezirken.“ Für Blinde und Sehbehinderte seien die Fahrzeuge nach wie vor gefährliche Barrieren. Und er betont: „Wir sind keine Totalverweigerer.“ Ziel bleibe es, die Gehwege für Fußgänger sicherer zu machen. Das Motto: Runter vom Gehweg.

Blick nach Oranienburg: Dort urteilen Gerichte strenger

Die Kläger argumentieren, dass die Genehmigungen des Senats rechtlich nicht haltbar seien. Bereits 2019 trat die Verordnung über Elektrokleinstfahrzeuge in Kraft – sie sehe nicht vor, dass Gehwege in Geschäftszonen verwandelt werden dürfen. „Die Sondernutzungserlaubnisse, die der Senat den Vermietern erteilt hat, sind rechtswidrig, wenn nicht sogar nichtig“, erklärte Hiby schon bei Einreichung der Klage. Zudem verletze die Praxis internationale Vorgaben wie die UN-Behindertenrechtskonvention.

Dass die Gerichte streng urteilen können, zeigt ein Blick nach Oranienburg. Dort untersagte die Stadt dem Anbieter Tier, Roller im Stadtgebiet aufzustellen – und bekam vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg im Mai 2024 endgültig Recht. Beschwerden von Bürgern und mangelnde Abhilfe durch das Unternehmen hatten zu dem Verbot geführt.