Berliner Trend

Flicken statt kaufen: Berlin entdeckt die neue Reparatur-Revolution

Man stopft nicht nur ein Loch, man repariert seine Kleidung und spart Geld. Wegwerfmentalität adé. In Berlin gehört das längst zur kulturellen DNA.

Author - Stefan Tappert
Teilen
Kleidung selbst zu reparieren ist sehr einfach und effektiv
Kleidung selbst zu reparieren ist sehr einfach und effektivepd/imago

Mittwochabend in Kreuzberg: Die Lieblingsjeans hat’s erwischt. Sie sitzen auf der Couch, wollen sich hinsetzen – knack. Ein Riss. Nicht riesig, aber an der falschen Stelle. Früher wär das das Ende gewesen. Heute denken Sie: Ich kann das reparieren. Berlin hat Nähläden, Werkstätten, Stoffmärkte, Schneiderläden an jeder Ecke – und Menschen, die lieber flicken als wegwerfen. Nicht aus Nostalgie, sondern aus Überzeugung.

Warum Reparieren wieder sexy ist

Fast Fashion ist durch. Niemand findet’s cool, zehn Shirts für 5 Euro zu kaufen, die nach zwei Wäschen aussehen wie Geschirrtücher. Reparieren dagegen bedeutet: Haltung zeigen. Man stopft nicht nur ein Loch, man widerspricht einer Wegwerfmentalität. In Berlin gehört das längst zur kulturellen DNA – genau wie Bio-Limo und Handwerkermarkt.

Die Basics – was du selbst hinkriegst

1. Knöpfe annähen:
Klassiker. Braucht 5 Minuten, rettet jedes Hemd. Tipp: Knopf leicht locker lassen – sonst platzt er beim Sitzen.
2. Kleine Löcher flicken:
Von innen Stoffrest aufbügeln, mit Zickzackstich sichern. Bei Jeans am besten in passendem Blau oder bewusst kontrastierend.
3. Nähte schließen:
Handnaht oder Maschine – beides easy. Im Zweifel in der Nähwerkstatt Wedding (Exerzierstraße) fragen, dort erklären sie’s kostenlos.
4. Socken stopfen:
Mit Stopfei (oder Mandarine) und Garn. Ja, das dauert. Aber es macht Spaß.
Tipp:
Viele Berliner und Berlinerinnen treffen sich beim monatlichen „Repair Café Textil“ im Haus der Materialisierung – Kaffee, Kuchen, Nähmaschinen, Know-how.

Mit wenig Mitteln kann man Kleidung lange erhalten.
Mit wenig Mitteln kann man Kleidung lange erhalten.Jennifer Brückner/dpa
Werkzeuge, die sie brauchen
  • Nähset mit Nadeln, Garnen, Schere, Maßband (ab 10 € im Nadelöhr Neukölln)
  • Bügeleisen (für Flicken & Saum)
  • Stoffreste (aus alten T-Shirts oder Bettwäsche)
  • Stopfei oder Glühbirne
  • Geduld (unbezahlbar)

Das ist keine Großinvestition. Eher wie ein Erste-Hilfe-Koffer für Kleidung.

Unmengen von Textilmüll sammeln sich am Strand von Acra.
Unmengen von Textilmüll sammeln sich am Strand von Acra.Kevin McElvaney/Deutsche Umwelthilfe

Wo sie in Berlin Hilfe finden

Textilwerkstatt Wedding:
Offene Werkstatt mit Kursen, Leihmaschinen, Stofftauschbörse.

Jeans Repair Berlin (Prenzlauer Berg):
Spezialisiert auf Denim – Stopfen, Flicken, Verstärken.

Haus der Materialisierung (Alexanderplatz):
Textilbereich mit Workshops zu Upcycling & Reparatur.

Atelier Sisyphos (Neukölln):
Professionelle Reparaturen, aber zu fairen Preisen – und sie zeigen dir, wie du’s selbst machst.

Mit diesen Hilfsmitteln ist kaputte Kleidung schnell wieder repariert.
Mit diesen Hilfsmitteln ist kaputte Kleidung schnell wieder repariert.Jan Walter/ imago/imageBROKER

Was sie besser machen können als die Industrie

Wenn sie selbst nähen, entscheiden sie über Qualität. Sie flicken mit echtem Garn, nicht mit Plastikfasern. Sie nutzen vorhandene Stoffe. Und sie schaffen Unikate. Manche tragen ihre Flicken inzwischen bewusst sichtbar – Visible Mending nennt sich das. Ein gestopftes Loch wird zur Zierde, nicht zum Makel. Und genau das ist der Unterschied zwischen Mode und Stil.

Berliner Besonderheiten

Berlin ist ein Flickenteppich – im besten Sinne. Alte Nähmaschinen auf dem Flohmarkt, Stoffreste im Leila-Leihladen, Schneiderinnen aus aller Welt mit Handwerkswissen.
Hier repariert die syrische Nachbarin deinen Reißverschluss, während sie ihr beim Deutschlernen helfen. Hier entsteht Kultur aus Nadel und Faden.

Wirtschaftlicher Faktor

Laut einer Studie des Umweltbundesamts sparen Menschen, die Kleidung reparieren, im Schnitt 250 € pro Jahr. Dazu kommt: weniger Konsum, weniger Stress, weniger Müll.
Und in Berlin gibt’s sogar Förderungen für Reparaturinitiativen – Stichwort Reparaturbonus (bis zu 100 € Zuschuss pro Jahr).

Emotionale Komponente

Reparieren macht stolz. Sie sehen die Naht, die sie gezogen haben, und wissen: Ich hab das gerettet. Das Kleid erzählt weiter, die Jeans bleibt dein Begleiter. Das ist mehr als Nachhaltigkeit – das ist Beziehungspflege.

Stricken ist wieder in – und am meisten Spaß macht es in Gesellschaft.
Stricken ist wieder in – und am meisten Spaß macht es in Gesellschaft.epd/imago

Fazit

Reparieren ist kein Rückschritt, sondern Rebellion. Gegen Billigware, gegen Gleichgültigkeit, gegen das Verschwinden handwerklicher Fähigkeiten. Und in Berlin passt das perfekt: unperfekt, kreativ, echt. Wenn sie das nächste Mal ein Loch in deinem Lieblingspulli finden, überlegen sie nicht lange. Holen Sie Nadel und Faden. Und machen es einfach.